Süddeutsche Zeitung

Partyzone Flußufer:Die Isar - ein Scherbenhaufen

Lesezeit: 4 Min.

In lauen Sommernächten zieht das Partyvolk an das Münchner Isarufer. Zurück bleiben Scherben, Pizzakartons, Einweggrills und der Geruch von ranzigen Kneipen. Wie aus einem der schönsten Plätze der Stadt innerhalb weniger Stunden der hässlichste wird.

Philipp Crone

Er trifft nicht. Der junge Mann im schwarzen T-Shirt sitzt am Ufer der Isar, halb im Wasser steht ein Bierkasten mit leeren Flaschen. Die versucht der Mann mit Steinen zu treffen. Nach fünf vergeblichen Würfen will er aufstehen, aber das klappt nicht, zu viel Bier; er bleibt im weißen Kies sitzen und wirft weiter.

Die Szenerie am Freitagabend gegen 21 Uhr auf dem Strand zwischen der Thalkirchner Brücke und dem Flauchersteg ist so bizarr, dass selbst der Kioskbetreiber, der seit 28 Jahren hier arbeitet, am nächsten Morgen sagen wird, dass er das noch nicht erlebt hat.

Und er habe schon viel erlebt. Etwa 1000 junge Leute haben sich im Laufe des Tages in den kleinen Buchten und auf den Inseln in der Isar verteilt. Sie trinken, grillen und grölen.

Passanten beugen sich über das Geländer des Flaucherstegs und sehen hinunter. Das wirkt so, als gehöre dieses Gebiet noch zum Zoo. Von oben, gut geschützt, kann der Besucher da eine besondere Spezies erleben, den betrunkenen Jungmünchner, der dieses Stück Natur zu seiner Feierzone erklärt hat.

Und dessen Hinterlassenschaften acht Mitarbeiter der Straßenreinigung am nächsten Morgen von sechs Uhr an mit Langzangen beseitigen. Große Scherben, Pizzakartons, Socken, Grillroste; nur Kartoffelsalat und kleine Scherben erwischen sie nicht, die rutschen zwischen die Steine.

Warum hinterlassen die Leute diesen Ort so, dass einer der schönsten Plätze der Stadt am nächsten Morgen der hässlichste ist? Ein Platz in der Natur, der nach ranziger Kneipe riecht.

An der Reichenbachbrücke liegen am Freitagabend ein paar Flaschen im Gras, aber hier geht es vergleichsweise zivilisiert zu. Alexander, 66, sammelt Leergut. Die Flaschensammler und das Feierabend-Publikum leben hier in einer Art Symbiose. Man gibt den Männern mit den klirrenden Plastiktüten sein Leergut mit.

Kamila spaziert vorbei. "Ich bin oft im Hirschgarten", sagt die 26-Jährige, "da gibt es Sicherheitsleute, die zu jeder Gruppe gehen und von einer Person die Daten aufnehmen. Sie erklären den Leuten dann, dass sie später nachsehen, ob die ihren Müll eingepackt haben. Sonst gibt es eine Anzeige." Verbote, Strafen - die Lösung für die Isar?

Am Flaucher feiert gegen 21 Uhr eine Gruppe von 50 Punks. Sie schubsen einander herum, ein paar bewerfen sich gegenseitig mit Steinen. Auf den Kiesbänken liegen so viele Flaschen, dass es selbst nüchtern schwierig ist, nicht auf eine draufzutreten. Benedikt, 29, schaut sich um und sagt: "Es sind aber auch keine Mülleimer da."

Natürlich sind welche da, sogar riesige Container. Insgesamt stehen an der Isar 75 Gittermüllboxen, fünf große Container und zwölf Holzkohlebehälter für Grillasche, die jeden Tag geleert werden. An einem sonnigen Wochenende fallen laut Baureferat bis zu vier Tonnen Müll an.

Doch die Container stehen oft abseits, unter Bäumen. Und von manchen Stellen muss man fast 100 Meter laufen bis zu einer Mülltonne. Betrunkene gehen hier aber keine fünf Meter weit. "Warum stellen die keine Container auf die Kiesbänke?", fragt Benedikt. Müllcontainer mitten in der renaturierten Flusslandschaft.

Ein Mann steht an der Isar und versucht, vorbeischwimmende Flaschen mit Kieselsteinen zu treffen, direkt neben ihm watet eine Frau durch das Wasser, sieben Schwäne paddeln am Ufer entlang. Leere Bierträger und Flaschen versperren den Tieren den Weg.

Vor allem junge Leute treffen sich hier, weil das Grillen erlaubt und der Platz schön ist. Außerdem gibt es Gebüsche für Verliebte, Wasser für Überhitzte, Strand für Romantiker.

Und es herrscht die allgemeine Stimmung, hier ohnehin tun und lassen zu können, was man will. Die Kiesbänke sind Münchens Wildnis und ein bisschen Wilder Westen. Warum den Dreck wegmachen, denkt sich wohl mancher, wenn er am nächsten Tag ohnehin aufgeräumt wird.

Es wird kühl um 21.30 Uhr, erste Gruppen machen sich auf den Heimweg. Fünf Jungs hocken zusammen, einer steht auf und geht, nur die halbvolle Jim-Beam-Pulle in der Hand. Die anderen folgen, Grill und Müll bleiben liegen.

Daneben macht sich eine zweite Gruppe bereit. Ein Mädchen beginnt, Pappteller und Besteck in eine Plastiktüte zu stecken, alle machen mit. Nichts bleibt liegen. Es sind zwei unterschiedliche Arten von Gruppendynamik.

Drei junge Frauen stehen auf dem Flauchersteg, eine hat ein verheultes Gesicht. "Er will nicht mit mir reden", schluchzt sie. Zwei andere Mädchen tuscheln. "Hat sie gekotzt?", fragt die eine. "Nein, sie sagt nur die ganze Zeit: Ich liebe dich." Teenager sind hier mit Träumen und Trieben beschäftigt. Nicht mit leeren Flaschen.

Polizisten auf Pferden reiten vorbei, Sicherheitskräfte eines privaten Sicherheitsdiensts patrouillieren. Sie greifen ein bei einer gebrochenen Nase, nicht bei einer zerbrochenen Flasche.

Samstagmorgen, 5.58 Uhr. Der Kiesstrand ist bunt - vor Müll. Einige Steine sind rot gefärbt. Niemand hat sich den Fuß aufgeschlitzt, es ist nur Fleischmarinade. Angel, ein fröhlicher Bulgare in Warnweste, lacht. Er zupft ein Müllstück nach dem anderen vom Boden. Von einer zertrümmerten Sektflasche am Ufer greift er die großen Stücke, die kleinen unter Wasser kriegt er nicht.

Sechs Stunden später, Samstagmittag. Kinder spielen am Wasser, es riecht nicht mehr nach verranzter Kneipe, sondern nach Grill und Sonnencreme. Angel und seine Leute sind etwa 150 Meter weit gekommen.

Der Kioskwirt vom Flauchersteg sieht zu ihnen hinüber. Er findet, dass die Beschilderung der Abfalleimer zu schlecht sei. Manche würden die Container einfach gar nicht als Mülleimer erkennen.

Pfingstmontag, 8.30 Uhr, am Flauchersteg steht ein Angler im Wasser. "Seit der Renaturierung ist das eine einzige Partyzone. Da kann man nichts machen." Die Reinigungstruppe hat an diesem Tag schon früh das Gröbste beseitigt.

Vom Steg aus ist der Blick wunderschön, die Sonne kommt durch die Wolken und scheint auf die verästelten Seitenarme der Isar. Das Wasser ist klar, man kann bis auf den Grund sehen. Auf die zersplitterten Flaschen.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2012
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