Ordensgemeinschaft:Die Templer von Untergiesing

Ordensgemeinschaft: Der Templerorden an der Birkenleite: Außer der Hilfe für Bedürftige ist das Leben dort sehr abgeschieden.

Der Templerorden an der Birkenleite: Außer der Hilfe für Bedürftige ist das Leben dort sehr abgeschieden.

(Foto: Catherina Hess)

Armut, Weltentsagung und Stillschweigen: Eine kleine Gemeinschaft erhält die Geschichte der Tempelritter. Ein Blick hinter die Mauern.

Von Hubert Grundner

Zu jedem Gesicht gehört ein Name, Namen sind Nachrichten. So lautet eine der Grundregeln im Journalismus. Nun, diese Geschichte über das Templer-Kloster in Untergiesing muss ohne Namen auskommen - größtenteils zumindest. Das wird schnell klar beim ersten Treffen mit Abt Augustinus. "Es zählt nicht, wer jemand ist, was er gemacht hat, was er kann, sondern was für einen Weg er jetzt gehen will", erklärt er seinem Besucher, "weltliche Namen tragen wir hier nicht mehr, jeder bekommt einen Ordensnamen".

Das gilt für ihn ebenso wie für die anderen Mitglieder des Konvents. Auch auf Nachfrage will er seinen Familiennamen partout nicht verraten, nur eben so viel gibt er preis: Er komme aus einem Ort circa 80 Kilometer südwestlich von München. Den fragenden Blick seines Gegenübers beantwortet er lächelnd: "Das ist doch alles nicht wichtig."

Was Abt Augustinus und den anderen Mönchen, Nonnen und Laien - so genannten Oblaten - des Templerordens wirklich wichtig ist, wird später noch klar werden. Dass es überhaupt zu dieser Begegnung kommt, ist einer Art Fata Morgana geschuldet, die sich besonders oft im Winter oder Herbst an der Isar-Hangkante hinter dem Sechziger-Stadion zeigt: Plötzlich tauchen zwischen den vom Laub befreiten Bäumen die Zinnen, Türme und Kuppeln des Klosters auf.

Ordensgemeinschaft: Abt Augustinus - weltliche Namen spielen an der Birkenleiten keine Rolle.

Abt Augustinus - weltliche Namen spielen an der Birkenleiten keine Rolle.

(Foto: Catherina Hess)

Die Neugier, was sich auf dem Anwesen wohl tun mag

Entfernt erinnert der Bau an eine Mischung aus Schloss Neuschwanstein und der Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz in Moskau. Jedenfalls ist die Neugier sofort geweckt, was sich in dem Anwesen unten an der Birkenleiten 36 tun mag. Und so mancher Spaziergänger hat dann wohl am schmiedeeisernen Eingangstor "Trinitarion des orientalisch-orthodox-katholischen und kreuzritterlichen Chor- und Hospitaliter-Ordens der Templer e. V." gelesen, um anschließend doch ziemlich ratlos weiterzustapfen.

Bei dem Gebäude, das zumindest lässt sich schnell eruieren, handelt es sich um die 1880 errichtete ehemalige Villa des Hofgoldschmieds und Juweliers Karl Winterhalter. Die Ordensgemeinschaft hatte sie im Jahr 1968 von der Stadt München erworben und dann für ihre Zwecke und Bedürfnisse ausgebaut, nachdem ihr früherer Sitz an der Birkenleiten 27 abgebrochen werden musste. Auffällig ist das Kloster vor allem wegen des nachträglich hinzugefügten, 87 Meter hohen Kirchturms; allein die Turmzwiebel misst achtzehn Meter in der Höhe. Damit ragt der Turm weithin sichtbar über die benachbarten Wohnbauten und die Kleingartenanlage.

Auf ein Klingeln hin erkundigt sich eine Frauenstimme per Gegensprechanlage nach dem Begehr des Besuchers. Ein paar Minuten später kommt ein Mann zur Pforte - Abt Augustinus, wie sich später herausstellt. Man verabredet weitere Telefonate, erst ein Dreivierteljahr später willigt der Abt ein, einen Einblick in das Klosterleben zu gewähren. Umso besser, das deutet er an, wenn er dabei mit falschen Vorstellungen über den Orden aufräumen könne.

Es kommt schließlich zu Treffen im Oktober und November. Zunächst wird der Gast dabei von einer Ordensschwester am Eingang abgeholt und in den Speisesaal geführt. Zum Zeichen der Gastfreundschaft entzündet sie eine Kerze, bevor sie Kaffee und Zwetschgendatschi auf den Tisch stellt und sich dann zurückzieht.

Alle müssen ein Gelübde ablegen

Wenig später kommt der Abt, trotz schwerer Erkältung. Er lüftet auch gleich das erste Rätsel: Ja, im Konvent leben und arbeiten Männer und Frauen zusammen, verheiratete und unverheiratete. "Der Zölibat ist für uns nicht maßgeblich, ein Großteil der Apostel war verheiratet", sagt Abt Augustinus. Ehe beziehungsweise Ehelosigkeit sei "keine Frage des Glaubens". Entscheidend sei vielmehr, dass sie alle beim Eintritt in den Templerorden die gleichen Gelübde abgelegt haben.

Darin verpflichten sie sich zu einem Leben in Armut, Weltentsagung, Stillschweigen und Gehorsam, feste Gebetszeiten gehören zum Tagesablauf. Letztlich geht es den Templern um den selbstlosen Dienst und die tatkräftige Hilfe für den leidenden Mitmenschen - gleich, ob er sich in physischer, psychischer oder materieller Not befindet. Die Pflege und Gewährung der Gastfreundschaft sowie die behutsame Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi kommen hinzu.

Was das in der Praxis heißt, lässt sich jeden Nachmittag zwischen 13 und 16 Uhr beobachten. Plötzlich tauchen an der Birkenleiten immer mehr Männer und Frauen, Alte und Junge auf, die Rucksäcke tragen und Einkaufsroller ziehen. Ihr Ziel ist das Templer-Kloster, in dessen Innenhof von freiwilligen Helfern Stände mit Lebensmitteln aufgebaut worden sind.

In Kisten liegen Tomaten, Gurken, Kürbisse, Auberginen, Kartoffeln und Karotten neben Brokkoli, Kraut- und Salatköpfen. Ein paar Meter weiter sind Käse und Wurst aufgeschichtet, Semmeln und Brotlaibe türmen sich. Und alles findet dankbare Abnehmer - nicht zuletzt deshalb, weil hier niemand, wie sonst bei den Tafeln üblich, einen Berechtigungsschein vorlegen muss.

Ordensgemeinschaft: Für Hilfsbedürftige öffnen sich die Tore - Essen wird ausgegeben.

Für Hilfsbedürftige öffnen sich die Tore - Essen wird ausgegeben.

(Foto: Catherina Hess)

Es klopfen auch Leute, die früher zur Mittelschicht gezählt haben

Jörg, der seinen wahren Namen nicht nennen will, kam selbst früher hierher, um sich Essen abzuholen. Inzwischen hat der 52-Jährige die Rollen getauscht: Seit zehn Jahren - und damit so lange wie kein zweiter - gehört er zu den Ehrenamtlichen und verteilt nun seinerseits Lebensmittel an die Bedürftigen. Er fährt auch zu Spendern, holt Obst und Gemüse ab und räumt es anschließend in die Kühlung. Er hat miterlebt, dass die Bedürftigkeit deutlich angewachsen ist. Jetzt klopften auch Leute an die Klosterpforte, die vor wenigen Jahren noch zur Mittelschicht gezählt hätten, sagt er.

Viele von ihnen holen sich nicht nur kostenlose Lebensmittel ab, die der Orden laut Abt Augustinus teils von Händlern in der Großmarkthalle, von Supermärkten und Spendern geschenkt bekommt, teils aus eigenen Mitteln hinzukauft. Viele setzen sich auch im Speisesaal an einen der Tische, wo sie eine warme Mahlzeit mit Suppe, Hauptgericht und Nachspeise serviert bekommen.

Etwa 100 kostenlose Gerichte gibt die Küche so jeden Tag aus - wobei sich in einem großen Topf nicht nur eine asiatische Suppe, sondern auch eine Geschichte verbergen kann. Die Suppe, so erzählt der Abt, werde wöchentlich von einem Vietnamesen an das Kloster geliefert. Der Mann war mit dem Rettungsschiff Cap Anamur nach Deutschland gekommen und wolle jetzt etwas an die Gesellschaft zurückgeben. "Sie muss nur noch aufgewärmt werden", freut sich der Abt.

Ordensgemeinschaft: Hier braucht niemand einen Bedarfsausweis.

Hier braucht niemand einen Bedarfsausweis.

(Foto: Catherina Hess)

Mehr Respekt gegenüber Hilfsbedürftigen

Bei der Lebensmittelausgabe im Innenhof des Templer-Klosters herrscht meist ein höflicher, freundlicher Ton zwischen Gebern und Nehmern. Abt Augustinus wünscht sich, dass die gesamte Gesellschaft den Hilfsbedürftigen mit mehr Respekt begegnet. Die seien eben in der Regel keine Taugenichtse, über die man den Stab brechen dürfe, sondern Menschen, denen das Schicksal oft übel mitspiele. "Das kann jedem passieren", mahnt er.

Natürlich kommt das Gespräch auch auf die Geschichte der Templer. Der 1118 in Folge des Ersten Kreuzzugs gegründete Orden war der erste, der die Ideale des adligen Rittertums mit denen der Mönche vereinte. Er wurde nach einem Aufsehen erregenden Prozess auf Druck des französischen Königs Philipp IV., der sich damit nicht zuletzt seiner Schulden beim Templerorden entledigen wollte, von Papst Clemens V. am 22. März 1312 auf dem Konzil von Vienne aufgelöst, nach einer beispiellosen Hetzjagd, bei der viele Templer ihr Leben ließen. Jacques de Molay, der letzte Großmeister des Templerordens, wurde am 18. März 1314 zusammen mit Geoffroy de Charnay in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Obwohl an der Rechtswidrigkeit des Prozesses heute kaum noch gezweifelt wird, versagt der Vatikan dem Orden weiterhin die Anerkennung, die er ihm 1139 per päpstlicher Bulle - "Omne datum optimum" - garantiert hatte. Abt Augustinus fühlt aber nicht den geringsten Ehrgeiz, diesen kirchenrechtlichen Streit auszufechten. Wichtiger ist ihm, dass der derzeit 13-köpfige Konvent - die Zahl steht symbolisch für Jesus und die zwölf Apostel - in der Nachfolge Christi lebt.

Das Haus soll sich schrittweise öffnen

Zwar stießen in den vergangenen 25 Jahren nur zehn neue Mitglieder zum Münchner Konvent. Trotzdem ist Abt Augustinus zuversichtlich für die Zukunft, er erlebe junge ernsthafte Menschen, die sich für den Orden interessierten. Schrittweise will der Abt das Haus öffnen und die Umgebung stärker am Leben der Klosters teilnehmen lassen. Wobei er versichert, dass es gar nicht so schwer sei, den geheimnisumwitterten Templerorden kennenzulernen: Man müsse nur den Kontakt suchen. Genau so sei es bei ihm gewesen, nachdem er vor ungefähr 25 Jahren bei einem Treffen einer freien Studentengemeinde den damaligen Abt erlebt hatte.

Wer heute über die Templer redet, vermischt meist wenige Fakten mit viel Fiktion. Und fast jeder denkt sofort an den Film "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug": In der Schlüsselszene am Ende steht Harrison Ford dem letzten der drei (Tempel-) Ritter gegenüber, der dank der Kraft des Grals die Jahrhunderte überdauert hat. Um sich des Grals würdig zu erweisen, muss er noch eine Prüfung bestehen: Unter Dutzenden Kelchen und Schalen muss er den echten Gral herausfinden - andernfalls zerfällt er zu Staub.

Natürlich endet das Abenteuer glücklich: Ein einfacher Kelch, der Becher eines Zimmermanns eben, erweist sich als die richtige Wahl, Indiana kann so seinem Vater das Leben retten. Das Geheimnis war im Grunde kein Geheimnis, lag es doch offen vor aller Augen. Vielleicht verhält es sich mit dem Templerorden genau so. Abt Augustinus findet den Film jedenfalls ganz witzig.

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