Interview:Ein Mann mit Widersprüchen

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Der Literaturwissenschaftler Gerd Holzheimer hat eine Biografie über den Maler und Zeichner Olaf Gulbransson geschrieben. Und ist dabei auf manche Überraschung gestoßen.

Von Sabine Reithmaier, Tegernsee

Der Norweger Olaf Gulbransson (1873 - 1954) war als Zeichner und Maler ein Naturtalent. Ein Museum, das sich ihm widmet, gibt es in seiner Wahlheimat Tegernsee bereits. Doch eine Biografie über den muskulösen Mann, der im Sommer am liebsten nackt herumlief, fehlte bislang. Jetzt hat der Literaturwissenschaftler Gerd Holzheimer die Lücke geschlossen und ein sehr lesenswertes, 328 Seiten starkes Buch mit zahlreichen Abbildungen über den Künstler geschrieben.

SZ: Sie sehen Olaf Gulbransson verblüffend ähnlich.

Gerd Holzheimer: Das findet mein Enkel auch. Er hat das Buch liegen sehen und den Mann auf dem Titel sofort als seinen Opa identifiziert. Aber die Ähnlichkeit ist natürlich unabsichtlich.

Sie war nicht der Grund, eine Biografie über den Maler und Zeichner zu schreiben?

Selbstverständlich nicht. Sie entstand vielmehr aus dem Gefühl einer inneren Freundschaft heraus. Ich liebe Gulbransson schon lang. Er ist ein genialer Meister der Andeutung, der minimalistischen Zeichnung, der lächelnden Linie, der Aussparung und der leeren Fläche, die mehr aussagen kann als noch so viele Stricheleien. In seinen Zeichnungen steckt so viel Humor, und Humor ist eine Gottesgabe. Ich spüre auch immer die Liebe zu seinem Gegenüber, zu dem Menschen, den er porträtiert. Sein Spott ist im Grunde nie ätzend.

Gilt das auch für seine Karikaturen in der Satirezeitschrift Simplicissimus ?

Natürlich. Wenn er zum Beispiel König Ludwig III. zeichnet, der mit schlotternden Hosen und zerknittertem Uniformrock zwei Herren in makelloser preußischer Uniform am Eingang eines Bierzelts empfängt, dann kommt der König als netter Kerl rüber, als ein Mensch, der völlig desinteressiert war an militärischer Zackigkeit.

1913 bezichtigte man Gulbransson und den Simplicissimus deshalb aber doch der Majestätsbeleidigung?

Der Regensburger Anzeiger regte sich sehr über die 'fast unglaubliche Geschmacklosigkeit' auf, besonders, weil das Blatt es 'einem Ausländer' gestattet hatte, den Regenten und damit den bayerischen Staat und das Volk herabzuwürdigen. Aber im Großen und Ganzen hat Gulbransson nur Menschen gezeichnet, die er mochte. Was mich immer an ihm fasziniert hat, sind die zwei Seiten seiner Persönlichkeit. Einerseits die Lust zu anarchischen Ausfällen, andrerseits ein sehr kontemplatives Moment, das ihn genauso prägt und ihn immer wieder in nahezu zen-buddhistischer Manier den Hirschberg malen ließ.

Hat nicht seine dritte, 30 Jahre jüngere Frau Dagny Björnson-Gulbransson auch schon eine Biografie geschrieben?

Das ist eine wunderbare Quelle, aber eben aus der Sicht der liebenden Ehefrau geschrieben, wenn auch durchaus nicht unkritisch. Und das Buch umfasst nicht das gesamte Leben des Künstlers, er hat schließlich 25 Jahre in Norwegen gelebt. Mir ging es um den ganzen Menschen, um den ganzen Künstler Gulbransson. So wie ich ihn selbst als unerhört vielfältigen, wunderlichen Mann in meinen Recherchen kennenlernen konnte, so wollte ich ihn an die Leserschaft weitergeben.

Warum kam er überhaupt nach Deutschland?

Simplicissmus-Verleger Albert Langen, von seinem Schwiegervater, dem norwegischen Dichter und Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne Bjørnson, auf den Zeichner aufmerksam gemacht, lud ihn 1902 ein, bei der Satirezeitschrift mitzuarbeiten. Er hat sich schnell integriert, obwohl er kein Wort Deutsch konnte. Schon im ersten Jahr kam er auch an den Tegernsee, auf Einladung von Ludwig Thoma. Dabei nutzte er die Möglichkeit zum geliebten Skifahren und sogar zum Skispringen.

Angeblich hat er keinen Sprung gestanden.

Kein Wunder, er hat die Schanze selbst provisorisch gebaut, der Anlauf war extrem steil. Aber er hat immer alles selbst gemacht, sich später auf dem Schererhof, seinem Refugium am Tegernsee, auch den Schwimmteich selbst gegraben.

Ausführlich widmen Sie sich in Ihrem Buch den Jahren im Nationalsozialismus. Es wirkt, als würden Sie um eine Bewertung ringen.

Wer mit diesem Thema zu tun hat, wird immer ringen, wenn er nicht nur seine eigenen Vorurteile zu bestätigen sucht. Eigentlich habe ich versucht, nicht zu bewerten, auch nichts zu beschönigen oder gar zu vertuschen, aber auch nicht mit dem Moralfinger herumzufuchteln, sondern alles möglichst differenziert darzustellen. Gulbransson war ein sehr widersprüchlicher Mensch. Aber ja, es gibt den Vorwurf, er habe sich etwas arg an die Nazis rangewanzt, was in dieser pauschalisierten Weise nicht zutrifft.

Sie zitieren aus einem Brief an Walter Buch, dem obersten Parteirichter für Säuberungsaktionen innerhalb der NSDAP, in dem sich Gulbransson hemmungslos opportunistisch verhält und über seinen ehemaligen Redaktionskollegen Thomas Theodor Heine lästert. Er schreibt "Ein Jud wird immer jemand finden, der ohne es zu wissen, für ihn die Arbeit tut."

Soweit ich übersehen kann, ist dies die einzige Entgleisung dieser Art. Man sollte sie auf keinen Fall für seine gesamte Haltung nehmen. Aber für den Brief gibt es tatsächlich keine Entschuldigung. Die Auseinandersetzung zwischen Heine und Gulbransson zieht sich bis nach dem Krieg hin. Tatsache ist, dass sich auf Druck der Nazis die ehemaligen Simplicissmus-Kollegen im März 1933 von Heine distanzieren und behaupten, nur durch den Juden Heine zu ihrer bislang kritischen Haltung Hitler gegenüber verführt worden zu sein. Heine muss unterschreiben, dass er auf jede Redaktionstätigkeit verzichtet, er muss seine Anteile an der Zeitschrift aufgeben und bald fliehen. Heine vertritt von da an die Meinung, vor allem Gulbransson habe seinen Ausschluss betrieben. Was Gulbransson zurückweist.

Wer hatte recht?

Der Auseinandersetzung kann man nicht gerecht werden. Da gibt es zwei verschiedene Seiten, die haben am Schluss nur noch per Anwalt gestritten. Dabei waren sie gute Freunde gewesen, es ist wohl auch die Geschichte einer enttäuschten Liebe. In der Literatur darüber ist bislang allerdings Olaf Gulbransson schlecht weggekommen. Ich wollte es gern von beiden Seiten beleuchten, so weit es eben von den Quellen her möglich ist; niemand von uns war dabei.

Ihrer Schilderung nach hatte Gulbransson eine spezielle Strategie, um mit Situationen, in denen er sich unbehaglich fühlte, umzugehen: Er betrank sich zügig, rollte sich in eine Ecke und schlief. Hat er das öfter gemacht?

Ja schon. Einmal auch um einem Essen bei Joseph Goebbels zu entgehen. Er hat sich betrunken, ist mit seinem Freund, dem Schauspieler Paul Wegener, auf dem Teppich herumgerollt und hat laut gesungen. Einem von Goebbels entsandten Emissär ließ er ausrichten, Goebbels könne ihn mal ... Im Übrigen hat er nie verhehlt, wenn ihn andere Künstler begeisterten, etwa die Maler und Bildhauer der Ausstellung "Entartete Kunst". Seine Begeisterung äußerte er 1937 auf einem Rundgang durch die Schau sehr lautstark, ohne Rücksicht auf seine Zuhörer.

Warum hat er 1933 den "Protest der Richard Wagner-Stadt München", eine publizistische Attacke gegen Thomas Mann, unterschrieben?

Laut seiner Frau Dagny hatte man in der Akademiesitzung, in der dies geschehen ist, an seine Kollegialität appelliert. Die Unterschrift war ihm sofort furchtbar arg, schließlich war er mit Mann befreundet. Er versuchte, sie unverzüglich wieder zurückzuziehen, aber die Geschichte war nicht mehr zu retten. Die Weltpresse fiel sofort über Olaf her. Im Grunde hat ihn Politik nicht interessiert - auch so ein eigentümliches Paradox: ein Zeichner, der politische Themen darstellt, aber selbst überhaupt nicht politisch ist.

Dafür interessierten ihn die Frauen sehr. Er war dreimal verheiratet und hatte viele Liebschaften. Von den Ehefrauen erzählen Sie ausführlich, von den Affären wenig. Ist da die Quellenlage so schlecht?

Jedenfalls nicht so gut wie bei den Ehefrauen. Es kommt ja vor im Buch, aber eben nur am Rand. Kann auch sein, dass Dagny da einiges bereinigt hat. Von den drei Nachlässen ist einer noch gesperrt. Das zeigt, dass sie bestimmte Sachen nicht veröffentlicht haben wollte. Sie wusste von seinen Geschichten, und es hat sie auch verletzt. Trotzdem hielt sie ihm immer die Treue.

Anders als Ehefrau Nummer Zwei, Grete Jehly?

Die war wahnsinnig gesellig, extrem extrovertiert und leicht entflammbar. Sie ließ nichts anbrennen, hatte ebenfalls Liebschaften. Das wurde ihm irgendwann zu viel.

Und die erste Ehe mit Inga Liggeren?

Da gibt es kaum Quellen. Möglicherweise hat Grete, die furchtbar eifersüchtig auf Inga war, oder sogar noch Dagny Briefe oder Unterlagen weggeschafft.

Gulbransson schreibt, sie hätte überhaupt nie ein Wort gesprochen.

Er ist eine zweifelhafte Quelle, er neigt zur Legendenbildung. Sicher ist: Inga konnte kein Wort Deutsch, als sie mit ihm und den zwei kleinen Töchtern nach München ins tosende Schwabing kam. Sie kam aus einem winzigen, abgelegenen Ort in Norwegen. Der ist heute noch nur zu Fuß erreichbar. Das konnte nicht gut gehen. Die Ehe wurde 1906 geschieden, sie ging mit den Kindern nach Dänemark. Gulbransson hat den Kontakt zu seinen Töchtern und Inga aber nie verloren, die Mädchen haben ihn auch immer wieder mal besucht. Er war bei aller Untreue ein treuer, ein liebender Mensch.

Ein Mann der Widersprüche also?

Kann man sagen. Er hatte so unendlich viele Seiten in sich. In seinen späten Jahren saß er nur mehr da und schaute zum Hirschberg hinüber. Griff ab und an zur Sense, spaltete Holz oder ging mit dem Hund spazieren. Gezeichnet hat er nicht mehr viel. Und wenn, dann zum Beispiel einen Holzstapel. Den hat er genauso ernst genommen wie ein menschliches Gesicht. Er wird endgültig zu der "zarten Weltall-Seele", wie ihn Ringelnatz einmal in einem Gedicht beschreibt. Nach seinem Lieblingskünstler befragt, antwortet er: "Der liebe Gott, weil er von der guten alten Schule ist."

Gerd Holzheimer: Olaf Gulbransson. Eine Biografie, Allitera Verlag, Preis: 28 Euro

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