Kritik:Himmlische Gefangene

Kritik: Die Engel werden gerupft: Alma Naidu, Wiard Witholt, Claudio Zazzaro (von links).

Die Engel werden gerupft: Alma Naidu, Wiard Witholt, Claudio Zazzaro (von links).

(Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Die europäische Erstaufführung der Oper "Angel's Bone" am Staatstheater Augsburg: eine packende Produktion in englischer Sprache.

Von Klaus Kalchschmid, Augsburg

Gleich zwei Premieren mit zeitgenössischem Musiktheater gab es am Wochenende beim Staatstheater Augsburg, zum einen die bewegende, intime Monooper "Das Tagebuch der Anne Frank" von Grigori Frid auf der Brechtbühne in der Inszenierung von Nora Bussenius mit Olena Sloia; tags darauf auf der großen Bühne im Martini-Park die europäische Erstaufführung der Oper "Angel's Bone" der amerikanisch/chinesischen Komponistin Du Yun. Sie wurde 2016 in New York uraufgeführt, bekam den Pulitzer-Preis und ist bereits auf CD erschienen.

Ob Madrigal-Engelschöre, gesungen von schwarz gewandeten Männern und Frauen, Posaunen des Jüngsten Gerichts, hastiges Sprechen über elektronischem Wabern, einsame Geigen- oder Klarinetten-Soli, ja sogar regelrechter Punkrock: die 45 Jahre alte Komponistin kennt keine Scheu, sich vieler Idiome zu bedienen, um das Geschehen ins rechte musikalische Licht zu rücken, das die Augsburger Philharmoniker unter Ivan Demidov plastisch ausleuchten.

Zur Handlung: Zerstrittenes Ehepaar findet vom Himmel herabgestürzte Engel. Doch statt ihnen zu helfen und ihre verletzten, geknickten, blutigen Flügel zu heilen, nötigt die Frau (Luise von Garnier) ihren Mann (Wiard Witholt), dem weiblichen und dem männlichen Engel die restlichen Federn zu rupfen und ihre Flügel abzuschneiden. Fortan werden die beiden als göttlichen Segen spendende Wesen in ihrer Gemeinde und im TV angepriesen und verkauft, "Girl Angel" (sehr intensiv und berührend: Alma Naidu als Gast) entkommt da kaum einer Vergewaltigung und auch "Boy Angel" (Claudio Zazzaro bewältigt die hohe Tenor-Tessitura staunenswert und spielt seine Verzweiflung großartig) wird immer wieder brutal genötigt.

Am Ende martert sich Mr. X. E. seiner Schuld eingedenk selbst tödlich mit einer der Engelsfedern, die er in einem großen Koffer aufbewahrte und die er den Engeln zurückgeben wollte; den beiden Engeln gelingt die Flucht und Mrs. X. E., die Lady Macbeth in dieser Geschichte, jammert in einer Fernseh-Talkshow, dass sie doch gar nicht berühmt werden wollte.

Antje Schupp (Regie), Christopher Ruder (Bühne) und Mona Hapke (Kostüme) haben eine packende Produktion in der Originalsprache Englisch erarbeitet: Auf der Bühne kann man dank der charakteristischen Umrisse einen Flügelaltar oder Orgelprospekt erahnen, und tatsächlich sieht man immer mehr vom gewaltigen Isenheimer Altar, mal die Kreuzigung, mal die Menschwerdung Gottes, also die Krippe. Sobald die Engel geschändet wurden, bleiben auf der Drehbühne nur noch das Gerippe und Leuchtstoffröhren übrig (Bühne: Christopher Rufer).

Doch da geht alles erst richtig los: Die beiden Engel, auf deren Rücken die blutigen Wunden klaffen, wo einst ihre Flügel angewachsen waren, werden zum käuflichen Objekt der Begierde. Musikalisch stark wird der Abend immer dann, wenn er besonders hart das Geschehen begleitet oder umgekehrt der Fokus auf den ganz leisen Tönen liegt, etwa wenn der Erzengel (ein feiner Countertenor: Constantin Zimmermann) und ein zwölfstimmiger "Vokalzirkel" und/oder der Opernchor des Staatstheaters Augsburg die vielfältigen, überirdischen oder sehr real irdischen Kollektive darstellen.

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