Orangerie im Englischen Garten:Ein Fest der doppelten Verneinung

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Seelenverwandt trotz aller Unterschiede: Lorenzo von Waberer und Andrea Fisser. (Foto: Robert Haas)

Andrea Fisser und Lorenzo von Waberer kennen sich seit Kindertagen. In ihrer Ausstellung "Opposites reject" in der Orangerie bringen die beiden Künstler die Summe aller Unterschiede in ein spannendes Gleichgewicht, Tod und Leben, Mann und Frau

Von Jutta Czeguhn

Padre Pio, der süditalienische Stigmataträger, der Schwerkranke und marode Fiats heilte, Oblatenvermehrungen und derlei Wunder mehr verantwortete. In Italien entkommt man ihm nicht, er ziert Schlüssel-Anhänger, neuerdings sogar Mund-Nasen-Schutzmasken, an jeder Autobahntankstelle, in jeder Bar kauert der Heilige neben der Kasse. Doch hier, in der Orangerie am Englischen Garten hätte man den Kapuzinermönch nicht erwartet. Gleich in doppelter Ausführung ist er anzutreffen, als Schnitzfigürchen auf zwei glatten Sockeln, mal schwarz, mal weiß. Gehört er nun zur hellen oder zur dunklen Seite der Macht? War dieser so hysterisch Verehrte am Ende ein Scharlatan, der bei seinen Wundmalen stets ein wenig nachgeholfen hat mit Säure aus der Apotheke? So ganz raus ist das nicht bei Pio, obwohl ihn der mittlerweile Co-Heilige Johannes Paul II im Jahr 2002 kanonisiert hat im Märtyrerverzeichnis Martyrologium Romanum.

Gerade dieses Zwielichtige mag Andrea Fisser so an Pio, weshalb sie gleich zwei Heiligenscheine - profane Lichtschläuche - um die Füße der schwarzen Mönchsfigur geschlungen hat. Für die Künstlerin steht der langbärtige Padre für die ganze Ambivalenz der katholischen Kirche. Glaube und Aberglaube, Arm in Arm. Schwindeln soll erlaubt sein, denn das "Ego te absolvo a peccatis tuis ..." ist ja im Preis inbegriffen. Pio also fordert die Schwarz-Weiß-Denker munter heraus, wie vieles, das in der Ausstellung "Opposites reject" an diesem Freitag und Samstag im lichten, hohen Galerieraum zu sehen ist. Man hat richtig gelesen: Gegensätze stoßen sich ab in dieser Schau, die Fisser gemeinsam mit Lorenzo von Waberer bestreitet. Man ist zum Querdenken aufgefordert. Der Titel, sagt Waberer, der sei wie eine "doppelte Verneinung" gemeint. Aus der Summe aller Unterschiede entsteht ein harmonisches, aber niemals langweiliges Gleichgewicht.

Lorenzo von Waberer liebt den Farbenrausch und den mexikanischen Totenkult. (Foto: Robert Haas)

Die beiden Münchner kennen sich seit gefühlt hundert Jahren, was mindestens zur Hälfte der Wahrheit entspricht, denn Lorenzo von Waberer, heute 55, hat Andrea Fisser schon herumgetragen, da war er drei und sie ein Baby. Geschwisterliche Freunde sind sie, die ihre Unterschiedlichkeit in dieser Ausstellung vollen Herzens und augenzwinkernd zelebrieren, auch im Äußeren. "Der Lorenzo ist immer schwarz angezogen, und ich immer weiß", sagt Fisser, als man die beiden bei der Hängung ihrer Werke in der Orangerie besucht. Auch sonst ging's mit ihnen in verschiedene Richtungen, er lebt als Grafik-Designer in München, sie düst als Bühnen- und Kostümbildnerin durch die gesamte Republik, Lebensmittelpunkt ist Berlin. Aus den Augen verloren haben sie sich nicht. Nun endlich dieses gemeinsame Projekt, das sich sehr kurzfristig ergab. Fisser, die Ausstellungserfahrene, bekam die Orangerie für knapp drei Tage. Und Freund Lorenzo, so sagt er, sei dann eben mit aufgesprungen.

Springen ist so ein Stichwort. Denn diese Schau katapultiert einen wie eine Billardkugel quer durch den Raum. Ständig ergeben sich auf vielen Ebenen Analogien zwischen ihren Werken - völlig unbeabsichtigt, wie beide Künstler versichern. In den Arbeiten jedoch herrscht das Gesetz der Polarität. Oft scheint bei Andrea Fisser die Kostüm- und Bühnenbildnerin durch, nicht nur weil sie die Seitenwand mit 100 ihrer fein gezeichneten Figurinen tapeziert hat. Souverän kreiert sie mit wenigen Materialien wie Organza, Holz und Plexiglas ihre Dramolette. Ein altes Hochzeitsfoto - ein Flohmarktfund - zeigt in der Doppel-Montage, worauf sie letztlich hinausläuft, diese Sache zwischen Frau und Mann. Die Dame im strengen Korsett rüstet sich mit einer Kalaschnikow. "Oversexed and underfucked", ein unübersetzbarer Titel, zeigt nackte männliche und weibliche Torsi mit Pandaköpfen. Unheimliche Mischwesen, wie sie Fisser liebt, die sich in ihrem Leben und Arbeiten dem Tierwohl verpflichtet hat. "Ich hab' Leuten oft Schweinsköpfe aus Plastik aufgesetzt und sie fühlen lassen, wie das so ist kurz vor der Schlachtung", erzählt sie. Auch der Tod, dieser Kumpel des Lebens von der anderen Seite, begegnet einem in dieser Ausstellung auf sehr persönliche Weise. In der Mitte des Raumes hat die Künstlerin, zeichnerisch, die Illusion eines offenen Sargs geschaffen, so einen, wie sie in Italien dem balsamierten Padre Pio gebaut haben. Fisser zeigt ein zartes Skelett mit Hundeschädel, das ein pinkfarbener Phönixvogel umschwirrt, Wiedergeburt verheißend. "Momentan tot", so der Titel. Hier verarbeitet Fisser den Tod ihres Vaters - und den ihres Hundes.

Andrea Fisser fühlt sich der Tierwelt eng verbunden. (Foto: Robert Haas)

Dominiert bei Andrea Fisser das Monochrome, Durchscheinende, liebt Lorenzo von Waberer den Farbenrausch, den er in seinem Job als Grafik-Designer nicht unbedingt ausleben darf. Mit vielen digital erzeugten Mandalas, bunt flirrend wie in einem psychedelischen LSD-Trip, tapeziert er seine Seitenwand und erzeugt ein visuelles Ping-Pong-Spiel mit den Fisser-Figurinen vis-à-vis. Waberer experimentiert mit 3D-Software, schafft Avatare, kahle Frauen und Männer, die auch bei ihm im Spannungsfeld zwischen Anziehung und Abstoßung agieren. Und der Tod bekommt auch bei ihm seinen Auftritt. Er darf sich über seinen Schädel eine lustige Panda-Maske ziehen und in Comic-Ästhetik den Lebenden verschwörerisch zugrinsen. So wie am "Día de Muertos" in Mexiko, dem Tag, an dem die Verstorbenen frei haben, Dies- und Jenseits sich vermengen, und es keinen Unterschied macht, ob sie aus dem Himmel oder der Hölle zu uns kommen.

"Opposites reject", Gemeinschaftsausstellung von Andrea Fisser und Lorenzo von Waberer, Orangerie am Englischen Garten Englischer Garten 1 a, Freitag, Samstag, 4./5. September, 17 bis 20 Uhr.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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