Winterspiele 2018: Entscheidung für Pyeongchang:München gibt alles - und scheitert

Es war spannend bis zur letzten Minute - dann entschied das IOC: Das südkoreanische Pyeongchang wird Gastgeber der Olympischen Winterspiele 2018 sein. München - mit Frontfrau Kati Witt - eroberte nur die Herzen. Nicht einmal der Kaiser konnte es in Durban noch richten.

Thomas Kistner, Durban

Nach 30 Sekunden war alles vorbei. So lange hatten die Delegierten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Zeit, den Ausrichter der Olympischen Winterspiele von 2018 zu wählen. Sie taten das mittels eines Tastendrucks, jedem der Kandidaten - München, Annecy und Pyeongchang - war eine Nummer zugeordnet worden. IOC-Präsident Jacques Rogge blickte auf den Zettel, auf dem das Ergebnis der Abstimmung verzeichnet war und sagte: "Die Wahl ist vorbei."

Winterspiele 2018: Entscheidung für Pyeongchang: Jubel bei den südkoreanischen Fans: Pyeongchang hat München geschlagen.

Jubel bei den südkoreanischen Fans: Pyeongchang hat München geschlagen.

(Foto: AFP)

Das bedeutete, dass einer der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht hatte. Eine gute Stunde später verkündete Rogge, wer das war: "Die Olympischen Winterspiele 2018 gehen nach - Pyeongchang." Während die Koreaner jubelten, blickten die unterlegenen Münchner gefasst.

Vorangegangen waren der Wahl die Abschlusspräsentationen der Bewerber. Münchens Delegierte hatten den Wahltag stimmungsvoll eröffnet. Im Kongresscenter von Durban setzte der Kandidat voll auf Emotionen; über 45 Minuten entdeckte sich Deutschland selbst. Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich war "als Zuschauer in der ersten Reihe bewegt, zu sehen, was wir der Welt alles anbieten können". Das in Durban pausenlos beschworene "Momentum", der Gefühlsumschwung in letzter Stunde - es fand so wenigstens innerhalb der deutschen Delegation statt. "Am Ende", fand Bundespräsident Christian Wulff, "waren wir sehr gut aufgestellt."

Nur leider am Anfang nicht, als es zu viele Probleme gab - das schwang hier ebenso wie in anderen Einschätzungen mit: Die einen rätselten, ob "Boden gut" gemacht worden sei auf Südkorea, andere meinten, dass man bei der Schlusspräsentation selten etwas gewinnen, manchmal aber noch alles verlieren kann. "Damals mit Berlin", sagte der Sportfunktionär Walther Tröger, heute IOC-Ehrenmitglied, "hatten wir auch die stärkste Präsentation - und waren früh draußen."

Blößen gab sich die Münchner zum Ende in Durban nicht, im Gegenteil. In Wort und Bild gepackt wurde alles, was man vorzuweisen hat. Märchenweiße Winterwelten, Oktoberfest, Neuschwanstein, Eisbach-Surfer, Maximilianstraße, Opernhaus - ständig unterbrochen von Sport-Passagen: Ski, Eishockey, Eiskunstlauf. Als Erster trat Thomas Bach in die Bütt, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes und Vizepräsident des IOC mit Ambition auf mehr. Für ihn galt es also, einige Klippen zu umsegeln, was über abwägende Botschaften an die IOC-Kollegen gelang: "Die Frage ist, ob es an der Zeit ist, unser Fundament zu stärken - oder weiter neue Territorien zu erschließen."

Direkter schon sein Tackling gegen Pyeongchang, das unentwegt vortrug, das dritte Mal im Ring zu stehen. Bach sagte, er könne nun beklagen, Deutschland träte zum vierten Mal an (nach gescheiterten Anläufen mit Berchtesgaden, Berlin und Leipzig), das wolle er aber keineswegs tun. Womit es eben doch gesagt war. Dann sprach Katarina Witt, im engen schwarzen Kleid, die Haare hochgesteckt, ihren Vortrag beschloss Willy Rehm, ein Garmischer Olympiafreund, der sich im Saal erhob und zu jodeln begann. Filmisch führte Witt durchs verschneite München, ein hochgelaunter Oberbürgermeister Christian Ude zeigte allen, wo der Hammer hängt: Er zog den Schlegel hervor, mit dem er "alljährlich ein kleines Fest, das wir Oktoberfest nennen", anzapft - und lud zur Siegfeier am Abend ein. Diese fiel aus, gefeiert wurde nur bei den Koreanern.

Bernhard Schwank, Chef der Bewerbungs-GmbH, legte Eckpunkte des Konzepts dar, Christian Wulff fuhr fort; als einziger auf deutsch. Der Bundespräsident sagte, die Spiele würden auf breitester politischer Ebene unterstützt, Gesetze seien "mit überwältigender Mehrheit verabschiedet" worden, ja: "Wir achten die Autonomie des Sports!" Das hört die auf Sonderrechte erpichte Sportfamilie gerne. Auch die "953 Hilfsprojekte allein hier in Afrika" vergaß Wulff nicht; ein Gruß an den Großkonzern Samsung, der mit Sponsormillionen hinter Koreas Bewerbung stand und das Gros der 14 afrikanischen Stimmen eingesammelt hatte.

"People call me the Kaiser!"

Nach Paralympics-Heldin Verena Bentele und Ski-Olympiasiegerin Maria Riesch kam Franz Beckenbauer: "People call me the Kaiser!" Er rief eine "nette kleine Party" in Erinnerung, die Fußball-WM in Deutschland 2006. Sommermärchen, Wintertraum - Bach beschloss den Reigen, indem er kräftig Lockstoff für seine IOC-Kollegen einsetzte: "München 2018 wird die Plattform zu noch größeren Einnahmen bieten, für die ganze olympische Bewegung."

Alles lief beseelt und fehlerfrei über die Bühne, Hoffnung keimte im Team - nun hieß es warten. Nicht auf Annecys Präsentation, die gewisse Nähen zu München nicht verhindern konnte: Die Authentizität von Spielen direkt am "bestbesuchten Olympiaort der Welt" in den Savoyer Alpen, auf Bühnen, die von der Natur geschaffen wurden.

Dann Pyeongchang: Würden sie patzen? Können sie den politbüromäßigen Stil überwinden, der all ihre Präsentationen prägte? Sie konnten. Mit Scherzen, Gelächter und kleinen Tränen hielten sie gegen die Europa-Kandidaten. Ungeniert wurden die IOC-Mitglieder an offene Versprechen erinnert: "Nach jeder Enttäuschung", sagte Kommunikationschefin Theresa Rah, "standen wir auf und machten uns Mut, daraus zu lernen. Wir haben auf Beharrlichkeit und Geduld gebaut, die auch im Sport und unserer Kultur so wichtig sind." Von Loyalität sprach auch Präsident Lee Myung-bak, der einen seit Samstag hart auf Englisch erlernten Text vortrug und mit der Nachricht überraschte, dass er einst dem Schwimmweltverband Fina angehörte.

Dann erzählten zwei Athleten ihre Geschichten. Das hob sich ab vom Partylärm der anderen, es wies in die Zukunft und das IOC auf gewisse Pflichten hin. Yuna Kim war ein Kind bei Pyeongchangs erster Bewerbung, sie trat dem nationalen Aufbauprogramm "Drive the dream" bei und gewann 2010 in Vancouver das Eiskunstlaufen. "Ich bin ein lebendes Beispiel für die Anstrengungen unserer Regierung, das Niveau unseres Sports zu heben."

Toby Dawson gewann 2006 in Turin Freestyle-Bronze - für die USA, in die er als Kind umgesiedelt war. "Ich bin beides, Amerikaner und Koreaner, doch alles, was für den Wintersport wichtig ist, gab es zu meiner Zeit nicht in Asien, nur in Europa und Amerika."

"Hut ab!", beschloss IOC-Chef Rogge die Runde. Dann wurde nur einmal gewählt.

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