Open-Air-Kino im Ungererbad schließt:Der Film ist aus

Das Open-Air-Kino im Ungererbad war bei Cineasten beliebt - jetzt muss es wegen Anwohnerbeschwerden schließen.

Christian Schiele

Für Natalie Iwaschur und Reinhard Gamisch ist dies ein besonderer Ort. Hier haben sie sich vor genau zwei Jahren das erste Mal geküsst. So richtig. Nun sind sie zurückgekommen, auf ihre Wiese, um ihr Jubiläum zu feiern. Mit allem, was dazu gehört: eine Picknick-Decke, eine Flasche Rotwein, selbstgemachte Zucchini-Quiche und zum Naschen Torrone, eine sardische Spezialität aus ihrem letzten Urlaub. Grillen zirpen, nebenan plätschert das Wasser, die Blätter der Linden rascheln, und aus den zwei Lautsprechern tönt jazzige Musik. In Pullover und dicke Jacke gepackt küsst sich das Paar. Ein letztes Mal. Hier.

Open-Air-Kino im Ungererbad schließt: Im Kino am Pool kann man künftig keine Pause mehr machen. Denn mit dem Freiluft-Gegucke im Ungererbad ist Schluss. Obwohl der Veranstalter bisher immer alle Grenzwerte eingehalten hat. Die Stadt München stellt das mit orangenfarbenen Siegeln auf dem Mischpult sicher. Zerreißen sie, gibt es Ärger.

Im Kino am Pool kann man künftig keine Pause mehr machen. Denn mit dem Freiluft-Gegucke im Ungererbad ist Schluss. Obwohl der Veranstalter bisher immer alle Grenzwerte eingehalten hat. Die Stadt München stellt das mit orangenfarbenen Siegeln auf dem Mischpult sicher. Zerreißen sie, gibt es Ärger.

(Foto: Foto: Schellnegger)

Nächstes Jahr werden Natalie Iwaschur und Reinhard Gamisch an einem anderen Ort feiern müssen. Die 14 mal acht Meter große Leinwand vor ihnen, auf die der Projektor an diesem Abend den Film "Beim ersten Mal" wirft, wird nicht mehr im Schwabinger Ungererbad stehen. Mit dem Kino am Pool ist jetzt Schluss. Drei Nachbarn, die gegenüber im Hochhaus namens Orpheus wohnen, ist das Freiluft-Gegucke zu laut.

Nur: Wie wollen beide Seiten in München, in dicht besiedelten Vierteln wie Schwabing, zusammenleben? Sollte man die Kinokultur im Sommer einfach in die fensterlosen Riesenhöhlen der Multiplexe verbannen? Oder müssen kulturelle Freiluftveranstaltungen, wie Open Air-Kinos es sind, geschützt werden? Für die Gäste des Ungererbades gibt es nur eine Antwort: Wer in die Stadt zieht, muss ein bisschen Lärm ertragen. Und so schlimm sei es gar nicht, sagen die direkten Anwohner, die an diesem Abend gekommen sind. Philip zum Beispiel. "Ich wohne gleich ums Eck vom Ungererbad. Wenn ich abends meine Fenster schließe, dann höre ich nichts. So laut kann das Open Air-Kino gar nicht sein."

Kaum ist die Sonne untergegangen, verstummt die Musik und mit ihr das Getuschel über den 90 roten Klappliegen, die nur zu einem Drittel besetzt sind. Die wenigen Pärchen wickeln sich in ihre Decken, die vier Scheinwerfer über der Leinwand erlöschen. Und Annie Jeske zwängt sich aus ihrem Kassenhäuschen. Jedem der 35 Gäste hat sie heute Abend ein Lächeln geschenkt. Und eine Karte verkauft. Diese Arbeit ist für sie wie Urlaub. Mit dem Kino verbindet sie den Sommer, seit vielen Jahren. Drei Tage wird er noch dauern, am Samstag ist er für immer vorbei. Das stimmt die 51-Jährige traurig. "Drei Leute machen uns das alles hier kaputt. Sie machen mir meinen Sommer kaputt." Sommer, Wiese, Strandbargefühl - das möchte sie jetzt genießen. Zusammen mit ihrer Familie.

Ihre Familie, das ist an diesem Abend das Team. Sie kennen sich seit Jahren. Die drei jugendlichen Aufbauhelfer, die Liegestühle aufstellen, Boxen auf die Ständer schrauben und Absperrbänder festwickeln; der Popcornverkäufer, der gezuckerte, aufgeplatzte Maiskörner in Pappbeutel füllt; die zwei Wirte im Gastrowagen, die Bier zapfen und Semmeln schmieren; der Vorführer, der die Rollen tauscht. Und Reinhard Straßer. Er ist sozusagen der Vater.

2001 bringt der 41-jährige Veranstalter sein Open Air-Kino in das Ungererbad. Der Ort ist perfekt: eine Wiese, Toiletten, Starkstromanschluss - mitten in Schwabing. Mehr als 10000 Besucher schieben sich im ersten Sommer durch die Drehkreuze des schweinchenrosa Baus. Und bekommen einiges auf die Ohren. Dialoge und Filmmusik wummern durch insgesamt zwölf Boxen: vier Bässe unter der Leinwand und acht Boxen auf dem Areal verteilt.

Der Streit mit den drei Anwohnern hat das geändert. Heute stehen nur noch zwei Boxen auf der Wiese, so platziert, dass sich der Schall an der Wand bricht und nicht nach draußen dringt. Das Drehkreuz klackt nicht mehr bei jedem Besucher, der um kurz vor Mitternacht das Bad verlässt; Reinhard Straßer hat es gesperrt. Auf die Ansagen vor und nach dem Film verzichtet er. Zu laut. Und sein "Kino am Pool"-T-Shirt streift er nur noch an 42 Tagen im Jahr über - zehn Tage weniger als früher. Zumindest brutto. Netto waren es dieses Jahr gerade einmal 17 Spieltage. "Wir hatten keinen Jahrhundertsommer", klagt Straßer, der trotz des kühlen Wetters in Flip-Flops über den Rasen läuft.

All diese Maßnahmen, Reinhard Straßer setzte sie freiwillig um. Die vorgeschriebenen Grenzwerte hat er immer eingehalten. Schließlich misst die Stadt München zu Beginn jeder Saison den Lärm, der aus den Boxen kommt, und klebt dann orangenfarbige Siegel auf das Mischpult. Zerreißen die Lautstärkeregler die Siegel, weil der Vorführer sie zu weit nach oben zieht, gibt es Ärger. Auch in einer der benachbarten Wohnungen hat die Stadt gemessen. Das Ergebnis: eine Farce, findet Reinhard Straßer. "Einer stand in der Wohnung, einen halben Meter vom geöffneten Fenster entfernt, der andere hier auf der Wiese. Sie haben telefoniert. Der auf der Wiese fragte: Hörst du was? Der andere: Nicht vom Kino, die Autos vom Ring sind zu laut".

Schluss. Der Film ist aus. Veronika Holler war zum ersten Mal da. Und auch zum letzten Mal. Verstehen kann sie das alles nicht. "Irgendwie hört in München alles auf. Erst die Blade Night, jetzt das Kino hier."

Ein bisschen Hoffnung bleibt. Mit 30 Prozent beziffert Veranstalter Reinhard Straßer die Wahrscheinlichkeit, dass es auch im nächsten Jahr das Kino am Pool wieder geben wird. Schließlich hat er mit Google Earth die gesamte Stadt abgesucht. Und kennt jetzt jede Wiese.

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