Transplantationsmedizin:Organe aus dem 3-D-Drucker

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Ali Ertürk im Labor - in dem Glasbehälter schwimmt ein menschliches Gehirn samt Augen. (Foto: Florian Peljak)

Daran arbeitet der Neurobiologe Ali Ertürk. Seine Arbeit bedeutet Hoffnung für Millionen krebskranke Menschen. Organspenden könnten überflüssig werden - und Alterungsprozesse aufgehalten.

Von Martina Scherf

Organe aus dem 3-D-Drucker? Bis vor Kurzem klang das noch nach Science Fiction. Heute ist es eine realistische Vision: künstlich erzeugte Ersatzteile für den menschlichen Körper, idealerweise sogar aus eigenem Zellmaterial. Davon ist jedenfalls Ali Ertürk überzeugt. Der Neurobiologe hat eine Technologie entwickelt, um Prototypen für menschliche Organe herzustellen, gedruckt mit dem 3-D-Plotter. Organspenden könnten damit überflüssig, Alterungsprozesse verlangsamt oder gar aufgehalten werden. "Das wird kommen, es ist nur eine Frage der Zeit", sagt der Wissenschaftler.

3-D-Drucken ist längst Allgemeingut geworden, die Geräte gibt es im Versandhandel. Schokolade, Prothesen oder Flugzeugteile kommen aus dem computergesteuerten Spritzgussgerät. Wissenschaftler stellen künstliche Haut, Knorpel oder Knochen und neuerdings auch lebende Zellen her. Bei Organen wird es allerdings komplizierter. "Eine lebensfähige menschliche Niere zu produzieren, das ist eine große Herausforderung", sagt Ertürk. Denn die Niere ist ein hochkomplexes Organ mit einer viel höheren Zelldichte als die Haut und feinsten Gefäßen, die zur Blutreinigung Nährstoffe und Sauerstoff transportieren müssen. Weltweit forschen Kliniken an dieser Technologie, doch der Münchner ist überzeugt, anderen einen Schritt voraus zu sein - mit einem speziellen bildgebenden Verfahren und dem Einsatz künstlicher Intelligenz.

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Noch leitet Ertürk, 38, eine Forschergruppe im Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung der Ludwig-Maximilians-Universität in Großhadern. Denn auch für die Hirnforschung sind die neuen Technologien entscheidend. Doch vermutlich wird er schon im Sommer ans Helmholtz-Zentrum nach Neuherberg wechseln, man hat ihm dort die Stelle als Direktor eines neuen, Millionen teuren Instituts angeboten. "Ali ist ein herausragender Kopf, seine Forschungsergebnisse sind weltweit bahnbrechend", schwärmt Matthias Tschöp, Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums, und: "Wir trauen ihm zu, dass er zusammen mit unseren Stammzellenforschern die Medizin revolutioniert."

Der komplette Bauplan des Körpers einer Maus. (Foto: Ertürk-Lab)

Noch ist Ertürk aber in Großhadern. Er geht jetzt voraus ins Labor, in einer Ecke steht ein 3-D-Biodrucker, ein unscheinbarer kleiner weißer Kasten. Ein paar Tische weiter dann der eigentliche Clou: In einem Glasbehälter schwimmt ein menschliches Gehirn - vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten für die Forschung gespendet, wie Ertürk erklärt. Daran baumelt noch das Augenpaar, verbunden über feine Nervenfasern. Die Augen wirken wie klare Murmeln, die Hirnmasse hat eine bräunlich-transparente Farbe. Ertürk zieht noch zwei Gläser aus dem Laborschrank: Im einen schwimmt eine geschrumpfte Niere, im anderen eine tote Maus, ebenfalls völlig transparent.

Und das ist der Trick: Indem die Forscher Organe mit einem chemischen Verfahren durchsichtig machen, können sie mit Laserscannern die gesamte Struktur erfassen - Nervenbahnen, Blutgefäße, jede einzelne Zelle an ihrem spezifischen Ort. "Wir erhalten dadurch den exakten Bauplan eines Organs", sagt Ertürk.

Dank künstlicher Intelligenz rechnen Algorithmen in Minuten aus Millionen Daten den Auftrag für den Drucker aus. Dieser druckt dann Schicht für Schicht ein filigranes Gerüst, das mit einem Gel gefüttert wird, der sogenannten Biotinte. Sie besteht, vereinfacht gesagt, aus einem Klebstoff und Zellmaterial. An der Entwicklung der Biotinte forschen unter anderem auch Teams der Technischen Universität München, man steht in ständigem Austausch.

"Die Technik bedeutet einen Meilenstein für Diagnostik und Therapie", sagt Ertürk. Allein in Deutschland warten derzeit fast 10 000 Menschen auf ein Spenderorgan, rund 7000 von ihnen auf eine Niere. Diabetes-Patienten könnten eine neue Bauchspeicheldrüse bekommen, Krebspatienten neue Medikamente, speziell auf sie zugeschnitten. Denn mit Ertürks Methode sehen Forscher nicht nur Tumore und Metastasen wie beim Computertomografen, sondern sie können jede einzelne Zelle beobachten, ob sie auf ein bestimmtes Medikament angesprochen hat, und notfalls nachbessern. Das bedeutet Hoffnung für Millionen krebskranke Menschen.

Der 3-D-Drucker mit einer Gewebeprobe. (Foto: Ertürk-Lab)

"Wir schaffen das", Ertürk ist von Natur aus Optimist. Er strahlt trotz der großen Erwartungen an ihn Gelassenheit aus. Sein Tag beginnt mit zehn Minuten Meditation. Dann rollt er seine Yogamatte im Büro aus und konzentriert sich auf nichts als seinen Atem. "Eine wunderbare Art, Stress zu begegnen", sagt er, "aber eigentlich bin ich gar kein gestresster Mensch." Er lächelt. "Ich lasse Dinge auf mich zukommen und vertraue darauf, dass sie gut werden."

Der Spitzenforscher, um den heute die besten Universitäten der Welt werben (sagt sein künftiger Chef Matthias Tschöp), stammt aus einer Kleinstadt in der Türkei. Als erster in seiner Familie hat er Abitur gemacht, und zu dieser Zeit ging die Nachricht vom Klonschaf Dolly um die Welt. "Das hat mich fasziniert", erzählt er. An der Universität von Ankara schrieb er sich in Gentechnik ein. Er wurde von seinen Professoren gefördert und ermutigt, für ein Praktikum in die USA zu gehen, zuerst Harvard, dann Yale. "Ich konnte damals kaum Englisch, aber ich war bereit, ins kalte Wasser zu springen." Das ist er bis heute. "Das Faszinierende am akademischen Forschen ist die Freiheit, Dinge auszuprobieren", sagt er, "du kannst fliegen."

Auf der Suche nach den besten Adressen für eine Promotion kam er 2003 ans Max-Planck-Institut für Neurobiologie nach München. "Das war wieder Neuland", sagt er, "vor allem kulturell." Es fiel ihm anfangs nicht leicht, in Bayern anzudocken. "Die erste Frage ist immer: Wo kommst du her? Wenn du Europäer bist, hast du es leicht, als Türke rangierst du in der Hierarchie schon deutlich weiter unten, und ein Afrikaner hat es am schwersten, akzeptiert zu werden." Auch in der Wissenschaft seien Spitzenpositionen noch immer nur mit Deutschen besetzt. "Doch langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass, wenn man in der Weltspitze mithalten will, man die Kreativität aus der ganzen Welt verbinden muss", sagt er.

In Ertürks Team arbeiten 15 junge Wissenschaftler aus einem Dutzend Nationen

Als junger Wissenschaftler habe es damals eine ganze Weile gedauert, bis er sich getraut habe, mit einer nicht-türkischen Frau auszugehen, erzählt er. Doch eines Tages war auch diese Hürde überwunden. Heute ist er mit einer Deutschen verheiratet, auch sie Wissenschaftlerin. Fünf Jahre verbrachten sie gemeinsam in San Francisco, forschten für den Biotechnologie-Konzern Roche. Die Westcoast-Mentalität, dieses Anything-goes, hat ihn geprägt, sagt Ertürk, und die multikulturelle Atmosphäre. "Niemand fragt dort nach Herkunft oder Aussehen, das Silicon Valley wurde von Einwanderern groß gemacht."

Seit 2014 ist das Paar zurück, und inzwischen sind sie zu dritt. Ihr Sohn ist vier Jahre alt "und trägt den schönen bayerischen Namen Kilian", sagt Ertürk und lacht. Kilian wächst dreisprachig auf, die Mutter spricht Deutsch mit ihm, der Papa Türkisch, Familiensprache ist Englisch. Ebenso am Institut, wo die ganze Welt zu Hause ist: 15 junge Mitarbeiter gehören zu Ertürks Gruppe, Chemiker, Biologen, Physiker, Informatiker, Ingenieure, sie kommen aus einem Dutzend Nationen, darunter Indien, China, Chile, Deutschland, Türkei.

In seinem Büro und in den Fluren hängen großformatige Aufnahmen von der Golden Gate Bridge im Morgennebel, von der City of London und den Canyons in den Rocky Mountains. Wann immer er Zeit findet, fotografiert der Biologe. Die Wunder der Welt entdeckt er in der kleinsten Zelle unter dem Mikroskop oder am Sternenhimmel über der Wüste von Arizona.

Bevor er jetzt das Labor verlässt, stellt er das Gehirn wieder zurück in den Schrank, streift die blauen Gummihandschuhe ab, zieht den weißen Kittel aus. Es ist nur eine Frage der Zeit, sagt er noch einmal, bis die Medizin ein Ersatzteillager für alle menschlichen Organe zur Verfügung haben wird. "Das wird kommen. Ob in 300 Jahren oder in 30 Jahren, das hängt auch von unserem Einsatz ab." Er ist zuversichtlich, dass es noch zu seiner Lebenszeit passieren wird.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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