Süddeutsche Zeitung

Online-Konzert:Es geht, es muss

Fünf Stunden Hilfe: der "Musik bleibt"-Stream des BR

Von Egbert Tholl

Eben hat der Cellist Jan Vogler von New York aus ein 24-Stunden-Online-Musikfestival organisiert, nun folgte, ein bisschen kleiner, in München der Bayerische Rundfunk: Am Sonntag gab es fünf Stunden Musik, meist live, aus den Wohnzimmern der Künstler und aus dem verwaisten BR-Studio. Die Stars, die bei "Musik bleibt" virtuell nach Hause kommen, spenden die Gage für den Nothilfefond der Deutschen Orchesterstiftung, Spenden werden auch gesammelt, Ziel ist eine Million, das dürfte locker geklappt haben.

Nicht so gut klappt indes erst einmal die Technik, was daran liegt, dass die Idee zum Online-Festival praktisch über Nacht entstand, vielleicht spielt aber auch das technische Unvermögen des Zuschauers eine Rolle. Jedenfalls sieht man zunächst die durch überhaupt gar nichts in ihrer Freundlichkeit zu erschütternde, moderierende Organisatorin Annekatrin Hentschel - und hört ein Kinderhörspiel, es geht um "drei Mal Rübenmist und Katzendreck". Dann sieht man Golda Schultz bei sich zu Hause, sie erzählt, dass sie nicht wusste, was sie anziehen solle, was sie sehr praktisch gelöst hat. Und sie singt. A capella und zweistimmig, mit Hall und Echo, aber dennoch hat dies etwas zutiefst Anrührendes, obwohl es einen irre macht. Ein Lied auf Afrikaans, aus ihrer Heimat, ein Handkuss für die Zuseher - und der ganz starke Eindruck, dass hier eine herzensgute, tolle Sängerin unbedingt etwas für andere Menschen tun wollte.

Schließlich legen sich die Tonspuren passgenau übereinander, und es folgen fünf Stunden Musik, die teils absolute Konzert-Referenz-Qualität haben, teils, und das ist eigentlich noch viel toller, den Zauber der Unmittelbarkeit und des Machen-müssens. Der Klarinettist Andreas Ottensamer spielt im Studio Schumann, die Mezzosopranistin Magdalena Kožená singt zu Hause in Berlin Lieder aus Tschechien, woher sie stammt, und ihr Gatte Sir Simon Rattle hält nebenan die Kinder ruhig. Alle, auch die, die noch folgen, erzählen ein bisschen was über die Musik, fast alle betonen, dass das Publikum fehlt. Und wiederum fast alle sehen im verordneten Ruhezustand auch die Chance zur Besinnung. Jonas Kaufmann trifft es da doppelt, er hätte gern mitgemacht, erzählt aber, dass er sich leider erkältet hat. "Das gab's vor Corona und wird es danach auch geben."

Referenz: Lang Lang spielt Chopin, Raphaela Gromes und Julian Riem begeistern mit der Urfassung von Strauss' Cellosonate, Peter Kofler sitzt an der Orgel von St. Michael und spielt den ganzen Bach. Das Goldmund-Quartett schaltet sich aus vier Wohnungen zusammen, nicht für Stockhausens Helikopter-Quartett, sondern für Haydn. Ungeheuer berührend: Der Geiger Augustin Hadelich spielt in Connecticut zum Heulen schön Bach, Magdalena Hoffmann, völlig vereinsamt daheim, lehrt ihrer Harfe Jazz und Blues - großartig. Die Jungs von NoPhilBrass, Blechbläser des BR-Symphonieorchesters, wirbeln mit der Pumuckl-Melodie die Hobelspäne in der Drechslerei Peter Seiler auf.

Dann ist da die Familie Viotti. Lorenzo ist, wie sein Vater es war, Dirigent, mit Mutter (Geige), Schwester (Oper), Bruder (Horn) sitzt er in Lyon auf dem Sofa, aus München zugeschaltet Schwester Milena, Hornistin im Bayerischen Staatsorchester. Was macht man mit der Besetzung? Singen! Eine textierte Passage aus Dvořáks Neuer-Welt-Symphonie. Ach, man möchte alle Viottis küssen in diesem Moment. Darf man aber nicht.

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SZ vom 31.03.2020
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