Pasing:Hohe Kunst der Improvisation

Viele Jahre haben sich alle Beteiligten mit den beengten Verhältnissen im Kinderhaus an der Floßmannstraße arrangiert. Allmählich aber benötigt die heilpädagogische und integrative Einrichtung ein neues Zuhause

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Florian Roder schiebt einen kleinen Holztisch mit Spielklötzchen beiseite und zieht eine Art Stöpsel aus dem Fußboden. "Hier ist einfach ein Loch, irgendwann kippe ich vielleicht mal Wasser rein und warte ab, ob unten jemand schreit." Wir befinden uns im zweiten Stock des Kinderhauses an der Floßmannstraße 1, in Roders Büro. Der pädagogische Leiter arbeitet in einem winzigen Raum mit Dachschräge, kaum dass man sich hier umdrehen kann. "Es ist ganz gemütlich", lacht der Mann mit dem Pferdeschwanz, "nur im Sommer kann es ein bisserl heiß werden, da hab' ich den Dienst zum Teil schon beenden müssen wegen der Temperaturen." Wieder draußen auf dem Gang, in dem zwei Menschen gerade mal so aneinander vorbei kommen, öffnet Geschäftsführer Wolfgang Schäfer eine weitere Tür. "Das ist unsere einzige Toilette für Erwachsene, also ein WC für alle 23 Leute, die hier arbeiten." Kollege Roder kommentiert lakonisch: "In Bahnhofsnähe geht das."

Pasing: Im ersten Stock müssen sich 21 Kinder ein WC teilen.

Im ersten Stock müssen sich 21 Kinder ein WC teilen.

(Foto: Catherina Hess)

Es ist eine liebevolle Genervtheit, mit der das Personal des Kinderhauses mit den räumlichen Unzulänglichkeiten umgeht. Auch eine Etage tiefer im ersten Stock sieht es nicht besser aus. Dort teilen sich 21 Kinder ein WC, die Gruppenräume sind vollgestellt und verwinkelt. Es mangelt an Rückzugszimmern für die Einzeltherapien, für Team-Besprechungen und und und. Man arrangiert sich, improvisiert. Trotz allem scheint die Stimmung gut zu sein in dieser anheimelnden Enge. "Die Mitarbeiterbindung des Hauses ist hoch, viele Kolleginnen sind bereits deutlich über zehn Jahre im Dienst des Hauses", sagt Wolfgang Schäfer. Personalmangel ist hier kein Problem.

Pasing: Zusammenrückenund improvisieren,das müssen alle imKinderhaus ander Floßmannstraße.

Zusammenrückenund improvisieren,das müssen alle imKinderhaus ander Floßmannstraße.

(Foto: Catherina Hess)

Womöglich ist es auch seine besondere Lage, die das Haus an der Floßmannstraße so besonders macht: Die frei stehende, zweigeschossige Stadtvilla mit Garten ist zwar selbst kein Baudenkmal wie so viele andere Häuser in der Pasinger Kolonie I nördlich des Bahnhofs, wohl aber gehört sie zur Ensembleschutzzone. Eine Premiumlage auf dem Münchner Stadtplan. In seiner Substanz mag das Haus nicht älter als 90 Jahre alt sein, im Laufe der Jahrzehnte wurden klar erkennbar immer wieder Veränderungen vorgenommen, auch von den Betreibern des Kinderhauses. Was allerdings an der Enge wenig hat ändern können und an der Tatsache, dass es den heutigen gesetzlichen Anforderungen an eine Kindertagesstätte längst nicht mehr entspricht. Und genau das ist das Problem des Kinderhauses. Seine Zukunft als heilpädagogischer und integrativer Kindergarten scheint nach 50 Jahren zunehmend in Gefahr, wenn auch nicht akut, wie Wolfgang Schäfer betont. Dennoch möchte man nicht mehr zuwarten, sondern sich auf den Weg begeben: Das Kinderhaus braucht ein neues Zuhause.

Pasing: Seit Endeder Sechzigerjahre werden hier Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf gemeinsam mit anderen betreut.

Seit Endeder Sechzigerjahre werden hier Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf gemeinsam mit anderen betreut.

(Foto: Catherina Hess)

Im Büro von Wolfgang Schäfer, nur eine Nuance geräumiger als das von Florian Roder, erläutern die beiden die Situation. "Bislang konnten wir den Bestand mit kleinen und größeren Renovierungsarbeiten sichern. Die Aufsichtsbehörden signalisieren nun aber, dass der Betrieb auf der Basis des jetzigen bauliche Bestands nur noch geduldet wird, bis konkrete Optionen zur Zukunftssicherung auf dem Tisch liegen." Eigentümer von Haus und Grund an der Floßmannstraße ist die Arbeiterwohlfahrt München, die jedoch nicht Betreiberin des Kindergartens ist. Das ist der Verein "Kinderhaus Floßmannstraße", ein Verein mit einer spannenden Geschichte. Da lohnt ein Blick in die Vergangenheit. So schlossen sich vor 50 Jahren Karin Ullner, eine ausgebildete Heilpädagogin, und ihr Mann Rolf, ein Kinderarzt, mit Gleichgesinnten zusammen. Sie wollten sich mit einem Projekt gegen "buchstabenerfüllte Lerndressur" ebenso abgrenzen wie gegen die antiautoritäre Kinderladen-Bewegung. "Repressionsfrei" sollte ihr besonderes Kinderhaus sein, in dem sie gezielt Kinder mit Behinderung aus der sozialen Isolation holen und gemeinsam mit nicht behinderten Mädchen und Buben fördern wollten.

Pasing: Kinderhaus seit 50 Jahren: Die alte Villa in der Pasinger Kolonie I ist so etwas wie die Urzelle des integrativen Kindergartens in München.

Kinderhaus seit 50 Jahren: Die alte Villa in der Pasinger Kolonie I ist so etwas wie die Urzelle des integrativen Kindergartens in München.

(Foto: Catherina Hess)

Sie fanden und mieteten die baufällige Villa an der Floßmannstraße, in der sie Leben und Arbeit in eins setzen wollten. In einer Broschüre, die von diesen Anfangsjahren erzählt, wird beschrieben, wie die jungen Leute an ihre Grenzen geraten, wie das idealistische, damals in München einmalige Projekt immer wieder zu scheitern droht; an unterschiedlichen Vorstellungen über Pädagogik, an zuwiderlaufenden Lebensentwürfen, aber auch am Unverständnis der Nachbarschaft in der Villenkolonie. Menschen mit Behinderungen, so die allgemeine Haltung damals, seien eine unzumutbare Belastung, sollten doch besser in Heimen weggeschlossen werden. Um Zuschüsse von der Stadt zu bekommen, gründet die Gruppe 1970 einen gemeinnützigen Verein, für Vertreter der 68er-Generation kein selbstverständlicher Schritt. Ein Jahr später wird der "Kindergarten Pasing e.V. " auch korporatives Mitglied im Landesverband der Arbeiterwohlfahrt.

Pasing: Auf der Suche nach einer neuen Bleibe: Geschäftsführer Wolfgang Schäfer (links) und Florian Roder, der pädagogische Leiter.

Auf der Suche nach einer neuen Bleibe: Geschäftsführer Wolfgang Schäfer (links) und Florian Roder, der pädagogische Leiter.

(Foto: Catherina Hess)

Heute betreibt das Kinderhaus zwei Einrichtungen unter einem Dach: einen Integrationskindergarten und eine Heilpädagogische Tagesstätte, beides für Kinder im Alter von drei Jahren bis zur Einschulung, insgesamt hat das Haus 50 Plätze: Im Integrationskindergarten gibt es 20 Plätze für Regelkinder und zehn für Kinder mit Förderbedarf, 20 Plätze für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Am liebsten, sagt Wolfgang Schäfer, würde sich das Kinderhaus mit allen, den Mitarbeitern, den Familien, den Kindern, in ein neues Haus begeben. Am besten in der näheren Umgebung, wenn auch nicht zwingend.

Bis Dezember 2018 hatte der Verein die Option, ein freies Grundstück in der Blumenau zu erwerben und dort einen neuen Kindergarten zu bauen. Inzwischen hat sich diese Lösung zerschlagen, weil ein Miteigentümer des Areals dort nun selbst eine Krippe errichten will. Ein Alternativgrundstück mit 1000 Quadratmetern ist aktuell nicht in Sicht. Eine weitere Option für den Verein wäre, die alte Stadtvilla so umzubauen und zu erweitern, dass ein Betrieb für den Verein wirtschaftlich möglich wäre. Parallel zur Suche nach einem Grundstück laufen also gerade Gespräche mit der Eigentümerin AWO, die das Kinderhaus schon einmal gerettet hat, wie Schäfer erzählt. Vor 15 Jahren habe der Vermieter das Haus an der Floßmannstraße verkaufen wollen. "Wir hätten es nicht geschafft, es zu kaufen. Da sprang die AWO ein."

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