Oper: "Palestrina"-Premiere:Kitsch, Künstler, Kardinäle

Mit der Inszenierung von Hans Pfitzners "Palestrina" an der Münchner Oper beweist Christian Stückl Mut zum Kitsch - und wagt eine künstlerische Gratwanderung.

Carolin Gasteiger

"O Gott, nur Kardinäle": Christian Stückl ging zunächst mit sehr gemischten Gefühlen an seine dritte Operninszenierung. Erwartete ihn doch mit Hans Pfitzners "Palestrina" ein musikalisches Monumentalwerk, voll von Künstlertum, Kirche und, ja, Kardinälen.

Palestrina Oper

Absinth-Rausch bei der Palestrina-Premiere: Das Bühnenbild färbt sich grün.

(Foto: Foto: AP)

Staatsopernintendant Nikolaus Bachler hatte sich in seiner ersten Spielzeit eine Münchner Oper gewünscht, inszeniert von einem Münchner Regisseur. Niemand schien geeigneter als der Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele, die Spannung vor der Premiere am Montagabend war groß.

Seine anfänglichen Zweifel verdeckt Stückl hinter einer dicken Schicht Neonfarbe - und einer guten Portion Kitsch. Er taucht die erzkatholische Welt des Renaissance-Komponisten Palestrinas in schrille Neonfarben. Schwarz-weiße Totenschatten, bonbonfarbene Kardinäle und giftgrüne Engel machen die unaufgeregte Handlung zu einem optischen Popart-Erlebnis.

Ein Bühnenbild wie ein Absinth-Rausch

Zentral ist der Gegensatz zwischen dem Künstler Palestrina und der Welt, in der er nach dem Tod seiner Frau Lukrezia zu scheitern droht. Zu gerne würde er den Schatten seiner toten Meister folgen und wie sie, in Rauch gehüllt, in die Unterwelt verschwinden. Aber auf die schwarz-weißen Totenfratzen folgt Palestrinas Erleuchtung. Stückl lässt nicht nur ein paar Engel dem Künstler die "Missa Papae Marcelli" in die Feder diktieren, sondern gleich eine ganze Schar. In giftgrünen, fließenden Gewändern schweben sie ein. Auch das Bühnenbild färbt sich giftgrün - das meinte der Regisseur wohl mit dem Absinth-Rausch. Bei den Premierengästen führt es jedenfalls zu spontanen Lachern.

Von allen Seiten schmettern die Engel das Kyrie eleison und Simone Young, Generalmusikdirektorin in Hamburg, scheint um ihr Leben zu dirigieren. Schon lange hatte sie "Palestrina" im Visier, auch wenn Hans Pfitzner aufgrund seiner politischen Verstrickungen während der Nazizeit als problematischer Komponist gilt. Aber schnell wird klar, warum sein bedeutendstes Werk auch "musikalische Legende" genannt wird - und doch so selten auf dem Spielplan steht.

Immer mehr Kardinäle, Bischöfe, Abgesandte und Doktoren betreten die Bühne, auf der Stückl das Trientiner Konzil in kardinalfarbenem Pink tagen lässt. Aber die unnötig langen Dialoge und ausladende musikalische Untermalung lassen den zweiten Akt zur Geduldsprüfung werden. Die Parole "Schnell zum Schluss", unter der das Konzil steht, hat Pfitzner selbst sich offenbar kaum zu Herzen genommen. Viel zu spät folgen Streit, Tumult und Mord.

Knallfarbene Kirchendiener und Papplimousine

Hätte Stückl nur streichen können im Libretto, wäre die Spannung womöglich erhalten geblieben. So bleibt dem Oberammergauer nichts anderes übrig, als immer mehr knallfarbene Kirchendiener aufeinander zu hetzen. Eine vorfahrende Papplimousine samt dunkelhäutigem Chauffeur erhöht vielleicht den Kitschfaktor, die Handlung macht sie jedoch auch nicht aufregender.

"Evviva Palestrina! Evviva der Retter der Musik!": Vor dem Portrait eines neonfarbenen Popart-Jesus erlangt der Titelheld mit seiner "Missa Papae Marcelli" endgültig Berühmtheit. Der Papst singt - wie Lukrezia zuvor - durch einen Alien-artigen Pappkopf und Palestrina versöhnt sich mit Gott. Ein dramatisches Ende vor einem dramatisch neonfarbenen Hintergrund. Kann Stückl mit seinem Kitschprogramm anfangs noch Charme und Witz vermitteln, wirkt "Palestrina" zum Ende hin doch sehr angestrengt. Vielleicht liegt das aber auch an den viereinhalb Stunden, die das Monumentalwerk dauert.

Das Münchner Premierenpublikum ist gespalten - "mutig, irr, interessant" heißt es noch in den Pausen, beim Schlussapplaus mischen sich schließlich Buh- mit Bravo-Rufen. Ausgesucht hätte sich Stückl die "Palestrina"-Oper nicht, hatte er im Vorfeld gesagt. Hinter all der Neonfarbe werden plötzlich wieder Zweifel sichtbar.

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