Pasing:Wohnungslose im Tüten-Lager nerven Anwohner

Obdachlosen-Lager vor dem Kaufring in Pasing

Zugiges Nachtlager: Seit vergangenem Sommer campieren Obdachlose am Eingang es ehemaligen Kaufrings nahe dem Pasinger Bahnhof.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie haben sich vor dem Eingang zum ehemaligen Kaufring-Kaufhaus eingerichtet - dort übernachten sie auch bei frostigen Temperaturen. Ihnen zu helfen, scheint nicht so einfach.

Von Jutta Czeguhn

Die durchsichtige Plastiktüte, dick gefüllt mit Krapfen, Croissants und Semmeln, liegt schon seit ein paar Tagen da. Überhaupt ist es ein Berg von Plastiktüten, der sich vor dem Eingang des Kaufrings auftürmt. Wer genau hinsieht, entdeckt in dem wirren Haufen auch Matratzen, Decken, Kleidungsstücke, Schuhe, ein kleines Radio, Illustrierte, eine blaue Handschaufel. Daneben einen Rollstuhl, einen Einkaufswagen und den Karton mit den beiden Steinplatten, zwischen denen noch vor ein paar Wochen ein kleiner Christbaum klemmte. "Schmück mich" hat jemand auf die braune Pappe geschrieben. Als im vergangenen Sommer Obdachlose begannen, die Nische vor der Glastür des geschlossenen Kaufhauses zu ihrem Quartier zu machen, ahnte niemand, dass sie dort zu Weihnachten und nun im eisigen Januar immer noch campieren würden.

Eine Frau kommt am Tüten-Lager vorbei. "Eine Schande ist das für Pasing!", empört sie sich. Schrecklich, so sichtbar mitten im Zentrum, gleich neben dem Bahnhof und den Pasing Arcaden! Eine Seniorin mit Einkaufswagen pflichtet ihr bei. Auch sie will nicht mit Namen in der Zeitung stehen. Sie wohnt in dem Hochhaus gleich neben dem Flachbau, in dem bis Ende 2016 der Kaufring sein Warensortiment von der Damenhose bis zum Bügeleisen anbot. Das Hochhaus, in dem sie seit Jahrzehnten wohnt, wird gerade saniert. Von demselben Investor, der German Estate Group (GEG), der das komplette Karree gekauft hat und nun umbaut zum Quartier "Pasing Central". Die Seniorin lässt auf die Bauherren nichts kommen. "Wir bekommen neue Balkone, eine Feuerleiter", erzählt sie. Das mit den Mieterhöhungen und Umlagen der Modernisierung - alles laufe fair ab. Nur dass sich das Unternehmen so gar nicht um dieses Problem mit den Obdachlosen kümmere, ärgert sie.

Sie und andere Anwohner klagen nicht nur über den Müll, sondern auch über die Bewohner dieses provisorischen Camps. Sie seien oft betrunken, pöbelten Passanten an, verrichteten ihre Notdurft auf den Grünanlagen und vor den Hauseingängen und verursachten vor allem in den Nächten unzumutbaren Lärm, wenn sie in Streit gerieten oder ihre Musik so laut drehten, dass im Hochhaus keiner ein Auge zutun könne. Vor allem in den warmen Monaten sei es sehr schlimm gewesen. Da habe man des Öfteren die Polizei rufen müssen, geändert habe das an der Situation jedoch nichts.

Die beiden Frauen gehen ihres Wegs, ein Streifenwagen der Pasinger Polizei parkt in der Nähe des Wohnungslosen-Treffs. Eine Beamtin schreibt einen Strafzettel, den sie an die Frontscheibe eines falsch geparkten Autos an der Bäckerstraße heftet. Angesprochen auf das Matratzenlager sagt sie, die Anwohner hätten nichts Besseres zu tun, als sich zu beschweren. Besser wäre es, wenn sie den Obdachlosen helfen würden. Aber diese Menschen hätten ja keine Lobby. Ihr Chef, Inspektionsleiter Peter Löffelmann, sagt, dass es bislang zu keinen größeren Vorkommnissen gekommen sei. In jüngster Zeit allerdings mehrten sich die Anrufe von Bürger, die besorgt und entsetzt darüber seien, dass die Obdachlosen bei der Kälte draußen schliefen. Das Hausrecht, so Löffelmann, liege beim Investor. Deshalb könne die Polizei das Camp auch nur räumen, wenn eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs vorliege. Dies sei bislang nicht der Fall gewesen.

"Das Projekt ,Pasing Central' läuft unverändert nach Plan", lässt die German Estate Group (GEG) durch ihren Sprecher Thomas Pfaff mitteilen. Abgesehen von der Sanierung des Hochhauskomplexes aus den Sechzigerjahren plant das Unternehmen im Karree zwischen Bäckerstraße, Pasing Arcaden und der Straße Am Schützeneck 66 neue Eigentumswohnungen. Und an der Bäckerstraße 1 bis 3 - dort, wo nun unter anderem die Obdachlosen ihr Camp haben - soll ein Wohn- und Geschäftskomplex entstehen. Zum Schutz der Mieter und Anrainer wie auch der Passanten müsse im Laufe des Januars ein das Gelände sichernder Bauzaun in der Bäckerstraße errichtet werden, berichtet Pfaff.

Im Interesse der Anrainer wie auch der Wohnungslosen habe die GEG deshalb schon vergangenes Jahr Kontakt mit dem Sozialreferat aufgenommen. Man stehe nun zusätzlich im Austausch mit dem Kreisverwaltungsreferat. "Dort versicherte man uns, dass genügend alternative Unterkunftsmöglichkeiten existieren, und die Stadt München bereit sei, die Obdachlosen entsprechend zu unterstützen. Wir werden auch zukünftig Hand in Hand mit der Stadt arbeiten, um auch weiterhin den Interessen aller Betroffenen bestmöglich gerecht zu werden", lautet das Firmen-Statement.

Obdachlose lehnen Unterbringung an anderen Orten ab

Im Sozialreferat bestätigt man diese Aussage. Erfahrene Sozialpädagogen des Evangelischen Hilfswerks hätten die Obdachlosen vor dem geschlossenen Kaufring-Kaufhaus regelmäßig aufgesucht und beraten, berichtet Sprecherin Edith Petry. Die Menschen könnten sich jederzeit an die Streetworker der Teestube "Komm" oder des "Schiller 25" wenden. Diese kämen auch vorbei und informierten sie über Unterbringungsmöglichkeiten. "Selbstverständlich können auch alle obdachlosen Personen im Amt für Wohnen und Migration in der Franziskanerstraße 8 vorsprechen und bekommen dort - nach Prüfung der Anspruchsberechtigung - einen Bettplatz in einem städtischen Notquartier oder einer sonstigen Unterkunft für wohnungslose Menschen zugewiesen", erklärt Petry. Von November bis Ende April gebe es zusätzlich das Kälteschutzprogramm der Landeshauptstadt mit 850 Bettplätzen. All diese Angebote seien Obdachlosen an der Bäckerstraße gemacht worden, doch hätten sie die Unterbringung in einer Einrichtung der Wohnungslosenhilfe oder im Kälteschutzprogramm abgelehnt.

An der Stelle werden die Aussagen widersprüchlich. Graciela de Cammerer (SPD) ist im Bezirksausschuss (BA) Pasing-Obermenzing Referentin für Soziales. Der BA, so de Cammerer, habe das städtische Konfliktmanagement Akim gebeten, sich die Situation anzuschauen. "Ich war auch vor Ort und habe mit den Leuten gesprochen. Viele haben schon eine Unterkunft, wollen aber am Standort Kaufring bleiben", sagt sie. Da Akim keine Konflikte gesehen habe, hätten die Streetworker vom "Komm" Kontakt mit den Obdachlosen aufgenommen. "Vom Sozialreferat habe ich nun die Info bekommen, dass die Obdachlosen die Angebote vom ,Komm' angenommen haben", sagt de Cammerer.

Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) bestätigt ebenfalls, von der Situation vor dem Kaufring Kenntnis zu haben. Gelegentlich seien zwar Beschwerden eingegangen, erklärt Sprecher Johannes Mayer. Die Obdachlosen aber "verhalten sich ruhig und belästigen auch keine Passanten, weder durch aggressives Betteln noch durch Pöbeln", sagt Mayer. Der Kenntnis der Behörde nach habe in den vergangenen kalten Nächten dort niemand übernachtet. "Die Obdachlosen halten sich nur tagsüber dort auf", sagt der KVR-Sprecher.

Es ist inzwischen dunkel geworden an der Bäckerstraße, leichtes Schneegrieseln. Mitten im Plastiktüten-Berg sitzt ein Mann in einer Art Skianzug und raucht ein Zigarillo. Sein rötlicher Bart beginnt, weiß zu werden. Vor ihm stehen etliche Flaschen. Ob er plane, hier die Nacht zu verbringen, will man von ihm wissen. Er hustet fürchterlich und nickt. Bei der Kälte? "Des geht scho, ich bin's gewohnt." Schon lange auf der Straße? Wieder nickt er. Was ist geschehen? "A wissen'S, des hab' i scho vergessen." Aus Laim sei er ursprünglich, sein Name tue nichts zur Sache. Warum er nicht in einer der Unterkünfte übernachte? "Ich will mein eigener Herr sein." Bald wird hier eine Baustelle sein, was dann? "Es find' sich was anderes." Er lächelt müde und nimmt einen weiteren Zug.

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Räumung von Obdachlosen-Lagern

Wenn Polizisten anrücken und Mitarbeiter des Baureferats Container abladen, dann ist klar: Ein Lager von Wohnungslosen wird geräumt. Im Winter geschieht das häufig. Warum, weiß Hedwig Thomalla, Sprecherin des Sozialreferats: "Bei Minustemperaturen ist es zu gefährlich, im Freien zu schlafen." Ob ein Camp geräumt werde, müsse für jeden Fall neu entschieden werden. Welches Lager aufgelöst wird, legt der Arbeitskreis "Wildes Campieren" fest. Laut Thomalla berichten Streetworker und Anwohner den Experten, wo Menschen ohne festen Wohnsitz längere Zeit zusammen übernachten.

Wird geräumt, klärten Streetworker zuvor die Obdachlosen auf, wo sie unterkommen können. "Eine Möglichkeit ist der Kälteschutz in der Bayernkaserne." Wer sich davon noch nicht zum Gehen bewegen ließe, dem kündigten Aushänge die Räumung an, um davor "Wertsachen in Sicherheit zu bringen". Kurz darauf rücken die Angestellten des Baureferats, von Polizisten gesichert, mit Schuttmulden an. Hinein kommt alles, was bis dahin das Camp war - fast, denn: "Was sich als persönlicher Gegenstand identifizieren lässt, wird aufgehoben, damit er später abgeholt werden kann", erklärt Dagmar Rümenapf, Sprecherin des Baureferats. Aber nicht ewig: "Nach einer gewissen Zeit" lande auch dieser Besitz im Müll.

Vergangenes Jahr hat das Sozialreferat 13 Camps geräumt. Am Dienstagmorgen hat die Stadt erneut ein Obdachlosenlager geräumt. Gegen sieben Uhr früh wurden Matratzen, Möbel, Decken und Kleidung säckeweise aus der Unterführung an der Kapuzinerstraße in Container verfrachtet und abtransportiert.

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