Orientierungshilfe:Eingefahrene Gleise verlassen

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Vor fünf Jahren war Dorothea Brönner-Bomhard selbst Teilnehmerin des Kurses "Spurwechsel ab 55". (Foto: Stephan Rumpf)

Wenn die Kinder erwachsen sind, beruflich sich keine großartigen Perspektiven mehr bieten, dann stellt sich oft ein Gefühl der Leere ein. Der Kurs "Spurwechsel ab 55" will Frauen dabei helfen, ihre eigenen Fähigkeiten wieder zu entdecken und noch einen Aufbruch zu wagen

Von Melanie Staudinger

Die Kinder sind aus dem Haus, die pflegebedürftigen Eltern, um die sich Frau jahrelang aufopfernd gekümmert hat, gestorben, eine reguläre Arbeitsstelle ist mit Ende 50 in unerreichbare Weiten gerückt - und zu allem Überfluss zeigen sich im Gesicht mittlerweile tiefe Falten, das Haar wird dünner. Plötzlich ist sie da, diese Leere, dieses Gefühl, mit einem Schlag keine sinnvolle Aufgabe mehr zu besitzen. Dorothea Brönner-Bomhard kennt diese Situation sehr gut. Die Diplom-Soziologin stand vor fünf Jahren vor ähnlichen Problemen. 57 Jahre war sie damals alt, vier Jahre lang hatte die ehemalige Personalerin ihre Eltern und ihren alleinstehenden Onkel mitgepflegt. Ihr Mann arbeitete, sie grübelte, was sie mit ihrem Leben noch anfangen solle. "Zum alten Eisen wollte ich mich einfach noch nicht zählen", sagt die heute 62-Jährige und lacht.

Und sie fand ihren Weg. Brönner-Bomhard will anderen Frauen helfen. Gemeinsam mit vier Kolleginnen leitet sie in München den Kurs "Spurwechsel ab 55", den sie vor fünf Jahren als Teilnehmerin kennengelernt hat. An 20 Vormittagen treffen sich bis zu 17 Frauen in geschütztem Rahmen. Sie erkunden ihre eigenen, vielleicht verloren gegangenen Fähigkeiten, blicken von außen auf ihr momentanes Leben, definieren, worauf sie Lust haben, und nehmen so ihr Leben aktiv in die Hand. "Viele haben jahrelang zurückgesteckt und wissen gar nicht mehr, wie es sich anfühlt, wenn man einmal nur auf sich schaut", sagt Brönner-Bomhard.

Seit 22 Jahren schon bietet der Verein für Fraueninteressen den Spurwechsel an. Das Interesse sei ungebrochen, berichtet Brönner-Bomhard, auch wenn sich die Zusammensetzung, der Hintergrund und auch die Ansprüche der Teilnehmerinnen geändert haben. Große Themen aktuell seien Patientenverfügungen, Wohnen im Alter oder Einsamkeit. Reine Hausfrauen zum Beispiel gebe es kaum noch. "Viele haben zumindest in Teilzeit gearbeitet", sagt die Kursleiterin.

Gebildete Frauen seien es, die sich mit einem enormen gesellschaftlichen Druck konfrontiert sehen. Etwas Sinnvolles soll die moderne Frau machen, nicht nur daheim sitzen. Gut soll sie ausschauen, möglichst nicht altern. Sie soll für andere da sein und sich selbst verwirklichen. Viele geben lieber nur wenig von sich preis - in der Angst, sonst in der Öffentlichkeit nicht allzu toll zu wirken. "Bei uns dürfen die Frauen oft zum ersten Mal seit Langem so sein, wie sie sind", sagt Brönner-Bomhard.

Und dabei können sie herausfinden, was ihnen wirklich Spaß macht. Brönner-Bomhard berichtet von ehemaligen Teilnehmerinnen, die nun gemeinsam ins Kino gehen. Eine Frau habe mit 62 Jahren den Führerschein gemacht, den sie sich schon so lange gewünscht hatte. Zwei Damen hätten eine Adventsausstellung mit Perlenkunst vorbereitet. Eine andere traute sich endlich, ihre marode alte Küche zu renovieren, eine weitere lernt nun Italienisch. Wichtig sei vielen das Ehrenamt. Einige engagierten sich in der Altenpflege oder der Flüchtlingsarbeit. "Was schließlich bei unseren Kursen herauskommt, ist sehr individuell und für einige auch überraschend", sagt Brönner-Bomhard.

Bei ihr war das vor fünf Jahren ähnlich. Ehrenamtliches Engagement machte der gebürtigen Münchnerin schon immer Spaß, früher bot sie Mutter-Kind-Gruppen und internationale Gesprächsrunden an. Einen Kurs für Frauen nach der Berufstätigkeit zu leiten, daran hatte sie zunächst nicht gedacht. Eigentlich hatte sie vor, mehr zu malen, vielleicht sogar an einer Ausstellung mitzuwirken. Dann aber erfuhr sie, dass die frühere Kursleiterin ihren Job aufgeben wolle. "Da dachte ich mir, dass ich das eigentlich kann ", sagt sie. Während ihrer Arbeit in der Personalabteilung einer Firma sprach sie schon vor großen Runden, bereitete Präsentationen vor, vermittelte Inhalte. Und hatte stets mit unterschiedlichen Menschen zu tun.

Deshalb nimmt Brönner-Bomhard sich viel Zeit für ihre Frauen. Mit jeder Interessentin führt sie ein Vorgespräch. Das Angebot sei "nicht ganz preisgünstig" und 20 Vormittage erforderten zudem einen großen Zeitaufwand. "Die Teilnehmerinnen sollen sicher sein, dass der Kurs auch das richtige für sie ist", sagt Brönner-Bomhard. Wer zum Beispiel noch mitten im Beruf stehe, der habe erfahrungsgemäß noch nicht die Muße, sich in Ruhe auf etwas Neues vorzubereiten. "Man sollte auch einfach mal nichts tun und sehen, wie man darauf reagiert", sagt Brönner-Bomhard. Auch wenn das heute vielen schlichtweg schwer falle.

Der nächste Kurs startet am 6. Oktober und dauert bis 15. Dezember, der übernächste geht vom 17. Januar bis 23. März 2017. 20 Vormittage und ein Nachbereitungstreffen kosten 245 Euro. Weitere Informationen unter www.spurwechselab55.de.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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