Online-Partnerbörsen:"Unverbindlichkeit ist ein ziemlicher Trend"

Online-Partnerbörsen: Eine Abfuhr per Dating-App ist nicht so blamabel wie im analogen Leben. Bei Tinder entscheidet die Wischrichtung, ob es überhaupt zum Date kommt.

Eine Abfuhr per Dating-App ist nicht so blamabel wie im analogen Leben. Bei Tinder entscheidet die Wischrichtung, ob es überhaupt zum Date kommt.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus / SZ.de)

Und manchmal ist der Chatpartner nur ein Dienstleister.

Von Laura Kaufmann

Am Ende ist nicht mehr viel Mensch übrig von der Nacht. Die meisten sind nach Hause gewankt, allein, zu zweit, in johlenden Grüppchen. Nur der hartnäckige Rest, der partout nicht aufgeben will, stolpert jetzt in die Milchbar oder ins Pimpernel. Schummrig rot sind diese Läden, und über beide heißt es: A bisserl was geht immer.

Am Tresen vom Pimpernel stehen auch Mona Schwartz und ihre Nachtbekanntschaft, sie haben sich gerade erst kennengelernt in einer Bar nebenan. Ringelshirt, Wuschelkopf und Witz, er gefällt ihr. Sieht so aus, als müsste Mona nicht allein nach Hause gehen. Allein nach Hause gehen, das kann nach einer langen, klebrigen Nacht wie dieser deprimierend sein. Von Lärm und trunkener Euphorie auf Stille in stinkenden Klamotten in nur einer Taxifahrt, Wochenende für Wochenende, das zermürbt.

One-Night-Stands findet man schnell - mehr aber nicht

Mona Schwartz, die wie die anderen Singles in dieser Geschichte ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, ist erst seit ein paar Monaten Single. Nicht ganz freiwillig, und früher oder später hätte sie gern wieder etwas Festes. Eigentlich lieber früher. Mona wünscht sich eine Familie.

Wenn sie ausgeht, schminkt sich die 31-Jährige ihre Lippen kirschrot; sie hat lange, glänzende Haare und ein offenes Lächeln. Mona kommt leicht ins Gespräch. "Einen One-Night-Stand findet man schnell." Aber darauf ist sie nicht unbedingt aus. Und mehr als ein paar gemeinsame Drinks, ein paar gemeinsame Nächte ergaben sich aus den letzten Bekanntschaften nicht. "Es bleibt immer unbestimmt und schwammig. Unverbindlichkeit ist ein ziemlicher Trend, gerade in diesen Tinderzeiten."

München ist berühmt für seine Singledichte. Und obwohl somit genügend los sein sollte auf dem Markt, tun sich diese Singles schwer. Laut Statistik sind 54,5 Prozent aller Haushalte Ein-Personen-Haushalte, was zwar alleinlebende Rentner und auch Pärchen in getrennten Wohnungen einschließt, aber einen guten Indikator abgibt. Tendenz: Steigend.

Bezahlen für attraktive Profile

Was auch steigt, ist die Neigung der Singles, das Alleinsein online zu bekämpfen. Sabine Brahms legte sich nach dem Aus ihrer letzten Beziehung Profile bei Friendscout und Finya an. "Aber ich glaube, ich bin falsch an die Sache rangegangen. Ich wusste selbst nicht so genau, was ich will", sagt sie. Brahms verlor sich in E-Mail-Liebeleien. Und wenn es zum Treffen kam, war sie meist enttäuscht. "Man baut sich ein Bild im Kopf auf, das der Realität nicht standhalten kann." Stimme, Geruch - das stellt ein Onlineprofil nicht dar, selbst wenn es nah an der Realität gebaut ist.

Manche machen sich nicht einmal die Mühe, das Onlineprofil selbst auszufüllen, sondern bezahlen Ghostwriting-Dienste wie suredate.de aus München, die für Männer mit dem nötigen Kleingeld - um die 700 Euro im Monat - ein Profil anlegen und das virtuelle Flirten übernehmen, bis es zum ersten Date kommt. Erst dann muss der Kunde selbst ran. Die Liebe, sie kann ein nüchternes Geschäft sein, gerade in einer auf Effizienz gebürsteten Stadt wie München. Hier wird Speed-Dating verkauft, Trommel- oder Kochkurse für Singles, und dann gibt es noch Flirtkurse für die ganz Verzweifelten.

Wie es on- und offline funktionieren kann

Sabine Brahms hat ihren neuen Freund schließlich ganz anders kennengelernt. Er wohnte nebenan. Verteufeln will sie die Onlinesuche aber nicht. "Wenn man genau weiß, was man will und gezielt vorgeht, kann das gut funktionieren." Viele aus dem Freundeskreis der 40-Jährigen haben sich in Netzbekanntschaften verliebt, daraus sind enge, liebevolle Partnerschaften entstanden.

"Anders ist es einfach schwer in der Stadt: Der Freundeskreis ist irgendwann ausgeschöpft, die Cliquen mischen sich nicht besonders durch. Und alle haben hohe Ansprüche: Du trägst die falschen Klamotten, schon war es das wieder." Auch Julia Germer, Anfang 30 und seit Jahren Single, empfindet das Münchner Nachtleben als schwieriges Pflaster: "Wenn du hier jemand anquatschen willst, brauchst du echt einen guten Spruch, sonst bekommst du gleich so einen Was-willst-du-überhaupt-von-mir-Blick."

Wie Lotto spielen, statt zu arbeiten

Ab 30 sind oft große Teile des Freundeskreises in festen Händen, haben Kinder. Es wird dann für Singles schon schwierig, jemanden zu finden, der sich mit einem in die Nacht stürzen will, um auf Suche zu gehen. Bleibt der Bekanntenkreis, der oft schon so zementiert ist, dass kaum neue Leute dazu kommen. Oder die Arbeit. Immer heikel. Oder der romantische Zufall, der zwei Fremde gleichzeitig zum letzten Joghurt greifen lässt. Aber nur auf den zu vertrauen, das ist ein bisschen wie Lotto spielen statt zu arbeiten. Und dann muss man auch noch den Mut aufbringen, den anderen anzusprechen.

Vor zwei Jahren war die Facebookseite "Spotted: Stabi München" angesagt, auf der Studenten statt zu lernen anzügliche Nachrichten über Kommilitonen veröffentlichen konnten, heute gibt es Apps gegen das Ärgernis "Gesehen - toll gefunden - nicht angesprochen". "Happn" zum Beispiel zeigt die Menschen an, die gerade im eigenen Umfeld waren. Auf der MVV-Seite veröffentlichen Fahrgäste unter der Rubrik "Flirtwillige" Nachrichten wie diese, aus der S 8: "Den großen starken blonden Mann möchte ich wiedersehen, der mir schräg gegenübersaß und einen Apfel gegessen hat, so wie ich."

Fred Hummel nutzt die Dating-App Tinder gern, statt auf den Zufall zu vertrauen. Er hat breite Schultern und ein entspanntes Selbstbewusstsein. Eigentlich niemand, der Probleme haben dürfte, Frauen kennenzulernen. "Aber die Münchner sind einfach distanziert", sagt der 28-Jährige. "In Hamburg oder Berlin sind die Leute offener. Wenn man in München eine Frau anspricht, zieht sie oft so ein Gesicht, als gehe man ihr auf die Nerven. Kann zwar eine Masche sein, aber anstrengend ist das schon."

Von der Tindergeschichte zur Beziehung

Tinder erspart ihm genervte Gesichter. Und eine reine Sexplattform sei es auch nicht. "Viele Frauen, mit denen ich schreibe, wollen sich auf einen Kaffee treffen. Dann sagt jeder einmal, wie albern er Tinder eigentlich findet, und dann schaut man, was draus wird. Das ist auch nicht anders als jedes andere Date." Aus einer seiner Tindergeschichten ist jetzt eine glückliche Beziehung geworden.

Um Tinder ist so ein Kult entstanden, dass es mittlerweile Tinder-Mottopartys gibt. Die Gäste bekommen am Eingang einen Stapel Herzen in die Hand. Die können einem potenziellem Flirt aufs Shirt gedrückt werden, und wenn dem das gefällt, klebt er ein Herz zurück. Vor zwei Wochen fand die erste Party in München statt. In anderen Städten war der Andrang allerdings größer. Es erfordert eben mehr Mut, einen Aufkleber zu verteilen, als einmal über den Bildschirm zu wischen. Man riskiert eine Blamage. Und wenn man sich irgendwo nicht gern blamiert, dann in München.

Mona Schwartz hofft jetzt auf die Weihnachtsmärkte. Auf nahes Zusammenrücken in der Kälte und auf den Glühwein, der Hemmungen löst. Falls es da nicht klappt, so weiß man in München zumindest eines sicher: Die nächste Wiesn kommt bestimmt.

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