Orhan Pamuk in der TU München:Gegenstände des Lebens

Liebe, Schuld und ein ärgerlicher Zwischenfall: Nobelpreisträger Orhan Pamuk stellt in München seinen neuen Roman vor.

Rebecca Brielbeck

Einen Literaturnobelpreisträger sieht man nicht jeden Tag. Schon um viertel nach sieben ist das Audimax der TU in München gut gefüllt. Die Menschen freuen sich auf Orhan Pamuk. Zwei ältere Damen unterhalten sich angeregt über die Türkei und Pamuks Bücher, die sie offenbar alle gelesen haben. Sie sind aufgeregt, das merkt man. Es liegt eine positive Spannung in der Luft.

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Orhan Pamuk lauscht der Übersetzung seines Buches.

(Foto: Foto: Rebecca Brielbeck)

Am Montagabend hat der Autor dem Münchner Publikum sein neuestes Werk vorgestellt. Er erzählt darin die Geschichte von Kemal, einem jungen Mann aus der Oberschicht Istanbuls. Er erzählt die Geschichte einer Liebe, die nicht sein kann und darf. Von einer Liebe, die nicht "zuckersüß ist, sondern die einem zustößt, wie ein Verkehrsunfall".

Vor Beginn der Veranstaltung wurden auf der Leinwand über der Bühne verschiedene Gegenstände gezeigt. Ein "Playboy"- Feuerzeug, das Bild einer Moschee am Bosporus, eine Handtasche, Knöpfe und vieles mehr. Alles Gegenstände, die Orhan Pamuk gesammelt hat, und die er in seinem Museum, dass in eineinhalb Jahren in Istanbul eröffnet, ausstellen wird.

"Ein unfreiwilliges Sich-Erinnern"

Um diese Gegenstände dreht sich auch sein Buch. "Jeder Mensch kann sein Leben anhand verschiedener Gegenstände nacherzählen", so der Autor. Sie hätten einen poetischen, nostalgischen Wert. Man verbinde bestimmte Erinnerungen damit, assoziiere Gefühle mit ihnen. Sie lösten ein "unfreiwilliges Sich-Erinnern" aus, sobald man sich wieder mit ihnen beschäftige.

Auch Kemal, dem Protagonisten aus "Museum der Unschuld", ergeht es so. Er versucht über den Schmerz seiner verlorenen Liebe hinwegzukommen, in dem er Plätze aufsucht, an denen er mit Füsun war und Gegenstände berührt, die auch sie berührt hat. Immer in dem Bewusstsein, dass er und die Konventionen der Gesellschaft, in der er lebt, daran Schuld haben, dass seine Geliebte ihn verlassen hat. Denn er verlobt sich nicht mit ihr, sondern mit einer anderen.

Gegenstände des Lebens

Orhan Pamuk, der in dem etwas zu niedrigen Ledersessel aussieht wie ein Geschichten erzählender Onkel, beschreibt in seinem Roman sensibel Gefühle, die wohl jeder, der einmal unglücklich verliebt war, kennt. Loslassen wollen, aber einfach nicht können, die Starre, aus der man sich einfach nicht lösen kann und wenn man es noch so sehr möchte. Schuld, Verlangen, Ohnmacht, Hoffnung, Gewissheit, Sehnsucht.

Leider ist der Audimax zu groß, um die Atmosphäre des Romans richtig einzufangen. Ein kleinerer Raum mit weniger Gästen wäre dem Ganzen mehr gerecht geworden und auch Pamuk wirkt hier ein bisschen verloren. Der Schauspieler Helmut Becker liest die deutschen Passagen etwas zu unbeteiligt. Er kann dem Publikum den Schmerz Kemals über den Verlust von Füsun nicht wirklich vermitteln. Lediglich beim dritten und letzten letzen Teil der Lesung - zwischen den Leseabschnitten erklärt Pamuk etwas zu den Auszügen - scheint die Stimmung des Buches auf das Publikum überzugehen.

Zwischenfall mit türkischem Nationalisten

Diese Stimmung hält jedoch nur kurz an. Beim anschließenden Gepräch springt plötzlich ein Mann auf, rollt eine türkische Fahne, auf der der türkische Staatsgründer Kemal Atatürk abgebildet ist, aus und schreit Orhan Pamuk in seiner Landessprache wütend an. Das Publikum ist aufgebracht, der Störenfried wird kollektiv ausgebuht, bis er aus dem Saal geworfen werden kann. Dies geschieht allerdings erst nach etwa vier Minuten. Ein ungeheuerlicher Vorfall, bedenkt man, dass der Autor seine letzte Deutschlandreise aufgrund von Drohungen gegen ihn absagen musste.

Orhan Pamuk nimmt es gelassen. "Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung", merkt er an, "aber man sollte niemanden bedrohen." Er widmet sich wieder dem Gespräch, dass er dann aber doch recht schnell beendet. Allerdings nicht ohne dem Publikum zu danken und darauf hinzuweisen, dass im Buch auf einer der letzten Seiten eine Eintrittskarte für sein Museum enthalten ist, dass er in etwa eineinhalb Jahren in Istanbul eröffnen will.

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