Münchner Momente:Die Pandemie als Tradition

Münchner Momente: Bald schon Tradition? Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sticht am Eröffnungstag des Oktoberfestes das erste Fass Apfelschorle an.

Bald schon Tradition? Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sticht am Eröffnungstag des Oktoberfestes das erste Fass Apfelschorle an.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wenn bei uns etwas zweimal hintereinander stattfindet, ist es gar nicht mehr abzuschaffen. Aber was bedeutet das für das kommende Jahr?

Von Franz Kotteder

Früher, als das Leben noch diesen Namen verdiente, galt in München ein eherner Grundsatz: Alles, was mehr als zweimal nacheinander stattfand, wurde automatisch zur Traditionsveranstaltung ernannt und musste von da an auf ewig so fortgeführt werden. Das wirft nun, da das zweite Pandemiejahr so langsam zu Ende geht, leider Fragen auf. Was wird bleiben aus diesen zwei Jahren, was wird gar zur neuen Tradition?

Gute Chancen hat: der schlampig ausgeführte, fehlerhafte Selbsttest, der einen davor bewahrt, mit der buckligen Verwandtschaft Weihnachten feiern zu müssen. "Sorry, bin positiv! Muss erst das PCR-Ergebnis abwarten." Die ungeimpfte, verquer denkende Tante wird hoffentlich nicht den Dorfschamanen ihres Vertrauens zur Kontrolle vorbeischicken. Auch das Böllerverbot an Silvester könnte bleiben, weil die Menschen nach zwei Jahren ohne Krach und Raketen plötzlich feststellen, dass es ja völlig unsinnig ist, sich mit explosiven Stoffen freiwillig ins Krankenhaus zu bomben. Nicht sehr glaubwürdig, weil der Mensch so lernfähig nun auch wieder nicht ist? Na gut, da ist was dran.

Dann wäre da noch das Alkoholverbot. Derzeit führt es dazu, dass in der Altstadt kleine Glühweinreservate ausgewiesen werden, die fast so aussehen wie die Raucherzonen auf den Bahnsteigen. Auf dem Marienplatz ist das Reservat auch noch stilecht eingezäunt mit Ketten in den Stadtfarben Schwarz und Gelb. Das weist in die Zukunft. Falls es 2022 wider Erwarten doch noch eine Wiesn geben sollte, könnte man auch dort ein Alkoholverbot einführen. Oberbürgermeister Dieter Reiter würde dann beim Schottenhamel einfach ein Fassl Apfelschorle anzapfen; einige fundamentalistische Hardcore-Biertrinker behaupten eh, der Unterschied zum Schaufelbräu sei gar nicht so groß.

Nach dem Anzapfen ginge es stracks zu den Schaustellern. Statt des Autoscooters "Easy Rider" fährt man dort halt ein paar Runden in der neuen Attraktion "Lastenradrodeo Fraunhofer", vermutlich benannt nach der gleichnamigen Innenstadtstraße. Und wer zu den Bessergestellten zählt, der streift sich seine Starnberger Landhausstilmaske (nur echt mit den Swarovski-Kristallen) über und schaut auf einen Sprung beim Käfer Michi vorbei. Schöne, neue, endemische Welt... Kann natürlich auch sein, dass es künftig überhaupt keine Wiesn mehr geben wird, schließlich hat es jetzt zwei Jahre lang keine gegeben. Und zweimal hintereinander begründet in München bekanntlich eine Tradition.

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