Olympiahalle: Cirque du Soleil:Recycling als Konzept

Der großartige Cirque du Soleil gastiert in München - mit einem abgehangenen Programm. Aus dem einst innovativen Independent-Zirkus ist kommerzieller Humbug geworden. Schade.

Lars Langenau

Der Cirque du Soleil ist großartig. Das Programm Varekai beeindruckt durch künstlerisches Können, Charme und Humor. Es entführt die Zuschauer in eine andere Welt und verzaubert das Publikum. Nun also gastiert der Sonnenzirkus in der Olympiahalle - allerdings mit einem alten Programm: Saltimbanco, das von 1992 bis 2006 aufgeführt wurde. Saltimbanco ist kein italienisches Gericht, sondern leitet sich von "saltare in banco" ab, was so viel bedeutet wie "auf eine Bank springen".

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Cirque du Soleil: Trotz großartiger Einzelkünstler ein abgehangenes Programm

(Foto: AFP)

Laut Ankündigung werden "die unterschiedlichen Formen städtischer Erlebnisse erforscht: die Menschen, die dort leben, ihre Eigentümlichkeiten und Ähnlichkeiten, Familien und Gruppen, das lebhafte Treiben auf den Straßen und die hoch aufragenden Wolkenkratzer". Doch es hält weder das Versprechen, dass die Zuschauer "in eine phantastische, traumhafte Welt, in eine imaginäre Stadt, in der Vielfalt ein Grund zur Hoffnung ist" entführt werden, noch ein Pendeln "zwischen Wirbelwind und Windstille sowie zwischen Kühnheit und Poesie". Die Story bleibt unklar bis verwirrend.

Der Cirque du Soleil hat sich übernommen. Das wird in München deutlich mit diesem Programm. 1984 gegründet von den kanadischen Straßenkünstlern Guy Laliberte und Daniel Gauthier revolutionierte er die Vorstellung von Zirkus, wie es einst vielleicht nur das deutsche Unternehmen Roncalli mit einem Rückgriff auf alte Werte getan hatte. Die Kanadier schafften Sägemehl und Tiernummern ab und setzten auf Akrobatik, Akrobatik, Akrobatik - eingebettet in eine durchgehende Geschichte und unterlegt mit rockiger Livemusik. Die Dramaturgie sollte mit den Theaterelementen, den futuristischen Kostümen, opulenter Beleuchtung und mitreißender Musik perfekt harmonieren.

Der Wert des Zirkus: eine Milliarde Dollar

Ein Erfolgskonzept, das sich bezahlt machte: Heute ist der Zirkus auf allen Kontinenten aktiv, hat feste Shows in Macao, Tokio und mehrere gleichzeitig in Las Vegas. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 3800 Menschen, davon etwa 1000 Artisten. Der Wert der Firma wird auf mehr als eine Milliarde Dollar taxiert. Allein Saltimbanco haben mehr als elf Millionen Menschen in 200 Städten gesehen - und nun haben eben auch die Münchner die Chance dazu. Bis Sonntag. In der Olympiahalle. Ab 55,15 bis 94,50 Euro. Pro Person versteht sich.

Das Programm jedoch wirkt nicht mehr zeitgemäß, es ist zu einer Art liebloser Nummernshow geschrumpft, deren Akteure für sich genommen zwar erstklassig sind, aber seit Jahrzehnten ebenbürtig in kleinen Varietés wie dem GOP in München oder Hannover oder etwa dem Tigerpalast in Frankfurt am Main präsentiert werden. Nur eben intimer, schöner und so ganz nebenher kann sich der Zuschauer noch einen guten Wein schmecken lassen.

Genau diese Intimität ist die Eventkultur, die den Zuschauer in eine andere Welt entführt und eben nicht ein Megaevent in der Olympiahalle, die, obwohl schon geteilt, noch viel zu überdimensioniert ist. Am ersten Abend ist sie nur zu einem Viertel gefüllt. Stimmung kommt da kaum auf. Verführung oder Zauberei schon gar nicht. Die Regie hetzt die Programmpunkte in der gut zweistündigen Show durch.

In der Olympiahalle fehlt zudem die besondere Zeltatmosphäre, das besondere Etwas, die Intimität zwischen Künstlern und Zuschauern. Auf der einen Weise ist das Programm überperfektioniert, zu abgeklärt, zu abgeschliffen, auf pervertierte Art massentauglich und damit einfach nur noch kommerziell. Selbst die Musik wirkt wie Schmuserock von der Bravo-Sammel-CD und ist heute noch so innovativ wie Genesis nach dem Ausstieg von Peter Gabriel.

Selbst überholt

Den Kostümen und dem Bühnenbild merkt man die 18 Jahre an, die seit der Erstaufführung vergangen sind. Auch in der Zirkuswelt sind zwei Jahrzehnte eine Ewigkeit, den ja selbst die eigenen (anderen) Produktionen des Cirque du Soleil vollzogen haben. Entweder ist der Sonnenzirkus mit der Olympiahalle also schlecht beraten, oder es geht hier einfach nur noch um Geldmachererei. Recycling als Konzept.

Nun muss man der Fairness halber sagen, dass die Hauskünstler wirklich gut sind. So etwa ihr verwegener Tanz an Stangen, bei dem sie sich in fast schon nicht mehr menschlicher Weise verbiegen, Knochen wie aus Gummi. Oder die Artistik beim Bungee, die wahrlich zauberhaft ist. Überragend auch die muskelbepackten Einzelkünstler Darren Bersuck und Etienne Dencault, die Hand in Hand die irrsten und kraftraubendsten Verrenkungen vollführen. Oder der Fahrradakrobat Ivan Do-Duc, der eigentlich schon bei den Proben zum Eunuchen geworden sein müsste.

Warum aber muss der nicht wirklich witzige Clown Amo Guinello so viel wertvolle Programmzeit verschwenden? Warum lässt man einen Jongleur auf die Leute los, der nichts anderes macht, als das, was man schon gefühlte tausend Mal gesehen hat? Warum packt und erschließt sich die Story nicht? Warum wird mehr Wert auf das Verticken von Merchandising-Produkten gelegt wird, als darauf, eine Beziehung zum Zuschauer aufzubauen?

Der Cirque du Soleil hat sich mit Saltimbanco selbst überholt. Es ist Zeit für Neues.

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