Oper in München:Diese Kostüme bieten Stoff für große Dramen

Oper in München: Eine textile Schatzkiste ist das Stofflager der Oper. Liliane Kappl passt auf, dass sich keine Motte einschleicht.

Eine textile Schatzkiste ist das Stofflager der Oper. Liliane Kappl passt auf, dass sich keine Motte einschleicht.

(Foto: Stephan Rumpf)

In den Werkstätten des Nationaltheaters werden pro Saison etwa 2000 Kostüme gefertigt - und die Sänger müssen auf der Bühne das tragen, was ihnen vorgeschrieben wird.

Von Jutta Czeguhn

O mein Gott! Die Dame auf dem Galerie-Stehplatz senkt schaudernd ihr Opernglas. Weit unten tobt Mephistopheles über die Bühne. Zwischen seinen Beinen baumelt . . . Die Frau setzt das Binokular noch einmal an. Der Fummel, den Tenor Kevin Conners als Teufel in Sergej Prokofjews Oper "Der feurige Engel" trägt, gehört zu den schillerndsten Kostümen der zurückliegenden Saison. Bei den Opernfestspielen, die am 25. Juni beginnen, gibt es ein Wiedersehen mit manch anderem Bühnengewand: Der legendär unkleidsamen Latzhose der Elsa im "Lohengrin" zum Beispiel oder den Schneeanzügen in "South Pole". Außerirdisch-asiatische Opulenz flimmert einem vor Augen in "Turandot", Jonas Kaufmann erringt den Meistersinger-Pokal im schlichten T-Shirt. All diese Kostüme sind in den Werkstätten der Bayerischen Staatsoper entstanden. Bis zum Spielzeitende am 31. Juli haben die Mitarbeiter dort noch alle Hände voll zu tun.

"Direktor Kostüm und Maske" steht an der Bürotür von Ulrich Gärtner. Der bärtige Mann mit der großen Brille hält seit 16 Jahren am Nationaltheater die Fäden in der Hand. Davor war der ausgebildete Schneider an der Hamburger Staatsoper tätig. Ins Theatergeschäft sei er "irgendwie hineingeschlittert", erzählt er bei einem Rundgang durch die Opern-Werkstätten, in denen pro Saison etwa 2000 Kostüme entstehen. In Spitzenzeiten arbeiten 155 Menschen in Gärtners Abteilung, viele von ihnen in Teilzeit. Es sind Gewandmeister, Damen- und Herrenscheider, Modisten, Schuhmacher und Rüstmeister, Maskenbildner, Ankleidedamen, die den Sängern in den Garderoben von der Socke bis zum Ohrclip alles zurechtlegen. In der Wäscherei werden Schweißflecken, Theater- und Echtblut aus jeder Kostüm-Faser getilgt.

Mit einem "Haufen Künstler" habe er es zu tun. "Sie sind extrem lebhaft und kreativ, jeder hat seine Meinung, tut und rennt", seufzt Gärtner und lächelt dann. Er stammt aus dem Ruhrpott, das ist seine Art, den Kollegen ein Kompliment zu machen, denn natürlich weiß er, dass er auf eine ziemlich gute Mannschaft bauen kann. Auf Leute wie Renate Ostruschnjak. Die Gewandmeisterin in der Herrenscheiderei hat ein Maßband um den Hals und ein Stecknadelkissen am Handgelenk. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Karostoff, der mit Steppnähten durchzogen ist. "Wir hatten Anprobe, heute wird das Sakko ausgezeichnet, dann geht es zurück in die Scheiderei", erklärt sie und deutet hinüber zum großen Raum hinter der Glasscheibe. 20 Schneider und zwei Auszubildende nähen dort an ihren Maschinen, bügeln oder behängen Modellpuppen. Gewandmeister, es gibt jeweils drei in der Herren- und der Damenscheiderei, sind zuständig für die Schnitte und die Anproben. Ostruschnjak arbeitet gerade an einem Herrenanzug für Gaetano Donizettis Oper "La Favorite", die Ende Oktober Premiere haben wird.

Mindestens ein halbes Jahr Vorlauf hat so eine Neuproduktion. Die Regisseure reisen in der Regel mit Team an, die meisten mit ihrem Leib-und Magen-Kostümbildner. An den Regisseuren, sagt Ulrich Gärtner, hänge der ganze Apparat. Haben sie ein klares Konzept, können auch die Bühnenbildner und Kostümdesigner loslegen und die Schneider der Staatsoper die Stücke zügig wegarbeiten. "Bei großen Choropern mit 300 Kostümen ist die Logistik sehr aufwendig", erklärt Gärtner. Denn auch jedem Choristen wird ein Gewand auf den Leib geschneidert. Gärtner erinnert sich an Verdis "Ballo in Maschera". Kostümbildnerin Gesine Völlm schickt in dieser hocheleganten Inszenierung die Chordamen in opulenter Art-Deco-Toilette auf die Bühne. "Da mussten die Stoffe gefärbt und gedruckt werden", berichtet Gärtner.

Auf dem Weg zum Stofflager stehen Kleiderständer im Gang. Bereits fertige Sakkos für die Donizetti-Oper im Herbst hängen da. Jede dieser Maßarbeiten ist mit einem "Laufzettel" versehen. Darauf ist notiert, wer das Kostüm tragen wird, wer es gefertigt hat, in welcher Zeit. "Die Arbeitsstunden werden vorher veranschlagt, es kann aber schon mal bei der Anfertigung zu erheblichen Abweichungen kommen", sagt Gärtner. Dafür verantwortlich zu machen seien nicht selten die Regisseure, wenn ihnen kurzfristig Änderungen einfielen. "Da heißt es eine Woche vor der Endprobe, wir brauchen noch 20 Kinderuniformen. Dass in so einer Uniform 50 Arbeitsstunden stecken, will keiner wahrhaben." Die Arbeitsprozesse hätten sich enorm beschleunigt. Heute entstünden die Dinge viel unmittelbarer während der Probenphasen, früher sei ein Dreivierteljahr Zeit gewesen.

Das Stofflager der Staatsoper erscheint da als entschleunigter Ort. Mitarbeiterin Liliane Kappl brüht sich gerade einen Kaffee auf. "Wir kaufen eigentlich schon nichts Neues mehr fürs Stofflager ein, nur noch unmittelbar für eine neue Produktion. Trotzdem hat man den Eindruck, es wird nicht weniger." Ulrich Gärtner steht inmitten einer Schatzkiste. Leinen, Tweed, Seide, Organza, Feintüll und Futterale in allen Farbschattierungen stapeln sich in den Regalen. Eine Kleidermotte möchte man hier sein. Gärtner schüttelt den Kopf und deutet zur Decke, wo eine Insektenfalle baumelt. "Alle zwei Monate wird kontrolliert", sagt er. Nicht anders im Fundus und im großen Depot in Poing, wo auch Original-Kostüme von Repertoire-Methusalems wie "La Bohème" lagern. Die rumänische Diva Angela Gheorghiu, heißt es, habe sich einmal eine Mimì-Bluse umschneidern lassen, weil ihr das Dekolleté im Original-Entwurf aus dem Jahr 1969 zu züchtig erschien. Solche Kostüm-Anekdoten gibt es wohl noch viele. Doch Ulrich Gärtner ist viel zu diskret, um sie auszuplaudern.

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