Organspenden:Das Geschenk des Lebens

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Wenn es um Organspenden gehe, hätten viele das "Ausschlachten von Körpern" im Kopf, sagt Sandra Zumpfe. (Foto: Florian Peljak)

Sandra Zumpfe lebt mit einem neuen Herzen und einer neuen Niere. Mit ihrer Lebensgeschichte will sie anderen Betroffenen und Angehörigen Mut machen.

Von Fridolin Skala

"Wir haben ein Herz für Sie und würden Sie in 30 Minuten abholen", hieß es knapp, als am 4. März 2013 nachts das Handy von Sandra Zumpfe klingelte. "Ich habe nur noch meiner Schwester Bescheid gesagt, mich von meinen Katzen verabschiedet und dann gewartet, dass der Krankenwagen kommt", erinnert sich die 40-Jährige. Leer sei sie in dem Moment gewesen, keine Freude, keine Angst und keine Hoffnung. "Ich habe da eineinhalb Jahre drauf gewartet, mein Mann ist kurz vorher gestorben und mir war alles egal. Ich dachte nur, entweder es klappt, oder eben nicht."

Von dieser Schicksalsergebenheit ist heute nichts mehr zu spüren. Die Münchnerin sitzt zwischen selbst genähten, bunten Kissen auf dem Sofa und erzählt von ihrer Transplantation. Zumpfe kam mit einem Herzfehler auf die Welt, den schon ihr Vater und Großvater hatten. Sie lernte früh, mit Medikamenten und ohne Sport zu leben. Ansonsten sei ihr Leben normal gewesen. Zumpfe arbeitete 14 Jahre lang als Erzieherin, traf Freunde und bastelte gerne. "Nur mal noch schnell die S-Bahn erwischen oder ohne aus der Puste zu kommen ein Stockwerk Treppen laufen, ging nicht", erzählt sie. Dass sie sich in diesem Jahr für den Organspendelauf im Englischen Garten angemeldet hat, dürfte sie vor einem Jahr selbst noch nicht geglaubt haben.

Zumpfe etwa fühlt sich wieder so fit, dass sie sich für den Organspendelauf durch den Englischen Garten angemeldet hat. (Foto: Stephan Rumpf)

Als im August 2011 vor einem Campingurlaub ihre Kurzatmigkeit und das Herzklopfen immer schlimmer wurden, ging Zumpfe zum Arzt. Der stellte erhebliche Herzrhythmusstörungen fest und schickte sie ins Krankenhaus. Viele Untersuchungen, einige Fehldiagnosen und knapp sechs Monate später stand fest: Sandra Zumpfe braucht eine neues Herz. Geschockt habe sie das nicht, aber in den eineinhalb Jahren bis zur Transplantation sei sie ziemlich eingeschränkt gewesen. Vor allem habe sie nicht mehr richtig schlafen können, weil sie unterbewusst vermutlich auf den erlösenden Anruf gewartet habe.

Auch das Treppenlaufen machte zunehmende Schwierigkeiten: Schon nach zwei Schritten ging ihr die Luft aus und die Rhythmusstörungen fühlten sich an, als würde das Herz aus dem Hals springen. Trotzdem wollte Zumpfe die Zeit genießen und sich fit halten für die mögliche Transplantation. Also ging sie jeden Tag an der frischen Luft spazieren. "Ich bin allerdings eher im Schneckentempo um den Block geschlichen."

Nach der Operation am LMU-Klinikum in Großhadern lag Zumpfe im Koma. Erst acht Wochen später wachte sie in der Rehaklinik in Bad Aibling auf, in die sie zwischenzeitlich verlegt wurde. "Ich hatte schreckliche Schmerzen, war aber intubiert und konnte das nicht sagen", erzählt sie. Außerdem habe sie sich wegen einer infektionsbedingten Ganzkörperlähmung nicht bewegen können. Es dauerte lange, bis sie dem Arzt bei der täglichen Visite überhaupt die Hand geben konnte, Wochen bis sie sich mit Hilfe im Bett aufsetzen konnte und Monate bis zu den ersten Schritten.

Erst nach fünf Monaten durfte sie mit einem Rollator zurück nach Hause. Doch schlimmer als das Wiedererlernen aller Bewegungen wog für Zumpfe, dass ihre Nieren durch die starken Medikamente und den langen Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine nicht mehr funktionierten. Seit der Transplantation stand drei Mal in der Woche die Dialyse an. "Das dauerte über drei Stunden und um mich herum haben alle anderen Patienten immer nur gejammert", erinnert sich Zumpfe. "Das konnte ich mir nicht anhören, ich bin jemand der positiv denkt." Also lernte sie, die Dialyse selbst vorzunehmen und blieb zuhause.

Das funktionierte zwar gut, doch der Shunt, ein künstlicher Zugang in ihrem rechten Arm, verstopfte immer wieder. "Ich hatte in 27 Monaten acht Verschlüsse, die operiert werden mussten", erzählt sie und zeigt die vielen hellen Narben auf ihrem Unter- und Oberarm. Ihr zweiter Mann, den sie inzwischen geheiratet hatte, wollte ihr eine Niere spenden. Aber Zumpfe winkte aus Angst um ihn zunächst ab. Doch im August 2016 sei die Not so groß gewesen, dass sie das "Geschenk" doch annahm. Ein knappes Jahr später wurde schließlich operiert − und es ging gut.

Heute erinnert außer den Narben kaum noch etwas an ihr Martyrium. Sie schreibt auf dem Blog www.2herzen1koerper.de über ihre Geschichte, hat einen kleinen Bürojob und engagiert sich im Bundesverband der Organtransplantierten. "Beim Thema Organspende haben viele das Thema ,Ausschlachten von Körpern' im Kopf. Es nimmt kaum jemand wahr, wie toll es Leuten geht, die ein neues Organ haben", sagt sie. Deshalb will sie anderen Betroffenen und Angehörigen mit ihrer Geschichte Mut machen. "Es erstaunt mich immer wieder, dass ich heute fünf Kilometer laufen kann", sagt sie lächelnd und ergänzt: "Das ist eines der tollsten Dinge, die mir passiert sind." Diese Lebensfreude und der unbedingte Wille, um ihr Leben zu kämpfen, zeigen sich auch in einem Tattoo auf ihrem linken Unterarm, ihrem Lebensmotto: "Solange ich atme, habe ich Hoffnung."

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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