Olympische Spiele 1972:Feuer und Flamme

Das ewige Licht unterm Küchensieb: 1972 hat er bei den Olympischen Spielen in München das Feuer "stibitzt", noch immer brennt es in seinem Flur. Franz Samuel hütet seit 40 Jahren in Hohenschäftlarn die olympische Flamme.

Martin Schneider

Auf einen Schlag wird das komplette Olympiastadion dunkel. Das Flutlicht erlischt, nur noch die Flammen leuchten aus dem schwarzen Ring über der Gegentribüne. Acht Pauken werden geschlagen, eine Trompete ertönt. Dann dreht ein Mitarbeiter an einem Schalter das Gas herunter, die Flammen werden kleiner, das Stadion wird noch dunkler, schließlich ist das Feuer aus.

Olympische Spiele 1972: Dass Franz Samuel das Feuer "stibitzt" hat, als die Fackelläufer durch Schäftlarn kamen, ist am 26. August 1972 niemandem aufgefallen.

Dass Franz Samuel das Feuer "stibitzt" hat, als die Fackelläufer durch Schäftlarn kamen, ist am 26. August 1972 niemandem aufgefallen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Um 20:02 Uhr am 11. September 1972 sind die Olympischen Sommerspiele in München beendet. 28 Kilometer vom Olympiastadion entfernt sitzt in diesem Moment Franz Samuel in Hohenschäftlarn vor dem Fernseher und schaut sich die Abschlussfeier an. Auf seinem Wohnzimmertisch flackert auf einer weißen Kerze ein kleines Licht. Es ist das gleiche Feuer, das gerade in seinem Fernseher und im Olympiastadion für vier Jahre ausgehen soll.

Heute, fast 40 Jahre später, wohnt Franz Samuel immer noch in der Georgienstraße in Hohenschäftlarn. Hinter einem kleinen Holztor führt ein schmaler Weg durch den zugewachsenen Garten zum Haus. Samuel öffnet die Tür, er trägt kurze weiße Hosen und ein weißes Hemd. Seine Frau Inge kommt aus der Küche in den Flur, sie hat ein "München 72"-T-Shirt angezogen. "Da steht es", sagt Samuel und zeigt auf eine zwanzig Zentimeter hohe Kristallvase auf einem Marmorvorsprung über der Heizung. Die Vase ist mit Rapsöl gefüllt, ein kleines Licht brennt darin. Über der Vase liegt ein Küchensieb.

Franz Samuel geht in die Küche und kommt mit einer langen, dünnen Kerze zurück. "Sollen wir das Feuer mitnehmen?" fragt er und hebt das Küchensieb von der Vase. "Damit keine Nachtfalter reinfallen und das Feuer löschen", sagt er. Er hält die dünne Kerze in die Vase. "Das darf nur ich machen. Ich muss sie schräg halten, sonst tropft eventuell Wachs nach unten und dann ist die Flamme aus", sagt er. Es tropft kein Wachs herunter, die dünne Kerze brennt, er trägt das olympische Feuer in die Küche und zündet eine Kerze auf dem Küchentisch an. Seine Frau und er setzen sich auf die Eckbank. "Manchmal zünden wir auch Geburtstagskerzen so an", sagt Inge.

Gedenkmünzen, Bierdeckel, Plakate, Eisbecher

Unter dem Küchenfenster haben die beiden einen Tisch mit Sammelstücken der olympischen Spiele aufgebaut. Gedenkmünzen, Bierdeckel, Plakate, Eisbecher und eine Schraube aus dem Zeltdach des Olympiastadions. "Wir haben während der Spiele in München damit angefangen, die Sachen zusammenzutragen", sagt Franz Samuel. Danach kämen immer wieder Leute auf sie zu und böten Sachen an.

An der Wand hängt eine Silbermedaille der ersten Spiele der Neuzeit 1896 in Athen. Ein befreundeter Sammler hat sie dem Ehepaar geschenkt. Mitten auf dem Tisch liegt eine große silberne Fackel, die Spitze ist schwarz. "Damit sind die Läufer vor 40 Jahren durch Schäftlarn", sagt Samuel, nimmt die Fackel am Griff und streckt sie in die Höhe.

Es war der Tag, an dem er sich das olympische Feuer mit nach Hause nahm. Am 24. August 1972 schien die Sonne über Ebenhausen, dem Nachbarort. Der Gesangsverein sang und die Menschen versammelten sich an der Straße um den Fackelläufern auf ihrem Weg ins Olympiastadion zuzujubeln. Franz Samuel stand in der Menge, ausgerüstet mit einem Holzstöckchen und einer Grubenlampe. "Die Läufer haben direkt vor mir gewechselt, da hab ich das Stöckchen angezündet und mir das Feuer stibitzt", sagt Samuel. Er zündete die Kerze in der Grubenlampe an und trug es nach Hause. "Wir wollten es nach den Spielen ausgehen lassen, aber es wär' zu schade gewesen."

Brief an den König von Schweden

Brennt das Feuer wirklich seit 40 Jahren ununterbrochen? "Ja, ich hab es noch nie ausgehen lassen. Falls was passiert, hab ich eine Flamme in Reserve", sagt Samuel und zeigt in den Garten. Dort brennt unter einem großen Kruzifix tatsächlich ein kleines Licht. Wenn er die Vase komplett mit Rapsöl füllt, reicht das für elf Tage. "Einmal waren wir bei unserer Tochter in Australien für drei Monate", sagt Samuel. Das sei ein Problem gewesen.

Er geht ins Nebenzimmer und kommt mit einer kleinen Holzkiste voller Dochte zurück. "Ich habe mehrere davon zusammengeknotet", sagt er und dreht die zwei mit Wachs überzogenen Fäden so ineinander, dass ein fließender Übergang entsteht. "Ich war mir nicht sicher, ob es tatsächlich funktioniert. Aber als wir zurückkamen, hat es noch gebrannt." Das Rapsöl kauft er bei der Kirche. Wieder geht er aus der Küche und kommt mit einem blauen Kanister zurück. Auf dem Etikett steht "Ewiglichtöl".

Beinahe hätte das Feuer der Samuels vor dem versammelten europäischen Adel gebrannt. 1976 verlobten sich Karl Gustav, König von Schweden, und Silvia Sommerlath. Die beiden hatten sich während der Spiele in München kennengelernt und Inge Samuel schrieb einen Brief an den schwedischen Hof, dass bei ihnen noch die olympische Flamme brennt, unter der sie sich kennengelernt haben.

Inge Samuel holt den Antwort-Brief aus einer Schublade. Ein weißer Umschlag mit dem Wappen des schwedischen Königshauses. Erst wollte das Brautpaar die Flamme haben, um damit die Kerzen auf der Hochzeitstorte anzuzünden. "Aber dann haben sie doch darauf verzichtet", sagt Inge Samuel. Es war ihnen zu aufwendig, das Feuer über die Ostsee verschiffen zu lassen.

Inge Samuel legt den Briefumschlag zurück und Franz Samuel verschwindet wieder in der Nebenkammer, um weitere Stücke aus seiner umfangreichen Olympia-Sammlung zu holen.

Hinter der Eckbank hängt ein Bild der Samuels mit Papst Benedikt XVI. Haben sie ihm von der Flamme erzählt? "Nein, haben wir nicht. Aber wir wissen, dass auch unser bayerischer Papst ein großer Sportfreund ist." Die Samuels sind gläubige Katholiken. In der Küche hängen zwei Kruzifixe, im Garten steht ein zwei Meter großer Jesus aus Holz. "Religion und Olympia haben vieles gemeinsam", sagt Inge Samuel. "Es geht um das Miteinander, niemanden auszuschließen und friedlich ein Fest zu feiern", sagt sie.

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