Philipp Lahm wird wirklich böse verhauen - und das auch noch von Grundschülern. Jetzt gleich schlägt ihn Mehdi, auf dem Pausenhof. Der spannt seine rechte Hand an, Daumen und Zeigefinger bilden einen Halbkreis, die anderen drei Finger sind angelegt und wölben sich wie eine Kralle über den Spieleinsatz: vier Panini-Bilder, das oberste zeigt das Gesicht von Philipp Lahm, dem Fußballer mit dem Gesicht eines Grundschülers. Zwei Sticker im Stapel gehören Mehdi, neun Jahre, dritte Klasse, schwarze kurze Haare, schmächtig, zwei gehören Frederik, neun Jahre, vierte Klasse, lange blonde Haare, schlaksig. Die Aufkleber mit den gelangweilt glotzenden Kickern liegen übereinander auf einem kleinen Betonmäuerchen, daneben sitzen die beiden Spieler, umringt von zehn Kindern der Grundschule am Pfanzeltplatz in Perlach. Es ist ein lauer Vormittag. Niemand in der Runde um Mehdi und Frederik sagt etwas, und das in der großen Pause. Ein klares Indiz für grassierendes Panini-Fieber.
Panini-Bilder sammeln zur Fußball-WM in Südafrika, Volksschule am Pfanzeltplatz in Perlach, 11.5.2010,Foto : C : Stephan Rumpf
(Foto: sonstige)Die Klebebilder der italienischen Firma Panini sind seit dem 26. April in den Läden und mittlerweile überall. Ob in Schulen, Mensen, Kneipen oder Biergärten, ob die Sammler fünf oder 50 Jahre alt sind, jeder will David Villa haben, den spanischen Stürmer mit der Sammelnummer 579, von 640. So viele Aufkleber (Cannavaro ist oben in Originalgröße abgebildet) müssen in das aktuelle Fußball-WM-Album eingeklebt werden, bis es voll ist. Zu diesem Ziel führen verschiedene Wege, wenig Taschengeld gepaart mit guten Klopftricks zum Beispiel, oder einfach viel Geld - ein Tütchen mit fünf Bildern kostet 60 Cent - und viele Doppelte. Obwohl es wohl wenig sinnfreiere Tätigkeiten gibt, als Fußballerfotos in ein DinA4-Album zu kleben, machen das erstaunlich viele. Bei der WM 2006 verkaufte Panini in Deutschland 800 Millionen Bildchen. Warum eigentlich? Und welche Tricks weiß Mehdi?
Der schmale Junge mit der Brille holt kurz aus, schlägt zu, und seine gewölbte Hand klatscht auf Lahms Gesicht. Der Unterdruck reißt die Bilder ein paar Zentimeter in die Luft, dann fallen sie zurück, die Gesichter immer noch oben. Chance vertan, denn nur wenn sich die Sticker auf ihre Rückseite drehen, darf Mehdi sie behalten. Frederik ist dran. Er hat seine linke Hand zur Faust geballt, damit sie ein wenig feucht wird und die Bilder besser haften. Die Panini-Gesetze sagen: Hand nass machen verboten, anhauchen und Faust ballen erlaubt.
Der Panini-Markt sagt: David Villa ist etwas besonderes, denn er ist ein guter Spieler. Nicht so gut wie Lionel Messi natürlich, der Star aus Argentinien mit der Nummer 122 (im Album). "Ein Messi?", überlegt Frederik, bevor er zu seinem Schlag ansetzt, "also ein Messi ist so viel wert wie drei Villas, oder zehn Lahms". Hinter Philipp Lahm liegen nur noch Arne Friedrich und die Spieler von Japan oder Korea, weil die keiner aussprechen und auseinanderhalten kann.
Frederiks Klopf-Technik ist anders als die von Mehdi. Seine aufgewärmte Hand klatscht ganz flach auf das Bild von Lahm, die Sticker heben ab, drehen sich in der Luft, und landen wieder, Gesichter nach oben, nach einer ganzen Umdrehung. Pech. Ein Raunen erklingt, und jetzt wird angefeuert, das Duell geht schon seit Minuten hin und her. "Mehdi!, Mehdi!" Der nimmt die Karten, knickt sie leicht, so dass sie nur an den Rändern auf dem Beton aufliegen. Ob das erlaubt ist, darüber ist sich das Publikum nicht einig - aber es wird toleriert. Mehdi setzt seine Handkralle behutsam auf die Karten, es klatscht - und von Lahm ist nur noch die Rückseite zu sehen, die vier Bilder gehören jetzt Mehdi, der sie in seinen Stapel sortiert. Die Trophäen werden erst nach der Schule eingeklebt, ganz in Ruhe. Denn der Ärger über ein schnell und schief angebrachtes Bild ist ähnlich groß wie der über fehlende Sticker.