Olympiapark:Immer weiterziehen

Olympiaberg Herde bunt mit rotem Schaf

Weideland am Olympiasee: Von diesem Samstag an wird Walter Kuhns Holzherde dort "grasen".

(Foto: Simulation: Walter Kuhn)

Am Berg über dem Olympiasee lässt Walter Kuhn seine Schafherde aus Holz weiden - eine Metapher für weltweite Migration

Von Ulrike Steinbacher, Olympiapark

Walter Kuhns Schafe stehen am Berg über dem Olympiasee, große und kleine, schwarze und weiße, ein rotes ist auch dabei. Auf ihrer Weide mit Aussicht werden sie von diesem Samstag an die Spaziergänger überraschen, werden sich geduldig von Kindern streicheln und von Erwachsenen fotografieren lassen. Nur grasen werden sie nicht. Walter Kuhns Schafe sind mit der Hand aus eineinhalb Zentimeter dicken Holzplatten gesägt und wetterfest lackiert. Die 60-köpfige Herde am Martin-Luther-King-Weg gegenüber dem Olympiasee ist Teil eines Kunstprojekts mit dem sperrigen Titel "Urbane Transhumanz".

Wer bei "Transhumanz" an Migranten denkt und die Aufnahme, die sie nach oft traumatischer Flucht in ihren Ankunftsstädten finden, ist komplett auf dem Holzweg - und auch wieder nicht. Der Begriff hat mit Wanderung zu tun, gemeint sind aber die Schaf- und Ziegenherden des Mittelmeerraums, die mit ihrem Hirten über weite Wege von einer Weide zur anderen ziehen. Im trockenen Sommer geht es hinauf in die Berge, im Winter zurück ins Tal. Wanderweidewirtschaft war in der Türkei genauso verbreitet wie in Rumänien, Italien oder Marokko. Heute wird sie fast nur noch in Nordafrika praktiziert.

Für Kuhn allerdings sind die Schafe, die immer wieder neue Futterplätze suchen müssen, auch Metapher für die stetig zunehmende menschliche Mobilität, die freiwillige wie die erzwungene. Die Triftwege der wandernden Herden, kreuz und quer durch die Berge der Mittelmeerländer, erinnern den gelernten Geografen an die Routen, die Flüchtlinge nehmen, um aus Afrika, Syrien oder Afghanistan nach Europa zu kommen. Eine "verblüffende Ähnlichkeit" gebe es da.

Damit die Metapher funktioniert, muss auch Kuhns Herde wandern, muss von der Weide am Olympiaberg auf einen anderen Platz in der Stadt ziehen und von dort auf den nächsten. Aber ganz wie bei den Flüchtlingen und den Schafherden ist auch die Zukunft dieses Kunstprojekts keineswegs sicher. Das Unstete, Gefährdete spielt damit eine deutlich größere Rolle für die Aktion, als Kuhn eigentlich lieb ist.

Ursprünglich hatte der Künstler seine Schafe im Nymphenburger Schlosspark aufstellen wollen, damals ging es ihm noch gar nicht um das Thema Migration. Vielmehr erinnerte ihn die künstliche Ruine der Magdalenenklause im Park an ein Barock-Sonett von Andreas Gryphius: "Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden./ Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:/ Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,/ Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden." Diesen Gegensatz von feudalem Prunk und Vergänglichkeit wollte Kuhn herausarbeiten. Und nebenbei sollten die Schafe im städtischen Kontext dem Betrachter einen neuen Blick auf seine Alltagsumgebung ermöglichen.

Doch die Schlösser- und Seenverwaltung lehnte ein modernes Kunstprojekt im Nymphenburger Park ab. Und bei seinem Dialog mit der Stadt musste Kuhn einen bürokratischen Rundlauf von Referat zu Referat antreten. Inzwischen aber kamen immer mehr Flüchtlinge nach München, sodass das Projekt seine aktuelle Dimension gewann. Über den ersten Standort am Olympiaberg ist der Künstler noch nicht sehr weit hinausgekommen: Den Oktober werden die Schafe im Garten der Mohr-Villa in Freimann verbringen, eine Anfrage zum Bogenhauser Arabellapark, der ja auf einer Schafweide errichtet wurde, läuft noch. Vor die Riem-Arcaden wird die Herde definitiv nicht ziehen - Terminschwierigkeiten. Stattdessen hat der Bezirksausschuss das Buga-Gelände vorgeschlagen.

Auch in finanzieller Hinsicht gibt es Hürden. "Geld will keiner locker machen", klagt Kuhn. Er will zwar nichts verdienen mit seiner Aktion, aber es fallen Kosten für Material, Transport und Aufbau an. Und er will mit dem Projekt etwas für Flüchtlinge tun: Der Erlös aus dem Verkauf der Schafe kommt der interkulturellen Stiftung "Kolibri" zugute. Sie hilft Migranten bei der Integration.

Urbane Transhumanz, Kunstprojekt am Martin-Luther-King-Weg, Samstag, 28. März, 17 Uhr, Vernissage mit "Bergpredigt" und traditioneller Volksmusik von Andreas Speckmann (Akkordeon) und Robert Zieher (Bariton-Tuba); bis Sonntag, 12. April, www.urbane-transhumanz.com.

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