Die Mühlen der Justiz mahlen mitunter so langsam, dass man kaum erkennt, ob sich das Räderwerk schon dreht oder ob es noch stillsteht. Im Mordfall der Münchnerin Charlotte Böhringer zum Beispiel hat der Anwalt des wegen der Tat Verurteilten – des Neffen Böhringers Benedikt T. – im Oktober 2022 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt, den insgesamt bereits dritten. Mehr als anderthalb Jahre danach teilt das für die Prüfung des Antrags zuständige Landgericht Augsburg auf SZ-Anfrage nun mit: „Eine Entscheidung ist bislang nicht ergangen. Wann diese ergehen wird, kann momentan nicht verlässlich abgeschätzt werden.“
Wer sich etwas eingehender mit dem als Parkhausmord bekannten Fall Böhringer beschäftigt, kann den Eindruck gewinnen, die bayerischen Justizbehörden wollten die Akten dazu am liebsten im Archivschrank lassen und nie wieder aufklappen. Auf der anderen Seite gibt es eine interessierte Öffentlichkeit, die jede Gelegenheit zur Wiederaufnahme der Diskussion gerne wahrnimmt. Und die erfährt von Zeit zu Zeit einen Zwischenstand, wie jetzt gerade wieder.
An diesem Donnerstag strahlt der Bezahlsender Sky in seinem Crime-Programm ab 20.15 Uhr die Premiere seiner TV-Dokumentation „Der Parkhausmord – Wer tötete Charlotte Böhringer?“ aus. Schon die offene Frageform im Titel lässt erkennen, dass der Fall als durchaus fragwürdig dargestellt wird: Denn es gibt ja jemanden, der als Mörder verurteilt worden ist, Böhringers Neffe Benedikt T. eben.
Neben den Morden am populären Schauspieler Walter Sedlmayr (1990) und am nicht minder prominenten Modeschöpfer Rudolph Moshammer (2005) gehört der Parkhausmord aus dem Jahr 2006 zu den aufsehenerregendsten Kriminalfällen der jüngeren Stadtgeschichte. Die damals 59 Jahre alte Charlotte Böhringer war eine vermögende Witwe, die in der besseren Münchner Gesellschaft verkehrte. Ihr gehörte ein großes Parkhaus in der Innenstadt mitsamt einer Penthouse-Wohnung auf dem Dach. In der war sie am 15. Mai 2006 brutal erschlagen worden.
Ihr Neffe geriet schnell unter Verdacht der Ermittler, ihm wurde auch der Prozess gemacht, es war einer der längsten in der Münchner Justizgeschichte. Nach 93 Verhandlungstagen zwischen Mai 2007 und August 2008 wurde Benedikt T. zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt; dabei stellte das Landgericht München I eine besondere Schwere der Schuld fest, wegen Habgier und Heimtücke. Das Urteil erging aufgrund einer Reihe von Indizien, es gab keine Augenzeugen, keine Tatwaffe, kein Geständnis. Das schon gar nicht: Bis heute beteuert Benedikt T. seine Unschuld. Sein Anwalt Witting warf Polizei und Staatsanwaltschaft einseitige Ermittlungen vor, auch den Richtern macht er immer noch Vorwürfe.
Das Urteil war von Beginn an umstritten. Manche halten T. für schuldig, andere glauben an seine Unschuld. Die Polarisierung spiegelt sich in der 97 Minuten langen Dokumentation wider, auch wenn Ermittler, Strafverfolger und Justizvertreter zu keinen Stellungnahmen vor der Kamera bereit waren. Deshalb kommen überwiegend T. selbst und ihm eher wohlgesonnene Menschen zu Wort.
Alt-OB Ude spricht von einer fragwürdigen Vorwurfskette
T. war ja im April 2023 nach 17 Jahren Haft auf Bewährung aus der Justizvollzugsanstalt Straubing entlassen worden, nachdem ihm Gutachter eine günstige Sozialprognose gestellt hatten. Das Filmteam von Sky war dabei, als er von Eltern, Bruder und Freunden in Empfang genommen wurde. Es hat ihn seitdem begleitet. Benedikt T. arbeitet inzwischen bei seinem jüngeren Bruder, dem die Parkgarage mittlerweile gehört. Zu den Bewährungsauflagen, die T. einhalten muss, gehört, dass er bei seinen Eltern wohnt und sich bis 2028 nichts zuschulden kommen lässt.
Im Film gibt es durchaus auch differenzierte Einschätzungen, die etwa Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude so formuliert: „Ich bin nicht von seiner Unschuld überzeugt. Aber ich bin überzeugt, dass die Vorwurfskette so fragwürdig ist, so voreingenommen ist, so fehlerhaft in manchem Einzelurteil, dass man damit einen Menschen nicht hätte für Jahrzehnte hinter Schloss und Riegel bringen dürfen.“
Der studierte Jurist Ude hat sich zuletzt in einem regen und aktiven Unterstützerkreis für T. engagiert, den seine Stieftochter Susanne von Lieven-Jell und deren Freundin Marie Velden vor rund drei Jahren initiiert hatten. Die Fotografin und die Autorin vertieften sich in die Akten und förderten neue Erkenntnisse zutage, die dazu führten, dass Anwalt Peter Witting nach zwei gescheiterten Anläufen einen dritten Versuch unternahm, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.
Beim ersten Mal hatte es mehr als zwei Jahre gedauert, ehe das Landgericht Augsburg den im Oktober 2012 eingereichten Antrag verwarf; im Dezember 2014 war das. Den zweiten Versuch vom Februar 2019 schmetterte das Augsburger Gericht dann schneller ab, bereits nach 15 Monaten. Dass Witting mit seinem Ansinnen nun erneut ans Landgericht Augsburg verwiesen worden ist, moniert in der Sky-Doku im Übrigen selbst Gisela Friedrichsen, eine der renommiertesten Gerichtsreporterinnen Deutschlands, die den Urteilsspruch ansonsten verteidigt. Witting hätte ja gern ein anderes, neues Gericht mit dem Thema befasst.
Der Unterstützerkreis hat seine Arbeit im Übrigen inzwischen eingestellt und sich aufgelöst. Vor vier Wochen hat Susanne von Lieven-Jell auch die Seite „zweifelhaft.org“ aus dem Netz genommen, auf dem die beiden Frauen den Fall, das Urteil und ihre Erkenntnisse ausführlich dargestellt hatten. Nachdem Benedikt T. mittlerweile auf freiem Fuß sei, könne er nun selbst um seine Rehabilitierung kämpfen, hieß es zur Begründung.
T.s Verteidiger Witting kündigt in der Sky-Doku indes an, nicht aufgeben zu wollen. „Die Suche nach der Wahrheit ist für mich noch nicht abgeschlossen“, sagt er.