Partyschiff:Eine Handbreit Wahnsinn unterm Kiel

Seit eineinhalb Jahren steht die "MS Utting" auf einer Eisenbahnbrücke in Sendling. Nun ist das Schiff, das einst über den Ammersee fuhr, getauft und eingeweiht worden. Bis zu 600 Menschen sollen dort künftig feiern

Von Laura Kaufmann

Es gibt viel Einzigartiges an diesem Abend auf einem Schiff auf einer Brücke in Sendling. Und viele erste Male. So singt der Münchner Shanty-Chor "die Seelords" heute zum ersten Mal neben einem Schiff auf einer Brücke. Und Stadträtin Julia Schönfeld-Knor sagt, sie sei aufgeregt wie sonst nur an ihrer Hochzeit. Ist sie doch wahrscheinlich weltweit die erste Politikerin, die ein Schiff auf einer Eisenbahnbrücke taufen darf.

Um eine Schiffstaufe rankt sich allerlei Aberglauben. Eine Frau muss den Perlwein gegen den Bug krachen lassen, sie darf nicht rothaarig sein und kein grünes Kleid tragen, das gilt als schlechtes Omen. SPD-Stadträtin Schönfeld-Knor ist blond und trägt ein rot gemustertes Kleid. "Sie hat uns immer sehr geholfen und guten Rat gegeben", sagt Daniel Hahn, der das Projekt initiiert hat, ein Schiff auf die Eisenbahnbrücke an der Thalkirchner Straße zu stellen. Jetzt darf es Schönfeld-Knor auf den Namen Alte Utting taufen. "Ich danke allen, die mit uns an diese Idee und diesen Traum geglaubt haben, alle Zweifel beseitigt haben und die Alte Utting zu dem gemacht haben, was sie jetzt ist", sagt Hahn noch. Er sieht jetzt wirklich aus wie ein Landkapitän, weil ihm der Shanty-Chor ein Kapitänshemd geschenkt hat. Und als Prosecco den Bug hinabläuft, drückt er Schönfeld-Knor einen Blumenstrauß in die Arme und drückt dann die Stadträtin.

Es war eine sehr, sehr lange Reise für das 144 Tonnen schwere Schiff, das damals noch MS Utting hieß. Viel länger, als der beschwerliche Weg vom Ammersee nach Sendling gedauert hatte, als Schwertransport in zwei Teile gesägt, vor nun fast eineinhalb Jahren. Gutachten und Auflagen für ein Projekt, das es so noch nie gegeben hat. Kosten, die nicht vorherzusehen waren. Hürden zum Haare raufen. Und das alles noch ausgerechnet in München.

Hämische Stimmen munkelten, das Schiff werde sowieso nie eröffnen. Das Team habe sich mit dem Projekt verhoben. Zwischendurch liebäugelte Daniel Hahn mit Crowdfunding, konnte sich aber nie ganz dafür begeistern. "Wir wollten unabhängig bleiben und das aus eigener Kraft schaffen", sagt er. Imagevideos zu drehen und das Herzensprojekt ins bestmögliche Licht zu rücken, um nach Geld zu fragen, das widerstrebte ihm. "Ich stehe nicht mal gerne im Mittelpunkt." Und schließlich brauchte es das nicht, niemand hat sich verhoben, einwandfrei ist die Alte Utting auf eine Brücke gehoben worden. Stolz und Erleichterung darüber liegen in der Luft an diesem lauen Abend. Nicht im Mittelpunkt zu stehen, gelingt Daniel Hahn freilich heute nicht.

Nun ist es so, dass das Schiff mit seiner Taufe noch nicht endgültig eröffnet ist. Ein paar letzte Auflagen müssen noch erfüllt werden. Zum Beispiel soll die Alte Utting videoüberwacht sein, damit, falls mal etwas herunterfällt, herausgefunden werden kann, wie das passierte. Ein paar Konzepte für mehr Foodstände hätte Daniel Hahn auch gern im Programm, einen Kuchenstand zum Beispiel. Und das Team ist zwar recht startklar, aber ein paar mehr zupackende Hände würden nicht schaden. Schließlich soll in ungefähr zwei Wochen das Schiff langsam seinen Betrieb aufnehmen, dann sieben Tage die Woche geöffnet sein. Vom Mittagstisch bis in den Abend-Bar-Betrieb, und bis zu den Darbietungen, die auf den beiden Bühnen neben dem Schiff auf der Brücke oder im Maschinenraum stattfinden.

144 Tonnen

wiegt die Alte Utting, die bis 2016 als MS Utting auf dem Ammersee verkehrte. Im Februar 2017 wurde sie nach Sendling transportiert, wo sie nun auf einer Eisenbahnbrücke steht, die nicht mehr in Betrieb ist. Dort soll sie zu einem Kultur-Treffpunkt werden.

Um die 400 Leute finden Platz auf dem Schiff, noch mal jeweils hundert auf der Brücke davor und dahinter. Die, die jetzt zur Taufe geladen sind, spazieren fast andächtig über das Deck. Es fühlt sich beinahe surreal an, hier zu stehen und zu sitzen. Als flöge die Alte Utting über München. Die Sonne verschwindet rot glühend hinter dem Horizont, irgendwo hinter dem Schlachthofgelände.

Ein weiteres schlechtes Omen bei einer Schiffstaufe ist es im Übrigen auch, wenn die Flasche nicht gleich zerbricht. Und zugegebenermaßen musste die Stadträtin sie zweimal schleudern, damit sie zerbrach. Aber die Alte Utting ist kein normales Schiff, sondern das Sendlinger Brückenschiff, ein urmünchnerisches nun also. Daher gelten besondere Regeln. Und wie man vom Oktoberfest weiß, ist es ein gutes Gelingen, wenn der Alkohol beim zweiten Peng spritzt. Sicherheitsschlag nennt sich das beim O'zapft is'. Und die Alte Utting wird mit Sicherheit immer eine Handbreit guten Wahnsinn unterm Kiel haben.

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