Pasing:In Simultanzeit

Hochrad trifft E-Scooter - Der Künstler und Kirchenrestaurator Wolfgang Haller spiegelt an der Fassade eines denkmalgeschützten Trafohäuschens Pasinger Geschichte mit der Gegenwart

Von Jutta Czeguhn

Ob er wohl das schöne Porträt da an der Mauer des Trafohäuschens freigelegt habe, wollten zwei ältere Passantinnen von Wolfgang Haller wissen, als er dort gerade mit dem Spachtel zugange war. Denn eines Tages war es da, wie aufgetaucht aus ferner Zeit: Das Rötel-Profil eines Nickelbrillenträgers mit Kaiser-Wilhelm-Bart und Vatermörderkragen, der zugeknöpft am Betrachter vorbeiblickt. Obwohl Wolfgang Haller als Kirchenrestaurator und vor allem Konservator durchaus Erfahrung damit hat, unter Kerzenrußfilm, Staubschichten und Vielfachübermalungen historische Fresken hervorzuholen - sogar einen Michelangelo, sagt er, habe er mal entdeckt - das Bildnis im Tondo an der Nordwand des Trafos stammt von einem zeitgenössischen Meister. Von ihm selbst. Es zeigt August Exter, den Architekten der beiden Pasinger Villenkolonien.

Die Netztrafostation Nummer 3304 steht, verkehrsumbrandet und abgasumwölkt, auf einer Art begrünter Insel zwischen der Pippinger Straße und der Alten Allee, also quasi mittig zwischen den beiden Villenkolonien, die dort nach Exters Plänen kurz vor der Jahrhundertwende um 1900 entstanden sind. Das kleine, quadratische Umspannwerk wurde wohl 1907 errichtet, als die Elektrifizierung der gediegenen Vorstadtquartiere schon flott im Gange war und dort längst über tausend Glühlampen brannten. Mit seinem Pyramidendach und den umlaufenden Simsen passte es sich dem eklektischen Stil von Exters Kolonie-Architektur an und steht heute - noch voll in Funktion - wie viele Bauten im Ensemble unter Denkmalschutz.

Pasing: Architekt August Exter, Erbauer der beiden Pasinger Villenkolonien, ziert eine Wand der Trafostation.

Architekt August Exter, Erbauer der beiden Pasinger Villenkolonien, ziert eine Wand der Trafostation.

(Foto: Catherina Hess)

Seit ein paar Wochen kann man Wolfgang Haller also dabei beobachten, wie er sich an dem verblassten, beigefarbenen Kalkzementputz des Denkmals abarbeitet, den wohl irgendwann in den Siebzigerjahren jemand ziemlich großzügig aufgetragen hat. Völlig legal hat sich Haller in seinem Freiluft-Atelier ans Werk gemacht, denn der Dekorationsauftrag kam vom Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing, der auch die Hälfte der 20 000 Euro Gesamtkosten finanziert. Dem Projekt Rückendeckung geben auch die Stadtwerke München. Von ihren etwa 5000 Trafostationen im Münchner Versorgungsgebiet sind nur zehn noch im Originalzustand erhalten und stehen wie das Pasinger Häuschen unter Denkmalschutz. Stadtwerke-Sprecher Michael Solic setzt auf eine Win-Win-Situation, denn das Unternehmen hat einen ziemlichen Aufwand mit der Fassadenreinigung seiner oberirdischen Trafos. Ständige Schmiererein. "Echte Graffiti-Künstler übersprühen keine gut gestalteten Graffiti", hofft Solic auf den unausgesprochenen Ehrenkodex unter Sprayern - und somit auf Schonung für das Pasinger Häuschen.

Dass der Stadtwerke-Mann seine Wandbilder als Graffiti bezeichnet, ficht Wolfgang Haller null an, dazu scheint der Münchner zu humorbegabt und auch sonst vielem zugetan. So hat er nicht nur in toskanischen Landvillen der Medicis als Restaurator gearbeitet oder im Herzogspalast von Mantua Fresken behandelt, sondern auch schon mal auf dem Prenzlauer Berg in Berlin eine 400-Meter-Wand gestaltet. Haller, Jahrgang 1960, spricht nach eigenen Angaben fünf Sprachen, jüngst hat er sich sogar noch Sanskrit angeeignet. Und weil er auch Musiker ist, komponierte Haller unlängst ganz spontan auch ein paar Nummern für einen indischen Tabla-Spieler.

Trafohäuschen Alte Allee Pasing 
Bauarbeiten anno 1940

Die Trafostation wurde 1940 schon einmal saniert.

(Foto: Pasinger Archiv/oh)

Hallers Komposition für die vier Wände des Pasinger Trafohäuschens sind auf Infotafeln ausgestellt und erläutert. Immer wieder kommen Passanten die paar Schritte von der benachbarten Wertstoffinsel herüber, um sie zu studieren. Wie er es bei all seinen Restaurierungs- und Konservierungsaufträgen tut, hat sich der Künstler erst einmal in die Geschichte des Ortes vergraben: In die Entstehungszeit der Kolonien, als für Münchens staatliche Beamten die Residenzpflicht endet und sie "hinaus aufs Land" ziehen dürfen, in gut durchlüftete Villen im Grünen. Solche, wie sie ihnen der clevere Baumeister Exter in Pasing und Obermenzing hinstellen wird. Auf den Wandtableaus der Trafostation wird man in diese Zeit zurückschauen können.

Hallers Zeichnungen von typischen Koloniebauten sind den Originalentwürfen aus Exters Architekturmappe entlehnt. Er will sie ähnlich einer Grisaille-Malerei - der Begriff stammt vom französischen "gris" für grau - monochrom auf den Wänden hinterlegen. Diese Horizontlinie "um 1900" gliedert die vier Fassaden. Zu sehen ist da - neben den historischen Villenbauten - beispielsweise ein Hochradfahrer. Im Vordergrund, bunt abgehoben, lässt Haller das Heute auftreten, sein Inventar sind Pflanzen, Tiere oder ein Junge auf einem E-Scooter. Die beiden Zeitströme überlappen sich, interagieren, eine Simultaneität entsteht. An den Rändern will der Künstler die Szenerie leicht verpixeln - ein weiterer Verfremdungseffekt. Sodass man den Eindruck haben könnte, auf einen digitalen Bildschirm zu schauen.

Wolfgang Haller Entwurf für Trafohäuschen Alte Allee Pasing 
Ansicht von Süden

Künstler Wolfgang Haller verbindet in seinem Konzept Vergangenheit und Gegenwart.

(Foto: Wolfgang Haller)

Wolfgang Haller wird noch einige Wochen an seine Fassadenkunst hinarbeiten. Die ersten Wochen waren verregnet und haben ihn etwas im Zeitplan zurückgeworfen. Beim Abschleifen des Mauerwerks musste er sehr umsichtig vorgehen, alle Lüftungsgitter sorgsam abkleben. Lauert doch hinter der Trafotür eine 10 000-Volt-Spannung, da kann ein Funkenflug unangenehme Folgen haben. "Explosiv" wurde Hallers Unterfangen auch noch aus einem anderen Grund: So geriet er an der Nordfassade quasi mitten hinein in eine historische Schlacht zwischen Fans von 1860 München und dem FC Bayern. Die lieferten sich genau an der Stelle, wo August Exter nun sein Konterfei hat, offenbar eine Graffiti-Battle. Vier Schichten Fan-Tags musste Haller mühsam abschmirgeln, davon eine aus Silberfarbe. "Die wirkt wie Zellophan und hat das Mauerwerk unter sich erstickt", sagt der Restaurator. Der Putz platze, Salzflecken haben sich gebildet.

Manfred Haller wird in ein paar Wochen, wenn alles fertig ist, nicht vollends auf den Ehrenkodex unter Sprayern vertrauen, sondern einen speziellen Graffitischutz auftragen. Schließlich sollen August Exter, der vis-à-vis einst sein Büro hatte und wohl deshalb so melancholisch dort hinüberblickt, kein "1860" oder "FCB" auf dem ehrwürdigen Bart wachsen.

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