Paar mit unerfülltem Kinderwunsch:Vom Traum zum Trauma

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Carla und Martin Moretti haben eines der letzten Tabus gebrochen - und mit "Baby-Bingo" gemeinsam ein Buch geschrieben über ihre zahlreichen Versuche, doch noch ein Kind zu bekommen. Bis heute hat es nicht geklappt, aber die beiden wollen nicht aufgeben.

Claudia Schuh

Einen Satz wird Carla Moretti im Laufe des Gesprächs immer wieder sagen: "Ich bin eine Last-Minute-Frau." In ihrem Buch ist es der erste Satz. "Ich wollte schon immer Kinder, aber irgendwie fand in meinem Leben immer alles ein bisschen später statt als bei den anderen. Auch meinen Mann habe ich erst mit 33 kennengelernt, zu einem Zeitpunkt, als sich alle anderen schon wieder scheiden ließen." Die blonde, attraktive Frau erzählt, wie sie an ihrem 38. Geburtstag plötzlich eines unbedingt wollte: ein Kind. Ihr Mann sagte: Ja, warum nicht? Ein gutes Alter! Doch aus dem Traum des Paares wird bald ein Trauma.

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Carla und Martin Moretti haben gemeinsam das Buch "Baby-Bingo" geschrieben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Als ich die Pille absetzte, war ich Mitte 30 und dachte, super, perfektes Timing. Ich meine, jedes vierte Kind, das auf die Welt kommt, hat inzwischen eine Mutter über 35. Am Anfang sind wir total optimistisch und fast schon naiv an das Kinderwunschthema rangegangen. Aber als ich dann überhaupt nicht schwanger war, beschloss ich, das Thema Baby ganz aktiv anzugehen."

Carla Moretti hat eine Erfahrung gemacht, die sie mit vielen Frauen teilt. Sie hat den Kinderwunsch immer weiter nach hinten geschoben. Zu weit? Gemeinsam mit ihrem Mann Martin hat sie nun ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben. "Baby Bingo. Die Achterbahnfahrt eines glücklichen Paares in der Kinderwunschzeit" handelt von vielen vergeblichen Versuchen, ein Kind zu bekommen. Und der Frage, wie planbar unser Leben eigentlich ist.

Denn es will einfach nicht klappen mit der Schwangerschaft. Mönchspfeffer, Schüßler-Salze, Akupunktur, Schwangerschaftsmassagen, Liebesurlaub, Viagra und der Besuch bei einem indischen Guru - kein Hilfsmittelchen bleibt unversucht. Auch eine Hormontherapie, Insemination und künstliche Befruchtung kommen zum Einsatz. Doch während ringsum der Babyalarm schrillt, passiert bei den Morettis: nichts. Außer, dass sich die Spirale aus Hoffnung und Enttäuschung immer schneller dreht. Daher nennen sie ihr Buch auch eine "Achterbahnfahrt".

Dann klappte es - doch sie verlor das Baby

Carla Moretti sagt: "Dieses ständige Hoffen, Warten, dann wieder Enttäuschtwerden. Das Ganze ist der Wahnsinn! Und zeitintensiv! Besonders die häufigen Arztuntersuchungen. Dann klappte es. Ganz plötzlich und unerwartet." Sie studiert lange die Maserungen ihres alten Holztisches in ihrer Wohnung. "Ich wurde schwanger, aber verlor unser Baby in der achten Woche. Das war hart. Hart auch für unsere Beziehung."

"Es gab oft Situationen, in denen ich mich von Martin allein gelassen fühlte. Ich hätte mir von ihm manchmal mehr Verständnis und Anteilnahme gewünscht. Aber im Laufe der Zeit merkte ich, dass seine Zurückhaltung kein Desinteresse war. Männer reden nicht viel darüber, auch nicht mit Freunden. Sie machen das mit sich selbst aus."

Carla, heute 40 Jahre alt und Martin, 44, brechen mit ihrem Buch eines der letzten Tabus. Indem sie über ihre vergeblichen Kinderwunschaktivitäten sprechen. Auch über die kommerzielle Seite der Branche. Es gibt allein in Deutschland 121 Kinderwunschzentren.

Carla: "Gerade bekam ich einen Newsletter von einem Kinderwunschzentrum aus dem Ausland. Es warb mit '20 Prozent Frühlingsrabatt'. Ich meine, wie um alles in der Welt soll man seinem Kind später erklären, dass es ein Sonderangebot war? Den Wunsch nach dem leiblichen Kind lassen sich viele viel kosten. 10.000 Euro waren bei uns leicht erreicht."

Dabei ist das Münchner Paar keine Ausnahme. Auch weil der Kinderwunsch immer öfter nach hinten geschoben wird. Insgesamt ist das Durchschnittsalter von Erstgebärenden seit den sechziger Jahren von 25 auf heute fast 30 Jahre angestiegen. "Frauen sind heute höher qualifiziert, haben längere Ausbildungs- und Studienzeiten und stehen mit Männern im Arbeitsleben in Konkurrenz", erklärt Carla. "Wenn sie sich dann im Beruf durchgesetzt haben, wollen sie das erst mal auskosten und den Status nicht gleich durch eine Schwangerschaft gefährden. Sie wollen den Erfolg genießen, reisen, sich selbst verwirklichen."

Carla ist der beste Beweis für diese Theorie. Nach dem Abitur studierte sie Internationales Marketing in London und Los Angeles, dann arbeitete sie als Kundenberaterin bei einer Werbeagentur in New York. Seit 2000 lebt Carla in München, wo sie Martin kennenlernte. "Das ist das zweite Problem", sagt Carla. "Es vergeht heute sehr viel Zeit, bis wir uns auf einen Partner festlegen. Oft zu viel Zeit. Und wenn wir dann Mr. Right gefunden haben, wollen wir das Glück mit ihm erst mal auskosten, unabhängig sein. Zudem sind auch immer weniger Männer bereit, schon mit Anfang 30 Vater zu werden."

Den Trend zum späten Kind leben Prominente vor. Julia Jäckel, die Frau von Ulrich Wickert, bekam kürzlich mit 40 Jahren Zwillinge. Carla Bruni mit 43 ihr zweites Kind. Uma Thurman erwartet mit 41 ein Kind. Ein spätes Glück scheint möglich, wo liegt also das Problem? Martin Moretti muss lachen. "Ein Problem? Es gibt unzählige Barrieren", sagt er. "Letztlich gleicht das Kinderkriegen einem Glücksspiel. Man kann zwar den Einsatz zum Beispiel durch künstliche Nachhilfe etwas erhöhen. Aber, dass man den Jackpot dadurch knackt, ist nicht garantiert." Er selbst beschreibt in dem Buch, wie er seinen Beitrag zu einer Insemination ruinierte, weil er den Becher unter der Jacke mit einer Wärmflasche körperwarm halten wollte. Zu warm, wie sich herausstellte.

Zerreißprobe für die Beziehung

Eine der vielen humorvollen Szenen in Baby-Bingo. "In unserer Wohnung stapelten sich bald Bücher von Carla mit Titeln wie 'Gelassen durch die Kinderwunschzeit' oder 'Heute müssen wir es tun'", erzählt er. "Dazu jede Menge Medikamente: Gelbkörperhormone, Magnesiumpräparate und vieles mehr. Brandbeschleuniger nannte ich die."

Es gibt auch wirklich skurrile Szenen. Zum Beispiel, als er einem Freund, der zum Kaffeetrinken da ist, aus Versehen Carlas schwangerschaftsfördernde Folsäure gibt. "Die Dinger sehen genauso aus wie Süßstoff." Das Buch hält die Balance aus Ernsthaftigkeit, Unterhaltung und Optimismus.

Genau das war auch unsere Absicht", sagt Carla Moretti. "Es gibt zwar viele wissenschaftliche und auch esoterische Bücher über die Kinderwunschzeit. Aber keines, das authentisch über diese Extremphase berichtet. Ein solches Buch wäre für mich ein willkommener Trost gewesen." Man merkt den Kapiteln von Martin Moretti an, dass er als Autor von Gala, Cosmopolitan und InStyle einen Blick auf Partnerschaftsthemen hat. Er beschreibt den männlichen Blick in dieser schwierigen Zeit: "Wir Männer können das Ganze auch lockerer angehen. Denn die Natur hat die Karten da etwas ungleich verteilt. Man kann auch sagen: unfair."

Dabei nahm Marin sehr wohl die Veränderungen an seiner Frau wahr, auch die körperlichen: "Carla hat sich auch verändert und unterlag Stimmungsschwankungen", sagt er. "Wegen Kleinigkeiten stellte sie manchmal unsere ganze Beziehung in Frage. Carla nahm zu. Man versucht natürlich, das zu ignorieren. Aber ein einziger blöder Spruch des Mannes kann in dieser angespannten Phase verheerende Folgen haben. Und mir rutschte er irgendwann mal raus, wie ich ja auch im Buch beschreibe."

Für die Beziehung eines Paares eine Zerreißprobe: "Unsere Beziehung war damals an einem Tiefpunkt und hätte auch zerbrechen können. Sie hat überlebt, weil wir beide die Geduld hatten, einige Monate den Zustand eines Parallellebens zu ertragen", sagt Martin. "Ja, das Schreiben hat uns einander nähergebracht", ergänzt Carla. "Es war ein bisschen, als würde man das geheime Tagebuch des anderen lesen."

Am Ende des Buches ist Carla ein zweites Mal schwanger. Doch auch diese Hoffnung endete mit einer Enttäuschung. Carla: "Mit der Zeit merkt man, dass es kein Recht auf Kinderwunscherfüllung gibt, wie das Recht auf eine Schulbildung." Und Martin ergänzt: "Wir werden oft gefragt, was unsere Botschaft ist. Sicher die, sich mit dem Kinderkriegen nicht zu viel Zeit zu lassen. Auch wir Männer sind gefordert, Verantwortung zu übernehmen. Carla und ich haben auch Demut gelernt. Wir können uns inzwischen vorstellen, dass auch ein Leben ohne Kinder sicher glücklich machen kann." Dass Paar will die Hoffnung bis zuletzt nicht aufgeben. Carla sagt: "Die Grenze wird uns die biologische Uhr setzen."

© SZ vom 14.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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