Abtreibungsrecht:150 Menschen demonstrieren gegen Paragraf 219a

Abtreibungsrecht: "Mein Körper, meine Entscheidung", haben die Demonstranten unter anderem auf ihre Plakate geschrieben.

"Mein Körper, meine Entscheidung", haben die Demonstranten unter anderem auf ihre Plakate geschrieben.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Wir Frauen haben ein Recht auf Information", fordern die Demonstranten auf dem Marienplatz. In München sei die Situation besonders schlecht.

Von Tom Soyer

"Hört auf, die Ärztinnen zu bedrängen und zu kriminalisieren", schallt es am Samstag über den Marienplatz. "Weg mit Paragraf 219a!" Und vermutlich gibt es diesen Ruf zeitgleich noch in 25 anderen deutschen Städten, wo insgesamt rund 6000 Menschen gegen den umstrittenen Strafrechtsparagrafen 219a ("Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch") demonstrieren. Die Aktion ist auch ein Zeichen der Solidarität, beispielsweise mit der Frauenärztin Kristina Hänel, die im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Website darüber informiert hatte, dass sie auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.

Das Urteil löste eine deutschlandweite Debatte darüber aus, ob der Paragraf 219a noch zeitgemäß ist. Für die rund 150 Menschen auf dem Marienplatz ist klar: Deutschland hinkt inzwischen sogar hinter streng katholischen Ländern wie Irland oder Spanien beim Abtreibungsrecht hinterher, wo es legale Fristenlösungen gibt. Entsprechend unsinnig sei es, Frauen keinen allgemeinen und freien Zugang zu Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zu gewähren. "Wir Frauen haben ein Recht auf Information" steht deshalb auf einem Plakat vor dem Münchner Rathaus - die "Unterdrückung von Frauenrechten" hingegen sei leider auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts noch nicht überwunden. Stattdessen müsse man sich mit zwei Uralt-Paragrafen herumplagen: dem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen (Paragraf 218) aus dem Jahr 1871 und dem 219a aus dem Jahr 1933.

Rechtsanwältin Juliane Beck, die als Gesundheitsaktivistin auch dem Bundesvorstand des Arbeitskreises Frauengesundheit angehört, weist darauf hin, dass es Frauen in so einer Entscheidungsnotlage in München sogar besonders schlecht getroffen haben. In Hamburg, Berlin oder Bremen gebe es wenigstens alle Informationen online auf Behördenseiten über Praxen und Kliniken, die Abtreibungen vornehmen. In München hingegen dürfe "offiziell nur die städtische Beratungsstelle, mit 2,5 Stellen die kleinste Schwangerenberatung, für eine Millionenstadt Adressen herausgeben". Zudem gebe es verschiedene Abbruchmethoden, also noch mehr Informationsbedarf. Paragraf 219a aber verhindere, dass Praxen solche Informationen anböten, etwa auf ihrer Homepage.

Bundesweit organisiert die zeitgleichen Demonstrationen ein überparteiliches "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung". Beim Münchner Demo-Ableger, den das Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation (Kofra) und die Gruppe "RadFems Munich" veranstaltet, wird in mehreren Redebeiträgen harsch kritisiert, dass auch nach dem Urteil gegen Gynäkologin Hänel die "Unterdrückung von Frauenrechten als Teil der Agenda der politischen Rechten" weitergehe. Dass die SPD in der Berliner Regierungskoalition doch wieder einknickte und Ende 2018 mit der CDU statt der Beseitigung des Paragrafen 219a nur ein Eckpunktepapier zur "Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonflikten" vorlegte, bei dem 219a bestehen bleibt, wird mit Buh-Rufen quittiert.

Auch SPD-Politikerinnen kritisieren das direkt oder indirekt auf dem Marienplatz. Als Signal an die Berliner Abgeordneten will die frühere SPD-Stadträtin Monika Renner die Demonstration verstanden wissen, und die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl fordert in einer verlesenen Botschaft: "Streicht endlich das Wort ,Werbung' in Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen, es geht ausschließlich um Information!" Und ergänzt, an Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) gerichtet: "Lasst Euch auf keinen schlechten Deal ein!" Und schlecht ist in diesem Sinne alles, was einen Fortbestand des Paragrafen 219a bedeute.

Evi Tietmann, Geschäftsführerin von Pro Familia Ingolstadt und Mitglied der Landesgeschäftsführung dieses bundesweiten Beratungsverbundes, hält die Abschaffung des 219a für "überfällig" - er stammt aus einer Zeit, "in der Frauen noch das Mutterkreuz bekommen haben und Mutterschaft also oberste Pflicht war". Ebenso fordert sie, endlich ein "bedarfsgerechtes Angebot" zu schaffen für Beratung, aber auch für die Schwangerschaftsabbrüche selbst. Und um dieses "nicht verhandelbare Selbstbestimmungsrecht der Frau" auch nachhaltig abzusichern, auch gleich noch eine "Bannmeile für Abtreibungsgegnerinnen und -gegner vor Beratungsstellen, Kliniken und Arztpraxen".

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