Ostbahnhof:Blinder fällt auf U-Bahn-Gleis und wird überrollt

Ein blinder 32-jähriger Mann ist am Ostbahnhof auf die Gleise der U5 gestürzt und von dem einfahrenden Zug tödlich verletzt worden. Der Mann war zweimal ins Gleisbett gefallen. Beim ersten Mal konnte er wieder auf den Bahnsteig klettern. Als er dann in die Bahn einsteigen wollte, fiel er hinter dem Zug erneut auf die Gleise. Die nächste Bahn überfuhr ihn, obwohl Passanten noch versuchten, ihn zu retten.

Birgit Lutz-Temsch

Die Videoaufzeichnungen aus der Nacht von Montag auf Dienstag zeigen kurz nach halb zwölf Uhr einen Mann, der sich mit seinem Blindenstock "in schwankendem Gang" über den Bahnsteig bewegt, so Polizeisprecher Markus Dengler. Offensichtlich sei der 32-Jährige alkoholisiert gewesen.

Der Mann, so stellte sich später heraus, war ein Angestellter des Münchner Polizeipräsidiums: Der von Geburt an blinde Peter W. arbeitete dort als Telefonist.

Peter W. fällt vom Bahnsteig am Gleis1 auf die Schienen der U5. Um diese Uhrzeit fährt die Bahn im Zehn-Minuten-Takt von Neuperlach Süd in Richtung Laimer Platz. Dem 32-Jährigen gelingt es, noch vor der nächsten einfahrenden Bahn wieder auf den Bahnsteig zu klettern.

Als um 23.45 Uhr dann die U5 einfährt, will Peter W. in die Bahn einsteigen. Dabei macht er allerdings einen verhängnisvollen Fehler: Bei der auf dem Gleis stehenden Bahn handelt es sich um einen Vollzug, das heißt, eine vier Waggons lange Bahn. Ein solcher Zug füllt im Gegensatz zu einem sechs Waggons umfassenden Langzug nicht die ganze Bahnsteiglänge aus.

Ende des Zugs mit Tür verwechselt

Die Videoaufzeichnungen zeigen, dass Peter W. versucht, in den Zug einzusteigen, und mit seinem Blindenstock nach dem Weg tastet. Er verwechselt dann offenbar das Ende des Zugs mit einer geöffneten Tür und fällt erneut auf die Gleise.

Was der Mann dann weiter macht, können die Videoaufnahmen nicht genau klären, doch er muss nach dem Sturz wohl die Orientierung verloren haben. Auf dem Videoband ist wenig später eine etwa 25 bis 30 Jahre alte Frau zu sehen, die an die Bahnsteigkante geht und suchend das Gleis auf und ab blickt, dann allerdings weitergeht.

Minuten verstreichen, in denen bereits der nächste Zug herannaht, ohne dass der Mann wieder auftaucht. Kurz vor 23.55 Uhr, dem Eintreffen der nächsten U5, betreten zwei etwa 25 Jahre alte Männer den Bahnsteig. Auch sie hören anscheinend einen Hilferuf, denn sie gehen zur Bahnsteigkante am Tunnelanfang.

Der eine der Männer rennt nach einem Blick auf die Gleise sofort in Richtung Nothalt, der zweite Mann beugt sich zur Bahnsteigkante hinunter. In diesem Moment allerdings fährt die U5 ein. Der Fahrer leitet sofort eine Vollbremsung ein, erfasst Peter W. aber frontal, der zu diesem Zeitpunkt zwei Meter innerhalb des Tunnels auf den Gleisen steht.

Peter W. wird schwer verletzt in ein Münchner Krankenhaus gebracht, wo er um 1.40 Uhr stirbt. Der Schnelltest des Notarztes bestätigt die Alkoholisierung des Manns. Der Fahrer der Bahn erlitt einen Schock, er ist krank geschrieben und wird von einem Kriseninterventionsteam betreut.

Die drei Zeugen, die genauere Aussagen über den Unfallhergang machen könnten, sind allerdings verschwunden. Weder die junge Frau noch die beiden Männer waren beim Eintreffen der Rettungskräfte noch am Ostbahnhof. "Vermutlich stehen sie unter Schock", sagt Polizeisprecher Peter Reichl. "Es gibt aber keinen Grund, sich nicht bei uns zu melden, denn sie haben alles richtig gemacht."

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