Opfer des Oktoberfest-Attentats:Ein Anschlag, der 34 Jahre dauert

Lesezeit: 4 min

Hans Roauer stand gleich neben dem Papierkorb am Wiesn-Eingang, in dem der Attentäter die Bombe deponierte. (Foto: Veronica Laber)
  • Hans Roauer ist Opfer des Oktoberfest-Attentats. An den Folgen der Explosion leidet er bis heute: Auf Röntgenbildern seines Schienbeins kann man immer noch Reste metallener Bombensplitter sehen.
  • Zu Silvester schluckt Roauer eine Schlaftablette, Kinofilm kann er nur anschauen, wenn er ganz hinten sitzt.
  • Besonders leidet er aber am unsensiblen Verhalten der Behörden. So musste er jahrelang für seine Entschädigung kämpfen: 127 Euro im Monat.

Von Katja Riedel

Seit fünf Wochen wacht Hans Roauer jede Nacht auf, in Schweiß gebadet, im Kopf die Bilder, in der Nase den Brandgeruch. Alles ist wieder da, wenn er daliegt in seinem Bett in Donauwörth: der junge Mann mit der Plastiktüte, der Knall, die Sirenen, die Schreie, die Roauer in jener Nacht vor 34 Jahren erlebt hat und die ihn nun wieder heimsuchen. All das ist jetzt noch präsenter als in all den Jahren zuvor. Jetzt, da die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu den Hintergründen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980 wieder aufgenommen hat.

Es war ein spektakulärer Schritt Mitte Dezember, ein Schritt, der den 211 Verletzten des schwersten Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik Mut macht, dass mögliche Hintermänner doch noch gefunden werden. Es ist eine Chance auf Gerechtigkeit, die auch Roauer begrüßt, aber trotzdem ist sie da: die Angst vor der Erinnerung, gegen die der Donauwörther seit dem Anschlag kämpft, seit gut vier Jahren auch mithilfe einer Psychologin.

"Diagnose: offene Vorfußtrümmerfraktur rechts mit ausgedehnter Weichteilbeteiligung, Weichteilverletzung am Kopf" - das ist in dem Arztbrief zu lesen, mit dem das Klinikum Großhadern Roauer am 4. November 1980 in die Reha entlässt. Von einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die ihm Jahrzehnte später seine Therapeutin in einem Gutachten attestiert, ist dort nichts zu lesen, dabei werden die seelischen Wunden weit schlechter heilen als die sichtbaren, die körperlichen. Er hat eine offene Wunde an seinem zerstörten rechten Fuß, dem "Wiesnfuß", wie er ihn nennt.

Bombensplitter stecken bis heute im Bein

Er hat gekämpft dafür, dass er ihm nicht amputiert wird. Denn Roauers Linker ist ein Klumpfuß, von Geburt an, der zweite Fuß ist also unverzichtbar. Auf Röntgenbildern seines Schienbeins kann man bis heute Reste metallener Bombensplitter sehen, auch im Beckenknochen, am Hinterkopf und in der Schulter stecken noch Metallreste - ironischerweise die letzten Asservate jenes Anschlags, den die Ermittler längst zu den Akten gelegt hatten. Und dessen Asservate die Bundesanwaltschaft zum Teil schon Anfang 1981, nur wenige Monate nach dem Anschlag, vernichten ließ.

Oktoberfest-Attentat
:Generalbundesanwalt nimmt Ermittlungen wieder auf

34 Jahre nach dem Oktoberfestattentat werden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Das hat Generalbundesanwalt Harald Range bekannt gegeben. Grund für die Entscheidung sei eine bislang unbekannte Zeugin.

Von Wolfgang Janisch, Annette Ramelsberger und Katja Riedel

Als Roauer dies im Dezember in der Süddeutschen Zeitung las, meldete er sich bei dem Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich, der viele Anschlagsopfer vertritt. Er hat den Bundesanwälten inzwischen angeboten, sich die Splitter notfalls herausoperieren zu lassen, sollte es der späten Wahrheitsfindung dienen - wohl mehr ein Symbol als ein Ermittlungsansatz. Gehört hat Roauer dazu noch nichts, auch nicht zu seiner Zeugenaussage, die er zusammen mit dem ungewöhnlichen Angebot nach Karlsruhe geschickt hat.

Wie Zeuge Roauer das Attentat erlebt hat

Darin schildert der Zeuge Roauer, was er unmittelbar vor der Detonation beobachtet hat: Wie der junge Mann mit dem Wuschelkopf und der Plastiktüte zu einem Auto am Bavariaring gegangen ist. Wie er durch die heruntergelassene Scheibe mit mindestens drei Insassen des dunklen Wagens gesprochen hat. Wie er heftig diskutierte. Und wie der Mann dann vielleicht fünf, zehn Meter zu dem Papierkorb gleich neben Roauer ging und die Plastiktüte hineinlegte.

Oktoberfest-Attentat
:Warum die Ermittlungen Jahre dauern werden

34 Jahre nach dem Anschlag auf das Oktoberfest hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen. Doch was heißt das konkret? Welchen Hinweisen gehen die Beamten nach? Und ist schon bald mit Festnahmen zu rechnen?

Von Martin Bernstein, Annette Ramelsberger und Katja Riedel

Die Druckwelle erfasste Roauer, er flog, fiel, dachte noch: "Was für ein Trottel zündet denn auf dem Oktoberfest einen Feuerwerkskörper?" Dann war er weg, ohnmächtig. Als er aus der Ohnmacht erwachte, wollte er aufstehen. Neben ihm lag der Torso eines Mannes, dem die Arme fehlten und große Teile des Gesichtes, der Attentäter Gundolf Köhler.

Und auf ihm lag jemand, wohl der Bekannte, mit dem Roauer an diesem Abend unterwegs war. Einer aus seiner Pendler-Clique, die täglich im Zug von Ingolstadt nach München gefahren ist und sich an diesem Tag zu einem gemeinsamen Wiesnabend verabredet hatte. Fünf flüchtige Bekannte. Erst als Roauer den schwerverletzten Bekannten später in Großhadern in dessen Krankenzimmer besuchte, konnte er realisieren: Der großgewachsene Mann "war mein Kugelfang". Die beiden hatten noch ein paar Jahre lang Kontakt, dann ging die Bekanntschaft auseinander.

Wie sich Roauers Leben veränderte

Überhaupt hat der Anschlag Hans Roauer zu einem einsamen Mann gemacht. Seine damalige Partnerschaft ging in die Brüche, sein Leben bestand aus Vermeidungsstrategien. Er mied Menschen, er hatte Angst, in die Nähe von Papierkörben zu kommen, er schaffte es nicht mehr, mit dem Zug nach München zu fahren, wo er als Finanzbeamter im mittleren Dienst gearbeitet hatte. Er ließ sich versetzen, nach Mehring, wo er mit den Eltern gemeinsam ein Haus gebaut hatte, dort arbeitete er bis Mitte der Neunzigerjahre in der Bundeswehrverwaltung, machte sich dann selbständig, erlebte Schiffbruch, fing öfter etwas Neues an.

Oktoberfest-Attentat
:Die Asservatenkammer ist leer

Die Bundesanwaltschaft bestätigt die Vernichtung der Spuren vom Oktoberfest-Attentat. Neue Ermittlungen lehnt sie ab.

Annette Ramelsberger

Ein Leben, mehr schlecht als recht: Silvester hat Hans Roauer letztmals 1979 gefeiert, seitdem schluckt er an diesem Abend eine Schlaftablette und bleibt allein zu Hause. Er nimmt täglich Schmerzmittel, und obwohl er sagt, seine Therapeutin habe ihn halbwegs hinbekommen, kann er sich noch heute einen Kinofilm nur anschauen, wenn er ganz hinten sitzt, auf dem äußersten Platz, jederzeit bereit zur Flucht. "Sie müssen über diese Sachen reden, hat die Therapeutin gesagt", erzählt Roauer. "Sie müssen den Menschen ihre Geschichte aufs Auge drücken."

Verhalten der Behörden macht Roauer wütend

Hören wollten sie nicht viele. Als besonders schmerzlich hat Hans Roauer den Umgang der Öffentlichkeit mit dem Anschlag empfunden. Der schlimmste Anschlag der Nachkriegsgeschichte, war da was? Es ist eine tiefe Wut, sie kriecht ihm in den Nacken, er bekommt eine Gänsehaut, wenn er von seinem Kampf um seine kleine Opferentschädigungsrente erzählt, die er seit vier Jahren bekommt, 127 Euro im Monat sind das.

Oder davon, dass seine zerstörten Zehen Fußpflege brauchen, damit die Nägel nicht ins Fleisch einwachsen: 30 Jahre Kampf seien das gewesen, um neun Euro Zuschuss, die er erstritten habe. Und die Kosten für seinen Krankenhausaufenthalt nach dem Attentat habe sein Vater aus der eigenen Tasche zahlen müssen, weil der Beamte Roauer angegeben hatte, er sei Privatpatient, dabei hätte er sagen müssen, das Versorgungsamt zahle - ein teurer Fehler eines Traumatisierten, der die Familie 20 000 Mark gekostet habe.

Setbesuch bei "Oktoberfest - das Attentat"
:Zwischen Lederblouson und Schalenstühlen

"Kamera, ab": In München und Umgebung wurde gerade der Fernsehfilm "Oktoberfest - das Attentat" gedreht. Darin geht es um die Recherchen eines BR-Journalisten zu den Hintergründen des schlimmsten Anschlags in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

hinter die Kulissen von Vanessa Steinmetz

"Wenn Politiker sagen, die Opfer bekämen eine schnelle, unbürokratische Hilfe, und dann muss man immer wieder für alles Zettel ausfüllen und kämpfen", das habe er als Ungerechtigkeit empfunden, sagt Roauer. "Es ist ja nicht nur so, dass man durch die Luft geflogen ist; wie man von öffentlichen Stellen behandelt worden ist, von oben herab, das war schlimmer als das Attentat", sagt er. Da verliere man "schon mal den Glauben an die Gerechtigkeit". Die neuerlichen Ermittlungen geben ihm nun Hoffnung, dass sich das ändern könnte. Vielleicht.

© SZ vom 24.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: