Olympia-Jubiläum:Gemeinsam zwischen den Seilen

Olympia-Jubiläum: Ring frei für einen Box-Tanz zwischen den originalen Seilen von Olympia 1972: (v.l.). Jana Baldovino, Pier-Loup Lacour, Kakande Muzamiru, Amelie Lambrichts, Mandela Osborn und Alexander Hille, hier bei einer Probe im Boxwerk München.

Ring frei für einen Box-Tanz zwischen den originalen Seilen von Olympia 1972: (v.l.). Jana Baldovino, Pier-Loup Lacour, Kakande Muzamiru, Amelie Lambrichts, Mandela Osborn und Alexander Hille, hier bei einer Probe im Boxwerk München.

(Foto: Ray Demski)

Im Original-Boxring von 1972 treffen sich Boxer und Ballett-Tänzer zu einem ganz besonderen Kampf.

Von Jutta Czeguhn

Im Gärtnerplatztheater, tief unten in einem der fensterlosen Probenräume. Tape-Streifen am Boden beschreiben ein Quadrat, das in etwa den Seillängen eines Boxrings entspricht, also 6,36 mal 6,36 Meter. Für die vier Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts und die zwei Profi-Boxer ist das die Matte, die Bühne, nach Möglichkeit sollen sie die Markierungen nicht übertreten. Man selbst sitzt bei diesem besonderen Sparring etwas abseits, quasi in der neutralen Ecke, und ist verblüfft, wie gut das zusammengeht. Boxen und Tanzen. Dabei haben es zwei der ganz Großen ja schon immer gewusst. "Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene." Wer kann so etwas gesagt haben? Natürlich nur einer, Muhammad Ali, der mit seiner tänzelnden Eleganz für so manchem Sportreporter mit Feuilleton-Ambitionen einem Rudolf Nurejew schon sehr nahe kam. Aber auch umgekehrt wird ein (Ballett-)Schuh draus. Vom legendären Choreografen und Tanz-Philosophen Maurice Béjart ist folgender Sinnspruch überliefert: "Eine Tänzerin muss eine Kreuzung aus Nonne und Boxer sein." Na, dann, Ring frei!

Ringrichterin an diesem Probennachmittag ist die kanadische Choreografin Jasmine Ellis. Zusammen mit der Dramaturgin Martina Missel führt sie Kampf- und Tanzkunst für das Projekt "Inside The 1972 Boxing Ring" zusammen. Zwischen den originalen olympischen Seilen tanzen am Freitag, 8. Juli, auf der Theatron-Bühne im Olympiapark Ensemblemitglieder des Bayerischen Junior Balletts und des Staatstheaters am Gärtnerplatz, eingerahmt von Freundschaftskämpfen mit Profi-Boxern aus Bayern und Israel. Da steigen also Leistungssportler in den Ring, die sehr viel gemeinsam haben; wer über zehn Runden kämpft oder wie etwa im Ballett "Onegin" 50 Hebungen zu stemmen hat, muss stets bereit sein, sich physisch und mental über die eigenen Grenzen treiben.

Olympia-Jubiläum: Choreografin Jasmine Ellis mit Nick Trachte. Der Vizepräsident des Bayerischen Boxverbands und Betreiber des Boxwerks hatte die Idee zu diesem Projekt.

Choreografin Jasmine Ellis mit Nick Trachte. Der Vizepräsident des Bayerischen Boxverbands und Betreiber des Boxwerks hatte die Idee zu diesem Projekt.

(Foto: Ray Demski)

Die Idee, Faustkampf und Tanz zu verbinden, stammt von Nick Trachte, Ex-Boxer, Vizepräsident des Bayerischen Boxverbands und Betreiber des Boxwerks in der Maxvorstadt. Der 48-Jährige hat die Türen seiner Trainingshallen schon immer ganz weit aufgemacht, für Menschen jeden Alters, Geschlechts, egal welcher Herkunft. Und eben auch für Musik, Kunst und den Tanz. Als nun das Olympia-Jubiläum anstand und damit auch das große Festival im Olympiapark, war für den Olympia-Enthusiasten ("Seit Peking 2008 war ich bei allen Spielen bis auf Tokio live dabei") klar, dass das nicht ohne Boxen ablaufen könne. Gemeinsam mit Jasmine Ellis, die er schon länger kennt, hat Trachte also ein Konzept entwickelt und sich erfolgreich beim Kulturreferat beworben. Zumal er in seinem Studio ja auch den original Münchner Olympia-Ring stehen hat, der zuvor lange irgendwo in einer Scheune eingelagert war.

Olympia-Jubiläum: Den originalen Boxring, in dem bei den Olympischen Spielen 1972 gekämpft wurde, hat Nick Trachte außerhalb Münchens aufgetrieben. Dort stand er lange in einer Scheune.

Den originalen Boxring, in dem bei den Olympischen Spielen 1972 gekämpft wurde, hat Nick Trachte außerhalb Münchens aufgetrieben. Dort stand er lange in einer Scheune.

(Foto: Ray Demski)

Im Keller des Gärtnerplatztheaters haben Mandela Osborn und Kakande Muzamiru mittlerweile ihre Boxhandschuhe angezogen. Die beiden Profis aus Uganda, die im Boxwerk auch als Trainer arbeiten, tänzeln nun durch den imaginären Boxring. Muzamiru, er war mal Afrika-Meister, vollführt schnelle Schlagkombination, sein Sparringspartner geht in Deckung, dann ein Haken, abgewehrt. Den Bruchteil einer Sekunde, ehe die Handschuhfäuste wieder aufeinanderknallen, nutzen die Tänzer, um zwischen die Boxer hindurchzugleiten, wie wendige Geister. Schwitzend, atmend, mit ausladenden Armbewegungen, die an Martial Arts erinnern, mit Sprüngen ins tiefe Plié lassen sie sich vom Puls der faszinierenden Musik von Lukas Bamesreiter tragen. Sie kommt hier vom Band, im Theatron jedoch wird sie vom Komponisten gemeinsam mit Tomas Novak und Anna Tausch live interpretiert werden.

Jasmine Ellis unterbricht, denn sie spürt ein Zögern im Pas de deux der Boxer. Osborn und Muzamiru, so stellt sich heraus, haben Angst, die Tänzer zu treffen. "Keine Sorge", beruhigt Ellis, "sie sind Profis, sie haben euch genau im Blick, bewegt euch wie bei einem echten Kampf." In einer anderen Sequenz rollen und kriechen alle Akteure über den Boden - und übereinander hinweg. Wieder sind die Boxer verunsichert, wollen niemanden, schon gar nicht die zarte Jana Baldovino, verletzten. Ihr Kollege Alexander Hille macht es nun vor, sein athletischer Körper gleitet über die Tänzerin, berührt sie aber kaum. Technik ist alles.

Tänzer und Boxer, sie eint diese außergewöhnliche Physis. Je länger man ihnen bei dieser Probe zusieht, desto klarer wird, wie sehr es hier um Kontrolle geht. Was leicht, anmutig oder aggressiv aussieht, ist einem strengen Regelwerk unterworfen: Die Beinarbeit der Boxer, Schritt-Sequenzen, hundertmal geübt wie im Ballett die Pliés oder Grand Jetés. In der Pause gestehen die Tänzer Alexander Hille und Pier-Loup Lacour, wie sehr sie das überrascht hat. Für Mandela Osborn und Kakande Muzamiru wiederum ist es neben der Disziplin die Kreativität, die ihren Sport mit dem Tanz verbindet. Das Wichtigste aber, sagt Boxer Osborn, das sei der Geist.

Inside the 1972 Boxing Ring, Box-Schaukämpfe und Tanz, Fr., 8. 7, 16-22 Uhr Uhr, Theatron, Olympiapark, bei schlechtem Wetter im Boxwerk, Schwindstr. 14 Rückgebäude, Eintritt frei

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