TheaterBüchner im besetzten Palast

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Die Rollen wechseln, jeder und jede trägt mal die Perücke: "Palais Royal" ist eine Theatermontage nach Georg Büchner, die das Theater „Viel Lärm um nichts“ in der Pasinger Fabrik aufführt.
Die Rollen wechseln, jeder und jede trägt mal die Perücke: "Palais Royal" ist eine Theatermontage nach Georg Büchner, die das Theater „Viel Lärm um nichts“ in der Pasinger Fabrik aufführt. (Foto: Robert Haas)

Das Theater „Viel Lärm um nichts“ präsentiert in der Pasinger Fabrik eine Theatermontage mit Texten von Georg Büchner. Das vierköpfige Ensemble entführt in den aktivistischen Zeitgeist des frühen 19. Jahrhunderts, der dem heutigen recht ähnlich ist.

Von Johanna Schmees

„Hol Dynamit. Nimm den Pflasterstein, wirf das Schaufenster ein“, singt das vierköpfige Ensemble nach einem Text von Brezel Göring. Gerade noch ging es um Badebomben von Lush. Dabei basiert das Skript doch auf zweihundert Jahre alten Texten von Georg Büchner. Eine spannende Symbiose.

„Palais Royal“ ist eine Theatermontage nach Büchner. Benannt ist sie nach dem Palast des Königs in Paris, dessen Geschichte eigentlich weit vor Büchners Zeit stattfindet. Wie ein Voiceover zu Beginn des Stücks erzählt, handelt es sich um die Räumlichkeiten des Königs, die schließlich vom Volk eingenommen und als Theater genutzt wurden. Die Geschichte hätte Büchner sicher gefallen. Das Palais Royal ist die imaginäre Bühne auf der Bühne, das Geschehen ist vage lokalisiert, mehr bekommt der Zuschauer nicht – es geht los.

„Die Menschen machen mich konfus!“, ruft König Peterin entrüstet. Porträtiert von Klara Pfeiffer, hat sie sich gerade noch schnell die blonde Perücke übergeworfen. Im Hintergrund drückt einer ihrer ehrfürchtigen Untertanen auf einen Knopf, dann klingelt die Kasse. König Peterin weicht die Empörung aus dem Gesicht, sie stöhnt lustvoll. „Ich habe die Figur so genannt, weil jeder oder jede sie mal durchspielt“, erklärt der Regisseur Arno Friedrich. Neben Pfeiffer stehen nämlich noch Denis Fink, Danielle Green und Leon Sandner auf der Bühne. Es gibt keine festen Rollen, die Grenzen zwischen den Charakteren sind fließend – deshalb wird auch jeder von ihnen mal die Perücke tragen.

Das Skript ist eine Collage aus Büchners Stücken, die durch schauspielerische Raffinesse mit einem minimalistischen Bühnenbild auskommt. Requisiten, die Kulisse, die Charaktere – nichts ist an eine feste Bedeutung gebunden. Mit einem Eimer, einer Spieluhr und einem Sonnenschirm befindet man sich am Strand, klar. Dann auf einem Boot. Und plötzlich im Schloss? Die meisten Szenen haben einen doppelten Boden, es geht um Fluchterfahrungen, Reisen, Wutausbrüche.

Es wird zur Musik der Band Großstadtgeflüster getanzt – und aus der Tür in den Hinterhof geschrien. Ärger habe es deswegen bisher nicht gegeben, sagt Friedrich. Schließlich habe die Pasinger Fabrik, in dessen Räumlichkeiten sich das Theater befindet, kaum Nachbarn. Arno Friedrich macht sich das Theater zum Baukasten, Szene für Szene entstehen aus denselben Mitteln neue Kompositionen. Einen Vorhang vor der Bühne gibt es nicht, zwischen den Akten wird getanzt. Lenz ist im Brunnen, und alles im Fluss.

Klassiker zu bearbeiten, ist gängige Praxis im Theater „Viel Lärm um nichts“. Nach Friedrich Schiller und Wolfram von Eschenbach geht es nun um Georg Büchners Werk. Sein bekannter Name ist aber nebensächlich, vielmehr geht es um das, was er sagen wollte. Büchners gesellschaftskritischen Texte aus dem vorindustriellen Zeitalter passen nämlich perfekt in den aktuellen Zeitgeist. Dabei schreibt Regisseur Arno Friedrich schon seit drei Jahren an dem Stück.

Zunächst wollte er „Leonce und Lena“ umsetzen, bemerkte aber schnell, dass Büchners fragmentiertes Gesamtwerk mehr Potenzial für eine Montage bereithielt. „Das ist das Schöne daran: Man kann es zertrümmern, denn es ist schon ein Scherbenhaufen“, sagt er schmunzelnd. Gemeinsam mit dem Ensemble experimentierte er mit den Texten, nachts schrieb er am Skript. Friedrich ergänzte selbst ein paar Zeilen, nicht nur der Handlung zuliebe, sondern auch damit zwischen den alten Texten mal richtig modern geflucht werden kann.

„Palais Royal“ ist nicht nur für Büchner-Fans. Es ist ein Stück über die zahlreichen Berührungspunkte eines zweihundert Jahre alten literarischen Werks mit dem, was uns heute umtreibt. Denn es geht um Eliten, um Wut und Widerstand. Oder wie Regisseur Arno Friedrich sagt: „um das Kämpfen dagegen“.

Palais Royal, Theater „Viel Lärm um nichts“ in der Pasinger Fabrik, nächster Termin: 31. Dezember, 18 Uhr, weitere Vorstellungen bis 22. Februar 2025.

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