Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele:Neun Tage im Nass

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Die Schwimmwettkämpfe von 1972 setzten nie gekannte Maßstäbe. Die Rekorde von Mark Spitz prägen bis heute die Erinnerung

Von Sabine Buchwald

Von wegen dabei sein ist alles: Schwimmen ist eine der grausamen Einzelsportarten, in denen nur eines zählt - der Sieg. Höchstens Wasseraficionados werden sich daran erinnern, wer 1972 einen beachtenswerten fünften oder sechsten Platz erkrault hat. Eher spricht man noch von den Viertplatzierten, weil man sie herzlich bedauert, keine Medaille ergattert zu haben. Die baumlange Rückenschwimmerin Annegret Kober aus Siegen war so eine Unglückliche damals bei den Schwimmwettkämpfen. Um nur eine Zehntelsekunde verpasste sie damals über 200 Meter die Bronzemedaille. Ihr vierter Platz war für die 15-Jährige eine Sensation. Selbst von der viel fotografierten Australierin Shane Gould, die in München fünf Mal aufs Treppchen steigen konnte, spricht man heute kaum noch. Wer an die Schwimmwettkämpfe von damals denkt, hat keine Frau, sondern einen Mann aus den USA vor Augen: Mark Spitz. Gold-Junge, Gold-Hai oder das wandelnde Fragezeichen nannte man ihn. Letzteres sicher auch, weil seine phänomenalen Leistungen rätselhaft waren, vor allem aber auf Grund seines Körperbaus: schmale Hüften und ein breites nach innen geformtes Kreuz. Doch besonders charakteristisch für den Superathlet war sein dunkler Oberlippenbart. Er trug ihn, so sagte er darunter schmunzelnd in Interviews, weil daran das Wasser abperle. Was Quatsch war.

Mit Haaren, egal an welcher Körperstelle, springt heute kein Schwimmer mehr ins Nass. Spitz aber schaffte trotz Seehundschnauzer sieben Siege, also sieben Goldmedaillen, und sieben Weltrekorde. Damit war er der Star der Spiele. Die knappen Hosen im Stars-and-Stripes-Look, in dem der Kalifornier und sein Team ins Wasser hechteten, waren noch Jahre danach in München groß in Mode.

Die Wettkämpfe in der Olympiaschwimmhalle fanden 1972 an neun Tagen statt. Für Deutschland gingen damals zwei Teams an den Start. 10 000 Zuschauer konnten auf den Tribünen sitzen. Die Osttribüne war nur ein Provisorium und wurde wieder abgebaut und durch eine Glaswand in Richtung Liegewiese ersetzt. Die Schwimmhalle kam bei Publikum und Teilnehmern gleichermaßen gut an. "Eine maximale Anlage", sagte Gerhard Hetz, ein ehemaliger deutscher Schwimmer und Betreuer einem Reporter. Das Wasser galt als schnell, weil "es weich und griffig" war. Die neuartigen Trennseile zwischen den Bahnen mit ihren Schwimmkammern hatten einen wasserberuhigenden Effekt. Die Überlaufrinnen am Rand taten ihr Übriges. Die Schwimmwettkämpfe fanden noch vor dem fatalen Attentat am 5. September statt. Vielleicht erinnert man sich deshalb so gern an sie. Danach waren die Spiele nicht mehr dieselben.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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