"Feierghetto" nennen wir die Wiesn jetzt manchmal. Natürlich ist das ein Scherz, ein Schenkelklopfer, aber da ist nun einmal dieser Zaun. Er ist Sinnbild geworden für die diffusen Ängste, die mancher mit sich herumträgt, und Scherze helfen immer am besten.
Er wirkt beinahe unscheinbar gegen all die Aufmerksamkeit, die er diese Tage bekommt, dieser Bauzaun. Ein wenig Sichtschutz hier, ein Hauch von Stacheldraht da. Sicherheit soll er vermitteln, denn gefühlt ist die Dichte an Terroristen momentan nirgendwo so hoch wie in München - zumindest, wenn man den Gesprächen in der Stadt lauscht, die sich vornehmlich darum drehen, wie schwierig oder leicht der Zaun wohl zu überwinden ist, mit all diesen grandiosen Ideen, wie es wohl am besten funktioniert. Mit dem Auto durchbrettern zum Beispiel, das müsste doch auf jeden Fall klappen, oder wie wär's mit einer Räuberleiter?
So viel Smalltalk hat ein Zaun zuletzt abgeworfen, als Stefan Raab den "Maschendrahtzaun" zu Kult gesampelt hat, und das ist 17 Jahre her. Und wer keine diffusen Terrorängste äußern möchte, für den ist eine potenzielle Massenpanik der richtige Zaun-Smalltalk. In so einem Fall lässt sich dieser "Secufence" im Handumdrehen wieder einrollen.
Für das Feierghetto, in dem die Feiernden fest umzäunt sind, können sich dieses Jahr also nicht alle üblichen Verdächtigen erwärmen. Aus den einen oder den anderen Gründen. Aus "Wann gehst du?" ist ein "Gehst du?" geworden. Es ist nicht nur die Angst, die Zögerliche ins Feld führen, es ist auch das Gefühl. Über so eine Wiese spaziert es sich gemütlich drüber, und genauso schnell auch wieder runter. Steht ein Zaun darum, ist es eher eine Weide. Eine Weide, auf der das Vieh mit Bier und Hendl gemästet wird.
"Wer dieses Jahr nicht mit einem mulmigen Gefühl auf die Wiesn geht, der lügt", sagt eine, und es ist schwer zu sagen ob das stimmt, weil man ja schlecht in alle Wiesnbesucher hineinschauen kann, um festzustellen, ob da bei jedem drinnen irgendwo ein mulmiges Gefühl hockt.
Eine der üblichen Verdächtigen, die schon abgewunken hatte, wechselt schließlich doch die Seiten und will mit ins Feierghetto, dafür verzichtet sie für 17 Tage auf die U-Bahn. Das hält sie für smarter, weil die Wiesn so gut beschützt ist, anderswo lässt es sich sicher leichter zuschlagen. Die nächste geht auf jeden Fall am ersten Tag, weil ein jeder Terrorist ja wohl zuerst die Lage abchecken wollen würde, also ist der erste Tag schon mal sicher. Dann sagt sie selbst, wie Banane sie solche Überlegungen eigentlich findet.
"Habts koa Angst", ist am Schluss von Ron Fotos inoffiziellem Youtube-Wiesnhit-Video eingeblendet, und Kabarettisten haben dazu aufgerufen, sich den Spaß nicht verderben zu lassen. Das mulmige Gefühl ist ein Thema, ob man will oder nicht. Es lässt sich nicht wegdiskutieren.
Friedfertiges Kräftemessen mit der eigenen Leber
Die, bei denen die Vorfreude das Ziehen im Bauch überstrahlt, hatten sich schon vor dem Anstich die Nase am Zaun plattgedrückt wie die kleinen Kinder vor dem Eisbärengehege im Zoo. Dahinter steht doch schon alles, die Zelte, das Riesenrad. Lasst uns endlich rein!
Bei der Wiesnpressestelle verdrehen sie genervt die Augen, wenn schon wieder einer nach diesem überbewerteten Zaun fragt, das hört man sogar durch das Telefon, das Augenverdrehen. "Pass auf dich auf", sagt jemand anders am Telefon, als würde man in den Krieg gegen den Terror ziehen, wo doch nur ein friedfertiges Kräftemessen mit der eigenen Leber geplant ist.
Da ist die Hoffnung, dass hinter dem Zaun alles anders wird. Dass der Geruch von Mandeln und Steckerlfisch das mulmige Gefühl überdeckt und die erste Maß die letzten Bedenken wegspült. Da war doch mal die Einstellung, sich von den Terroristen nicht die Lebensfreude nehmen zu lassen. Und wenn die einen später den anderen erzählen, wie lustig es auf der anderen Seite des Zaunes ist, wie immer eben, dann werden sie neidisch auf das bierselige Glück und kommen auch, nach und nach. Hoffentlich. Falls es so lustig ist wie immer eben. Falls nichts passiert. Aber wofür haben wir schließlich den Zaun?