Nachtleben: Pacha-Chef Michi Kern:"Im P1 schläft dir der Arsch ein"

Pacha-Chef und Neu-Student Michi Kern über die Clubs, den Luxuswahn in der Innenstadt, die Selbstinszenierung der Schickimicki-Szene - und die Frage, wie man sich das Münchner Nachtleben überhaupt leisten kann.

M. Bremmer u. C. Mayer

Michi Kern, 44, feiert nicht mehr. Zumindest nicht bis tief in die Nacht. Der Chef des Nachtclubs Pacha studiert jetzt Philosophie. Vorlesungen sind täglich von 9 bis 12 Uhr, nachmittags sitzt der Nachtleben-Enthusiast, der - zusätzlich zum Pacha - gemeinsam mit anderen das Zerwirk, das Künstlerhaus, die Kong Bar, das Café Reitschule, die Taverna Cavos sowie drei Yoga-Schulen besitzt, in Seminaren. Die tiefgründigen Diskussionen, aber auch der Kontakt zu den Studenten haben seinen Blick auf München verändert.

Nachtleben: Pacha-Chef Michi Kern: Gastronom Michi Kern studiert jetzt Philosophie.

Gastronom Michi Kern studiert jetzt Philosophie.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wie ist es denn, mit Münchner Studenten Anfang 20 in Seminaren zusammenzusitzen? Sie haben viel Lebenserfahrung, haben den Kommilitonen viel voraus . . .

Gerade bei der Philosophie ist es vollkommen egal, was du bist. Es geht nur darum, welche Inhalte du bringst. Das ist eine interessante Erfahrung für mich. Ich gehe ja oft in Gespräche, bei denen die Leute unbedingt Geschäfte mit mir machen wollen - da ist es nicht ganz so wichtig, was man sagt.

Wie ist der Altersunterschied für die Studenten?

Die Kommilitonen waren am Anfang natürlich ein wenig irritiert. Sie wussten auch zunächst nicht, was ich mache.

Und wie haben Sie sich den Kommilitonen vorgestellt? Als Club-Chef?

Ich habe ihnen gesagt, ich arbeite in der Gastronomie. Und da haben sie eben gedacht, ich arbeite an der Bar, bin so eine verkrachte Existenz - das hat sich erst nach und nach aufgeklärt.

Und jetzt? Stehen die Kommilitonen immer auf der Pacha-Gästeliste?

Ist zu teuer. Das ist übrigens auch eine interessante Erfahrung - zu sehen, wie die Lebensumstände eines normalen Studenten in München sind. Alles ist wesentlich zu teuer, das Pacha ist zu teuer, Künstlerhaus ist zu teuer, Reitschule ist zu teuer. Das kommt für sie überhaupt nicht in Frage.

Es ist aber auch abseits von den Studenten schwer zu verstehen, wie das viele Münchner jeden Abend finanzieren können - Ihre Läden sind ja nicht ganz billig.

Stimmt. Das ist ein Phänomen. Daran sieht man aber, wie viel Geld in München locker sitzt. Aber für mich ist es zum Teil schon auch rätselhaft, was die Leute da ausgeben, da werden mal so nebenher 400, 500 Euro rausgehauen. Und das jedes Wochenende oder jeden zweiten Tag.

Dass kommerzielle Dinge relativ sind, lernt man vermutlich im ersten Semester. Was war denn Ihre Motivation, dieses Studium zu beginnen. Gab es eine gewisse Langeweile? Waren Sie nicht mehr so ehrgeizig, einen neuen Laden aufzumachen?

Ich wollte wirklich etwas lernen. Ich war schnell begeistert von der Idee, denken zu lernen - das ist ja auch der Slogan der Hochschule hier. Die Erkenntnis war, dass man nicht so besonders gut denken kann, leider. Und dass der Wert von kommerziellen Erfolg sehr relativ ist, habe ich zwar vorher gewusst. Aber hier habe ich es ganz anders wertschätzen gelernt. Hier bemisst sich Erfolg an etwas ganz anderem, man hat auch ganz andere Erfolgserlebnisse - etwas verstanden zu haben, ein tolles Referat gehalten zu haben.

"In München ist immer ein gewisses Augenzwinkern mit dabei"

Wenn man jeden Tag kluge Gespräche führt und jede Menge nachdenkt - kommt einem dann das Nachtleben, das Münchner Schicki-Micki-Publikum ein bisschen hohl vor?

Ja und nein. Es kommt einem deswegen nicht hohl vor, weil Nachtleben eigentlich immer ziemlich authentisch ist. Auch unsere Gäste sind irgendwie authentisch, verrückt-authentisch, reich-authentisch. Oder berühmt-authentisch. Dass die Gespräche nicht immer so toll sind, gut. Aber dafür ist die Empathie größer, die Begeisterung. Aber man hat schon ein Gefühl dafür, dass das absolut nicht alles sein kann.

Wie würden Sie das Münchner Publikum beschreiben? Es ist ja auf der einen Seite diese Schicki-Micki-Welt, auf der anderen Seite ist es eine sehr spezielle Auswahl, die sich das überhaupt leisten kann, und drittens ist es seit Jahrzehnten hedonistisch veranlagt, sonst würde es ja nicht ausgehen...

Wir haben ja sehr unterschiedliches Publikum. Im Kong ist etwa eine ganz andere Szene, die Gärtnerplatz-Szene, München-Mitte-Szene, sehr individuelle Leute, die einen ganz anderen Anspruch haben, an die Musik, an das Programm, an sich selbst, an ihren Style - nicht unbedingt einen höheren, aber einen anderen.

Jede Szene ist ein bisschen anders - aber gibt es auch etwas Typisches für die Stadt?

Was schon das Typische sein könnte an unserem Münchner Publikum, ist eine gewisse Großzügigkeit, eine Toleranz. Nicht nur, was das Geld ausgeben betrifft, es nimmt sich nicht ganz so wichtig.

Moment. Die Menschen, die unterwegs sind, haben einen Hang zum Inszenieren, zum Darstellen. Man hat schon den Eindruck, dass sie sich wichtig nehmen...

Trotzdem ist in München immer ein gewisses Augenzwinkern mit dabei. Selbst die Leute, die im P1 auf der Flasche Champagner sitzen, verstehen beim fünften Mal, dass es eine Inszenierung ist. Auch die sogenannten "rich kids" verstehen schnell, dass es ein Gesellschaftsspiel ist, sich Champagner zu bestellen und sich aufzuplustern. Wenn sie das wahnsinnig ernst nehmen würden, dann würde es nicht so ein irres Barhopping geben, dann würden sie in einem Laden bleiben.

Ist das Münchner Nachtleben einer Weltstadt angemessen? Oder ist es eher kleinstädtisch?

Ich kenne wenig Städte, in denen das Nachtleben so vielfältig und gut ist wie in München. Wir haben hier doppelt so viele gute Läden wie anderswo. Die guten Clubs haben München zumindest aufgemischt. Mit dem Zerwirk standen wir in der New York Times und im Wallpaper Magazin.

"Eine Luxus-Retorte nach der anderen"

Vor 25 Jahren war München tot in dieser Hinsicht, da sind die Münchner aufs Land gefahren, um zu feiern...

Da hat der Hallen-Mogul Wolfgang Nöth viel bewegt. Weil er vielen jungen Menschen die Möglichkeit gegeben hat, etwas auf die Beine zu stellen, zuerst am Flughafen, dann im Kunstpark Ost. Und er hat ein paar Hürden entfernt, etwa die Sperrzeit, und das im Alleingang.

Müsste ihm OB Ude die Medaille "München leuchtet" verleihen?

OB Ude findet es vermutlich blöd, dass ihm das damals passiert ist. Aber er hatte zu dieser Zeit keine andere Möglichkeit. Die Lockerung der Sperrzeit hat viel zu der Entwicklung in der Innenstadt beigetragen. Klar, vorher hat alles um 1 Uhr zugemacht - das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.

Gibt es noch andere Gründe, warum die Münchner Innenstadt so aufgelebt ist - zumindest in der Nacht?

Es lag ganz banal an der Immobilienkrise. Plötzlich standen für einen kurzen Moment Flächen zur Verfügung, plötzlich war es auch möglich, dass die Stadt die vielen Umnutzungen erlaubt hat. Aber das ist mittlerweile wieder vorbei. In dieser Richtung hat das Nachtleben ziemlich an Unbefangenheit verloren.

Zu viel Luxus - ist das Ihr Kritikpunkt?

Herr Ude müsste sich zumindest fragen, was er hier eigentlich macht - eine Luxus-Retorte nach der anderen, die Lenbachgärten, die Nymphenburg-Höfe, das ist alles tot. Hier müsste die Stadt extrem gegensteuern.

Inwiefern?

Was München interessant gemacht hat oder immer noch interessant macht, sind doch die Menschen, und nicht diese Investoren, nicht die Leute, die in den Lenbach-Gärten wohnen. Das ist eine ganz gefährliche Geschichte, hier wird München nach und nach viel verloren gehen.

Zum Beispiel?

Der Wildwuchs, das Kreative, das macht das Nachtleben spannend. Aber das wird kaputt gemacht, über den Gelddruck und den Geldwahnsinn. Hier müsste die Stadt Flächen zur Verfügung stellen, Einfluss bei der Bauplanung nehmen.

"Man will das Unkommerzielle nicht mehr haben"

Aber als Pacha-Chef müssten Sie es doch begrüßen, wenn noch mehr Reiche zuziehen - ist doch Ihre Klientel.

Aber die langweilen sich doch alleine unter sich, und es würde ja auch für uns immer langweiliger. Das Pacha ist ja ein kommerzielles Projekt mit Anspruch und kommerziell auch erfolgreich - das muss es ja auch sein bei der Miete. Genauso wie die Reitschule oder das Künstlerhaus. Aber wir wollen eine Mischung beim Publikum.

Kommerziell heißt langweilig?

Ist das P1 ein Laden, den interessante Menschen interessant finden? Nein, da schläft dir der Arsch ein - und das ist jetzt nicht mal böse gemeint. Man wäre ja an ganz anderen Sachen interessiert, daran, aus wenig viel zu machen. Aber das kannst du in München nicht mehr.

Merkt man das München bereits an?

Seit ein, zwei Jahren hat sich irgendwie die Atmosphäre geändert - die ganzen Großprojekte, die vielen Verbote. Irgendwie habe ich das Gefühl, man will das Unkommerzielle nicht mehr haben.

Ist das nur ein Gefühl?

Wo sieht man denn hier noch ausgeflippte Leute? Außer die zehn Punks am Marienhof. Es ist alles konservativ und abgezirkelt.

Liegt das an der Stadtpolitik?

Natürlich. Es ist doch zunächst mal eine Frage der Stadt, was sie mit den Flächen machen will. Und was sie mit den Investoren bespricht. In der Hofstatt, bei der Residenzpost, was will man denn da haben? Und am Ende kommt immer das Gleiche raus, und man bietet Gastronomiefläche an, bei denen der Quadratmeter bis zu 100 Euro Miete kostet. Was soll das schon werden? Da macht gleich die nächste Kette auf.

"Irgendwann gibt es dann nichts mehr Lustiges"

Was wäre denn die Alternative? Eine Wildwuchs-Quote?

Das geht ja wahrscheinlich nicht. Aber die Stadt setzt schon Zeichen damit, wenn alles an Investorengruppen verkauft und überhaupt kein Einfluss darauf genommen wird, was kommt. Irgendwann ist es dann aus, irgendwann gibt es dann nichts mehr Lustiges.

Warum ist München für Sie - trotz all dieser Kritik - so lebenswert und liebenswert, dass Sie dennoch hier bleiben.

Weil man in München viel machen konnte und wir auch viel gemacht haben - auch wenn es meine These ist, dass sich das gerade verändert.

Und generell?

Ich genieße das Kulturangebot, die Theaterstücke, die Opern, da renne ich jede Woche hin. Das Klima, den Münchner Himmel. Und dass man hier so unkompliziert Menschen kennenlernen kann.

Zum Beispiel?

Kürzlich bin ich nach der Lesung von Albert Ostermaier anderen Münchnern vorgestellt worden: Das ist der Michi, der macht das Pacha, das ist der Martin, der macht das Resi. Wo ist denn das Resi, frage ich, den Laden kenne ich ja gar nicht. Und dann sagt er, das ist das Residenztheater, das ist da hinten.

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