Otto Wiesheu über die S-Bahn:"Die zweite Röhre muss kommen"

Für Otto Wiesheu sind Südring und Nordtunnel keine Alternativen. Warum der ehemalige Verkehrsminister unbedingt die zweite S-Bahn-Stammstrecke will.

D. Hutter

Als die Diskussion um die zweite S-Bahn-Stammstrecke begann, war Otto Wiesheu bayerischer Verkehrsminister. 2005 wechselte der erklärte Tunnel-Befürworter zur Deutschen Bahn, seit 2009 ist er Vorsitzender des Wirtschaftsbeirats der Union in Bayern. Das Thema S-Bahn beschäftigt ihn immer noch.

SZ: Bei der Diskussion um die zweite S-Bahn-Stammstrecke haben sich ungewöhnliche Bündnisse gebildet. Was halten Sie von Schwarz-Grün in der Verkehrspolitik?

Otto Wiesheu: Wenig. Denn ich habe es bislang nicht erlebt, dass die Grünen ein Projekt unterstützen, das von der Staatsregierung vorgeschlagen worden ist.

SZ: Wären Sie noch Kabinettsmitglied, stünden Sie als einstiger Tunnel-Protagonist nun in Opposition zu Mitgliedern der eigenen Landtagsfraktion. Oder ist deren Abrücken vom zweiten Tunnel berechtigt?

Wiesheu: Es ist nicht berechtigt. Denn der zweite Tunnel ist notwendig. Wenn man sich die Entwicklung der vergangenen Jahre ansieht: Da hat es zwar neue Gutachten gegeben, aber keine neuen Erkenntnisse. Bereits vor zehn Jahren war klar, dass der Südring keine tragfähige Alternative ist und dass der Tunnel die einzige Möglichkeit ist, das S-Bahn-System in München zu verbessern. Das ist auch heute noch richtig.

SZ: Was hat denn den Meinungsumschwung in der CSU bewirkt?

Wiesheu: Das kann ich nicht erklären, da ich die letzten vier Jahre dort nicht mehr konkret mitgewirkt habe. Bis 2005, meinem Abschied als Minister, waren wir einig, dass der zweite Tunnel notwendig ist und kommen muss. An den Fakten hat sich seitdem eigentlich nichts geändert. Und dass diese neue Idee vom Nordtunnel keine Alternative dafür ist, dürfte mittlerweile jedem bekannt sein.

SZ: Keinerlei Sympathie für den Nordtunnel? Immerhin könnte erstmals eine Fernbahn in Richtung Flughafen und Nordostbayern fahren.

Wiesheu: Das halte ich für eine Illusion. Es muss zuallererst um die Optimierung des S-Bahn-Systems gehen, und das ist ohne zweiten Stammstreckentunnel nicht möglich. Und parallel dazu geht es um die Flughafenanbindung, um die Neufahrner Kurve, den Erdinger Ringschluss und natürlich die Optimierung der S-Bahn-Außenäste. Zentrales Thema ist die zügige optimierte Verknüpfung Hauptbahnhof - Flughafen München. Übrigens sollte man sich viel mehr mit dem Thema Finanzierung beschäftigen. Und da hat der Nordtunnel mangels Wirtschaftlichkeit keinerlei Chance.

SZ: Warum das? Dass die Kassen von Bund und Ländern klamm sind, wirkt sich doch nicht nur auf den Nordtunnel aus.

Wiesheu: Der zweite Stammstreckentunnel läuft als S-Bahn-Projekt übers Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), als Kofinanzierung von Freistaat und Bund. Der Nordtunnel als Fern- und Regionalverkehrsprojekt müsste dagegen vom Bund nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz finanziert werden, nach einer Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan. Darin sind so viele Projekte aufgeführt, dass sich München ganz hinten anstellen müsste. Wer Zeitung liest, weiß, dass derzeit 46 dringliche Projekte aus dieser Liste nicht finanziert sind. Da kann sich München in ein paar Jahrzehnten wieder melden. Ich kann nur sagen: Wenn am zweiten Stammstreckentunnel gerüttelt wird, wird die Münchner S-Bahn in den nächsten 20 Jahren nicht optimiert sein.

Wie das Ganze ins Rutschen kam

SZ: Und beim zweiten Tunnel ist eine Finanzierung wahrscheinlicher? Zumal ja der Bau eigentlich nur sinnvoll ist, wenn auch noch in die Außenstrecken investiert wird.

Wiesheu: Der zweite Tunnel ist auch schon für das jetzige System notwendig - um dessen Störanfälligkeit zu beseitigen. Bei den Ausbaumaßnahmen ist im Rahmen des 520-Millionen-Mark-Programms ja schon einiges passiert auf den Außenstrecken. Entscheidend ist: Die zweite Stammstrecke ist die zwingende Voraussetzung, um überhaupt die weitere Entwicklung des S-Bahn-Systems zu ermöglichen.

SZ: Die Chancen für die Finanzierung...

Wiesheu: ... stehen derzeit noch gut. Die GVFG-Sondertöpfe sind jetzt noch da. Schiebt man die Entscheidung aber immer weiter hinaus, wird sich der Bund nach 2018 nicht mehr beteiligen, weil dann im Rahmen der Föderalismusreform eine Mitfinanzierung aus Berlin nicht mehr vorgesehen ist. Es ist also höchste Zeit, eine Entscheidung zu fällen, Finanzierungsvorgaben zu machen und mit dem Bau zu beginnen.

SZ: Das klingt nicht nach einer Werbung für den Vorschlag Ihres Parteifreunds Markus Blume, man müsse nun einen Schritt zurücktreten und alles in Ruhe abwägen.

Wiesheu: Das wäre völlig daneben, fatal. Es schafft neue Probleme, ohne alte zu lösen. Man sollte nicht mit Illusionen arbeiten und meinen, dass man GVFG-Mittel einfach auf andere Varianten umklappen kann. Da spielt der Bund nicht mit. Wer so etwas macht, katapultiert sich selbst aus der Finanzierbarkeit hinaus.

SZ: Eigentlich sollten schon 2010 die ersten Züge durch den zweiten Tunnel rollen. Was ist da schiefgelaufen?

Wiesheu: 2005 war schon einmal eine Finanzierungsvereinbarung ausverhandelt. Es hat dann aber Verzögerungen gegeben, weil bei detaillierterer Planung festgestellt wurde, dass der Tunnel etwas teurer wird als bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung angenommen. Dann hat es einige Umplanungen gegeben, und damit kam das Ganze dann ins Rutschen. 2005 waren wir in dieser Hinsicht weiter als heute.

SZ: Es gab die heute tobende Debatte nicht.

Wiesheu: Die Debatte zweiter Tunnel oder Südring gab es bereits in den 90er Jahren. Damals war die Stadt München eher für den Südring. Ich hatte mich dann aber mit OB Christian Ude verständigt, nicht über das Thema zu streiten, sondern ein gründliches Gutachten in Auftrag zu geben, in dem alle Aspekte abgewogen werden. Und dann sollte das Ergebnis des Gutachtens zählen. Es war eindeutig - für die zweite Stammstrecke.

SZ: Obwohl man, wie Kritiker anmerken, dann so viel umsteigen muss?

Wiesheu: Das ist auch so eine merkwürdige Debatte. Der zweite Tunnel hat Haltepunkte am Hauptbahnhof, am Marienhof und am Ostbahnhof, das sind die Hauptorte für den Quell- und Zielverkehr. Gleichzeitig sind dort die Anknüpfungspunkte zur U-Bahn gegeben. Beim Südring ist die Situation im Vergleich dazu viel schwieriger und nachteiliger für die Passagiere. Deshalb sticht die Argumentation der Südring-Befürworter in keiner Weise.

SZ: Wie geht es weiter, wenn sich nun doch eine andere Variante durchsetzt?

Wiesheu: Wer sich gegen den Tunnel entscheidet, entscheidet sich im Ergebnis für die Nulllösung.

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