"Palestrina" in München:"Das ist schon eine krude Oper"

Ein begeisteter Papst und historical Incorrectness: Christian Stückl inszeniert Pfitzners "Palestrina" am Nationaltheater.

Egbert Tholl

Von allen Opern, die Hans Pfitzner schrieb, konnte sich einzig "Palestrina" im Repertoire halten. 1917 hatte das Werk, zu welchem Pfitzner selbst den Text verfasste, im Münchner Prinzregententheater Premiere. Darin wird auf historisch nicht unbedingt korrekte Weise erzählt, wie der Komponist Palestrina im 16. Jahrhundert beim Trientiner Konzil den Papst mit seiner Kunst begeisterte und so die Polyphonie in der Kirchenmusik, damaligen konservativen Strömungen zum Trotz, erhalten blieb. Am kommenden Montag hat "Palestrina" an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Regie führt, es ist seine dritte Operninszenierung, Volkstheater-Intendant Christian Stückl; es dirigiert Simone Young (18Uhr).

Palestrina

Am kommenden Montag hat die Oper "Palestrina" von Hans Pfitzner an der Bayerischen Staatsoper Premiere.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Kannten Sie die Oper, als Opernintendant Nikolaus Bachler Sie fragte?

Stückl: Überhaupt nicht.

SZ: Und als Sie zusagten?

Stückl: Da kannte ich sie dann. Die Ansage von Bachler war ja, es gebe da eine große Münchner Oper, und er wolle, dass ein Regisseur, der in München arbeitet, diese inszeniert. Und zwar in seiner ersten Spielzeit. Ich schaute in die Besetzungsliste von "Palestrina" und dachte mir: "O Gott, nur Kardinäle. Das geht ja gut los."

SZ: Man hätte ja auch, im Sinne Bachlers, ein Stück von Richard Strauss nehmen können und nicht diesen "Palestrina", der nur Probleme macht.

Stückl: Jeden Tag fahre ich zwischen Oberammergau und München hin und her, jeden Tag höre ich im Auto Pfitzners Musik. Musikalisch finde ich manche Passagen sehr stark; aber dann frage ich mich immer wieder, wie man so ein Libretto schreiben und das dann noch vertonen kann. Ein Beispiel: "Demnach ist nun die letzte Session/am kommenden dritten Dezember schon." Da denke ich mir schon manchmal, was das soll. Wäre dies ein Schauspiel, würde man vieles gnadenlos streichen.

SZ: Das dürfen Sie aber bei diesem durchkomponierten Stück nicht.

Stückl: Wahrscheinlich sind viele Opernlibretti merkwürdig, aber jetzt habe ich halt das da am Hals. Man fragt sich oft, was Pfitzner mit dieser Oper eigentlich wollte. Der dramaturgische Aufbau ist wahnsinnig kompliziert: Im ersten Akt hat man erst einmal ein Solo, dann ein Duett, wieder ein Solo, wieder ein Duett, ein Solo mit Hintergrundsgeistern, ein Solo mit einem Murmelchor. Und der zweite Akt hat auf einmal fast gar nichts mehr damit zu tun. Im ersten Akt ringt sich der Einzelne eineinhalb Stunden lang unter Qualen das große Werk ab - da hatte ich manchmal den Eindruck eines Absinth-Rauschs. Im zweiten scheitert die Institution Kirche an der Wiedervereinigung der beiden christlichen Konfessionen, ist also unfähig, selbst ein großes Werk zu schaffen, wie sie es vom Einzelnen fordert. Und im dritten Akt huldigt diese zum großen Werk unfähige Institution dem Einzelnen. Das ist schon eine krude Oper.

SZ: Kam Ihnen nicht der Verdacht, Sie wurden deshalb als Regisseur engagiert, weil Sie - wegen Oberammergau - als Fachmann für Kirchenthemen gelten?

Stückl: Dieser Gedanke beschleicht mich ja schnell einmal. Aber für dieses Stück, für den zentralen Konflikt darin bräuchte man keinen Kirchenfachmann.

"Das ist schon eine krude Oper"

SZ: Aber inzwischen sind Sie bewandert in Fragen des Trientiner Konzils.

Stückl: Natürlich habe ich sehr viel darüber gelesen. Es ist bei dieser Oper schwierig herauszukriegen, was wirklich gemeint sein könnte. Pfitzner ist es nicht hundertprozentig gelungen, eine Kritik an der Institution Kirche zu formulieren; er kolportiert diese Kritik nur ein bisserl. Historisch ist so, wie er es darstellt, wahrscheinlich gar nichts wahr. Da wird nur scherenschnittartig etwas abgehandelt - und die große Auseinandersetzung endet im Tumult. Aber eigentlich wäre das Trientiner Konzil ungemein spannend; seine Fragen sind heute noch aktuell, von der Trennung der Kirchen ganz abgesehen. Ein Beispiel: Der Hochaltar wurde auf dem Tridentinum erfunden. Luther sagte, in der Hostie ist Jesus unter der Gemeinde anwesend. Die Katholen sagten: Sobald der Pfarrer sein Zaubersprüchlein gemacht hat, bleibt Jesus in der Hostie. Deswegen baute man einen Hochaltar und einen Tabernakel.

SZ: Hätten Sie lieber das Konzil inszeniert statt der Oper?

Stückl: Im Nachhinein hätte ich das spannend gefunden.

SZ: Und was fasziniert Sie an der Oper?

Stückl: Zunächst einmal ganz stark einfach das Machen von Oper. In Köln habe ich zwei Opern inszeniert, "Fidelio" und "La Cifra" von Salieri - auch kein tolles Stück, aber lustiger als das hier. Und auf der anderen Seite hat die Musik schon etwas Faszinierendes. Ich würde mir das Stück aber nicht aussuchen.

SZ: Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Opernbetrieb?

Stückl: Es ist ein Wahnsinn. Es funktioniert ja sehr gut hier, alle machen mit und ich hatte keine Berührungsängste - da sagte keiner, wo kommt denn der her, auch wenn am Anfang alle grinsen mussten, weil ich bairisch rede. Mit den Leuten zu arbeiten ist schön, aber mein Rhythmus ist es noch nicht. Diese Orchesterbühnenproben halte ich nicht aus; im Zuschauerraum gibt es inzwischen eine Furche, wo ich immer auf und ab gelaufen bin. Der Chor macht wunderbar mit, aber wenn du die Probe nur eine Minute überziehst, ist die Konzentration weg. Es ist faszinierend, wie schnell ein Orchester nach der Sitzprobe verschwunden ist, wenn Frau Young den Stab niederlegt. Das tut sie 20 Sekunden vor Ende der Probe, damit sie noch Zeit hat, "vielen Dank" zu sagen. Das ist der Wahnsinn, wie die organisiert sind.

SZ: Sind Sie mit der Probenzeit zurecht gekommen?

Stückl: Überhaupt nicht. Am Anfang dachte ich ja, sechs Wochen, das passt ja. Aber heute ist Generalprobe, das war's dann. Diesen Rhythmus bin ich noch nicht gewohnt. Zum Teil bin ich in den Orchesterproben auf die Bühne geschlichen, habe mich hinter den Sängern versteckt und die noch hin und her geschoben. Aber eigentlich fing ich zehn Tage vor der Premiere zu leiden an, weil ich nichts mehr machen konnte. Und sobald die Sänger in der ersten Orchesterprobe auf die Dirigentin schauen, geht erstmal gar nichts mehr. Und dann ist noch einer krank, markiert nur, der Geisterchor, der eh nur huhu macht, macht dies daraufhin noch leiser - es ist der Wahnsinn.

SZ: Ging es dann überhaupt um eine Deutung?

Stückl: Bei diesem Ding kannst ja nichts dazuerfinden. Jeder Ansatz, eine neue Situation darüberzustülpen, scheitert. Es wäre ja auch interessant zu zeigen, wie Pfitzner sich an die Nazis ranschmiss, aber bei ihnen nicht den Erfolg hatte, den er gerne gehabt hätte. Ich weiß allerdings nicht, wie man das auf die Bühne bringen sollte.

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