Park:Dieser Mann wacht über den Englischen Garten

Park: Thomas Köster macht eine kurze Pause am Kleinhesseloher See. Jetzt beginnt die Saison im Englischen Garten.

Thomas Köster macht eine kurze Pause am Kleinhesseloher See. Jetzt beginnt die Saison im Englischen Garten.

(Foto: Robert Haas)

Mit den Hippies kamen die Nackten, trotz der Grünenbewegung wächst das Müllaufkommen: Seit 1994 ist Thomas Köster Herr über 376 Hektar. Ein Rundgang.

Von Gerhard Fischer

Wenn man in Thomas Kösters Büro kommt, schaut man sofort auf die zwei sehr langen Hörner, die an der Wand hängen. Man starrt diese exotischen Dinger fast an - und denkt an den Film "Männer, die auf Ziegen starren" mit George Clooney. "Das sind die Hörner einer Oryxantilope", sagt Köster in die Gedanken hinein. Natürlich redet man erst einmal über die Antilope und den Urlaub in Namibia und nicht über den Englischen Garten, dessen Chef Thomas Köster ist.

Dann geht es gleich um den Fußballverein SV Darmstadt 98 und wieder nicht um den Englischen Garten. Aber das macht nichts, Thomas Köster soll ja vorgestellt werden - und zu Köster gehört es, dass er sich nicht um Programmpunkte schert, sondern gerne plaudert. Also Darmstadt.

Er kommt aus Südhessen, und da ging er halt zum Spiel des FC Bayern gegen Darmstadt 98. Er hat dort Helmut Markwort getroffen, den damaligen Chefredakteur des Focus. Markwort, gebürtiger Darmstädter, habe sofort hessisch mit ihm gebabbelt. Thomas Köster, 56, erzählt die Geschichte einfach so. Man hat nicht den Eindruck, er mache Namedropping mit Markwort.

In den nächsten zweieinhalb Stunden wird er dann viel über den Englischen Garten reden, in den jährlich 5,5 Millionen Besucher kommen; der sehr lang (5,5 Kilometer) und sehr schmal (maximal 1,1 Kilometer) ist; und der 376 Hektar groß ist - das sind weit mehr als 1000 Fußballfelder. Man nimmt ja immer Fußballfelder, um etwas anschaulich zu machen.

Was Köster von der Tunnel-Idee hält

Es gibt nun den Plan, den Isarring, der den Park durchschneidet, durch einen Tunnel zu führen; damit könnten der Nord- und der Südteil des Englischen Gartens wieder verbunden werden. Gelänge das, kämen noch ein paar Fußballfelder hinzu. Köster fände das toll. "Unmittelbarer könnte wertvolles innerstädtisches Grün nicht zurückgewonnen werden", sagt er.

Thomas Köster geht nach draußen, setzt sich auf eine Bierbank am Chinesischen Turm und liefert weiter Fakten, Fakten, Fakten. Zum Beispiel: "Es gibt im Park vier Biergärten mit insgesamt 15 000 Sitzplätzen." Oder: "Mehr als 90 Prozent des Jahreshaushalts für Personalkosten und Parkunterhalt werden über die Einnahmen von Mieten und Pachten gedeckt." Mieten für die Werkswohnungen der Mitarbeiter und Pachten für die Biergärten oder die Schrebergärten, zum Beispiel.

Der Englische Garten gehört ja zur Schlösser- und Seenverwaltung, dessen Chef der Heimat- und Finanzminister Markus Söder ist. Deshalb könnte man sehr verkürzt sagen, der Englische Garten gehöre dem Söder. Aber damit würde man den Seehofer ärgern.

Thomas Köster steht auf und fährt mit seinem Dienstwagen zum Seehaus, wo sich das Denkmal des Englischen-Garten-Planers Friedrich Ludwig von Sckell befindet. "Ein bescheidener Gärtner und ein sehr sozialer Mann, der sein Wissen immer bereitwillig weitergegeben hat", sagt Köster, als er vor dem Denkmal steht. Dann setzt er sich auf den Steg, wo an diesem schönen März-Nachmittag die Schwäne vorbei schwimmen und die Gäste vor dem Kiosk hocken, ein Bier trinken und Zigarillos rauchen.

Wenn der Chef durch den Park fährt

Gerade beginnt die Saison im Englischen Garten. Am Kleinhesseloher See werden die Boote in Betrieb genommen, die Leute strömen wieder in die Biergärten. "Im Frühjahr gibt es den meisten Umsatz", sagt Köster, "weil die Leute nach dem Winter raus wollen." Und weil sie den ganzen Tag da seien; im Sommer kämen sie eher abends, da sei es ihnen tagsüber zu heiß. Thomas Köster blinzelt in die Sonne. An diesem Tag ist es nicht heiß, sondern warm. Die Sonne tut richtig gut nach dem Winter.

Dann fährt Köster weiter durch den Garten, es ist sozusagen eine Ortsbefahrung. Das Dienstauto hat ein Blaulicht. Aber das schaltet er natürlich nur im Notfall ein. Gerade muss er bremsen, weil eine Fußgängerin mitten auf dem Weg spaziert. Köster wartet. Die Frau geht bedächtig weiter. Sie achtet nicht auf das Auto hinter sich. Hört sie nicht gut? Köster wartet immer noch. Ob man das Blaulicht . . .? Natürlich nicht. "Fußgänger haben hier im Englischen Garten Vorfahrt", sagt er. Selbst wenn der Chef kommt.

Man kann salopp sagen, Thomas Köster sei der Chef des Englischen Gartens. Aber sein genauer Titel lautet: Verwaltungsvorstand. Er hat 60 Mitarbeiter und Verantwortung für ganz viele Dinge. Er habe zum Beispiel "die gärtnerische Leitung des Pflegebetriebs", sagt Köster. "2015 haben wir den Schwabinger Bach auf 100, 150 Meter renaturiert - so etwas gefällt mir, den Park zu gestalten ist die schönste Aufgabe, die ich hier habe."

Wie der Englische Garten entstanden ist

Die Frau ist endlich zur Seite gegangen. Thomas Köster gibt Gas, er fährt wieder zurück zu seinem Büro am Chinesischen Turm. Das Dienstzimmer ist in einer ehemaligen Werkstatt untergebracht. Es ist ein schöner Arbeitsplatz, man hört Vogelgezwitscher, in einer Pfütze vor dem Büro badet ein Rabe. An den Wänden hängen nicht nur die Hörner der Oryxantilope, sondern auch alte Pläne, etwa eine Kopie des ersten Plans "von dem churfürstlichen Englischen Garten". Am 13. August 1789 gab Kurfürst Carl Theodor die Anordnung, einen Volkspark im englischen Landschaftsstil anzulegen. 1792 durfte die Bevölkerung den Park erstmals betreten.

Im 20. Jahrhundert hätten dann zwei Ereignisse und eine Bewegung den Charakter des Gartens verändert, sagt Köster in seinem Büro: die Olympischen Spiele 1972, die 200-Jahr-Feier 1989 und die 68er-Bewegung. Es waren die Rebellen von 1968, die sich den Park nahmen, vor allem die Wiesen im Südteil, die zunächst gar nicht betreten werden durften. "Da sind hier auch die ersten Nackerten gewesen, und als sie sich beim Chinesischen Turm eine Maß Bier holen wollten, wurden sie weggescheucht", erzählt Köster. Er lacht. "Der Wirt hat gesagt: Schleicht's eich, einem nackten Mann kann man ja nicht in die Tasche greifen."

Die Olympischen Spiele hätten den Englischen Garten dann weltweit berühmt gemacht, sagt Köster, und 1989, nach der 200-Jahr-Feier, "gab es noch einmal einen Run". Rehe und Rebhühner seien deshalb aus dem Englischen Garten verdrängt worden. "Dennoch haben wir hier keinen Eventpark wie den Hyde Park in London, wo ohne Rücksicht auf die Natur öffentliche Konzerte oder Werbeveranstaltungen im großen Stil stattfinden", sagt er.

Stattdessen würden die Leute lesen, musizieren, Volleyball oder Fußball spielen. "Alles ist eher unorganisiert und frei - das ist der Geist, der hier weht." Ein Satz des Bildhauers Franz Schwanthaler sei das Motto des Englischen Gartens: "Harmlos wandelt hier! Dann kehrt neu gestärkt zu jeder Pflicht zurück."

Thomas Köster, der bisher mit sehr viel Ausdauer erzählt hat von Schwanthaler und Sckell, von Südhessen und von seiner Vergangenheit als Demonstrant gegen die Startbahn West in Frankfurt, macht kurz eine Pause. Er bemerkt, wie der Blick des Gastes an einem Schwarz-Weiß-Bild an der Wand hängen bleibt. Auf dem Bild ist ein Mann mit beeindruckenden Koteletten zu sehen.

"Das ist Ernst Noack, ein Onkel meiner Großmutter", ruft er aus. "Der war Großherzoglicher Hofgarteninspekteur in Darmstadt." Großherzoglicher Hofgarteninspekteur - früher klangen die Titel einfach besser als heute. Gravitätischer. Jedenfalls habe dieser Noack einmal bei Friedrich Ludwig von Sckell vorbeigeschaut, um von ihm das Gärtnern des englischen Landschaftsgartens zu lernen, erzählt Köster. Heute würde man vielleicht Praktikum dazu sagen.

Wie Köster zu dem Job kam

Thomas Köster hat erst eine Gärtnerlehre gemacht, dann in Weihenstephan Landschaftsarchitektur studiert. Es folgten einen Ausbildung zum Beamten und eine Anstellung bei der Regierung von Unterfranken in Würzburg. 1994 wurde er dann gefragt: "Würden Sie sich die große Aufgabe der Leitung des Englischen Gartens in München zutrauen?" Köster, durchaus selbstbewusst, sagte zu.

Er war damals erst 34 Jahre alt. Es sei eine harte Zeit gewesen, sagt er, zumal er auch kleine Kinder hatte; der neue Job erforderte "viele Überstunden und persönliches Engagement". Das ist auch heute noch so. "Oft kommen noch Parkbesucher nach Dienstschluss und wollen etwas mit mir besprechen", sagt Thomas Köster. Kann man eine Party machen? Solche Sachen.

Wie sich das Park-Treiben verändert hat

Anfangs habe er den Garten noch gegen die Bürger verteidigen wollen, sagt er. Heute meint Köster, dass "die Verwaltung sich zurückhalten soll - sie soll nicht reglementieren und die Leute belehren". Oder sie gar überwachen. "Wenn da einer sofort nach der Parkaufsicht ruft, weil etwas passiert ist, dann blocke ich das ab - sollen hier Polizisten und Sicherheitskräfte herumlaufen?" Die Einsicht komme durch Eigenverantwortung und nicht durch Verbote, sagt er, "das ist wie bei der Kindererziehung".

Was hat sich verändert in den vergangenen 22 Jahren? Es gebe mehr Müll, sagt Köster. Von 45 Tonnen im Jahr auf nun 120 Tonnen stieg das Volumen - trotz der Grünenbewegung. Etwas abfällig sagt er: "Burger to go, Pizza to go, Kaffee to go." Die Müllentsorgung koste mehr als die Wiesenpflege, erklärt Köster. "Das ist traurig für uns Gärtner."

Die Menschen hätten sich auch verändert. "In den Neunzigerjahren haben die Leute bei einem Streit gleich immer mit dem Rechtsanwalt gedroht", sagt er. Heute seien sie nicht mehr so aggressiv. Aber sie hätten "weniger Blick" für die Natur. "Wenn ich früher etwas im Englischen Garten gepflanzt hatte, gab es Reaktionen, sogar Briefe", sagt Köster. "Heute fehlt die Wertschätzung dafür." Vielleicht liegt es daran, dass die Leute weniger die Natur anschauen und mehr auf dem Smartphone herumwischen. "Die joggen ja auch mit Stöpseln im Ohr", sagt er.

Er regt sich darüber nicht auf. Er erzählt es nur. Er wirkt gelassen. Das liegt sicher auch am Alter. Und dass er den Job schon seit 22 Jahren macht. Die lange Amtszeit hat Tradition: Thomas Köster ist seit 1789 erst der neunte Chef des Englischen Gartens. Man kann das auch Nachhaltigkeit nennen.

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