Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Wenn Festzelte zu Kathedralen werden

Eigentlich sollte Michael von Hassel die Menschenmassen auf dem Oktoberfest fotografieren. Bis er die Nächte entdeckte.

Von Eva Casper

"Kathedrale" war das erste Wort, das dem Fotografen Michael von Hassel in den Sinn kam, als er 2010 in einem leeren Festzelt stand. Eigentlich wollte er die Menschenmassen fotografieren. Bis er merkte, dass die Nächte im Festzelt, wie die hier im Hacker, sehr viel spannender sind - zumindest ästhetisch.

Die leeren Zelte, wie hier das Augustiner, haben für Hassel die gleiche monumentale Wucht wie Dombauten. "Das Oktoberfest hat auch durchaus etwas von einem religiösen Kult." Es gibt gemeinsame Bräuche, Gesänge und Kleidung. Das Podium der Musikkapelle wirkt wie eine Bima, das Pult in der Synagoge, von dem die Tora gelesen wird.

Der 37-Jährige machte sein Abitur bei den Benediktinern in Schäftlarn. Mittlerweile ist er allerdings aus der Kirche ausgetreten. "Aber ich denke, ich habe schon noch ein Bewusstsein für sakrale Architektur." Die scheint auch hier in der Ochsenbraterei durch.

Sein erstes Foto machte Hassel 2010 vom Schottenhamel. Das kam so gut an, dass er eine ganze Serie zusammenstellen wollte. 2013 verbrachte er dafür nahezu jede Nacht auf der Wiesn und zog von Zelt zu Zelt. Für die Fotos nutze er Mehrfachbelichtung. Dabei werden mehrere Aufnahmen zu einer Einzigen zusammengefügt. Dadurch entsteht der Verdoppelungseffekt.

So sieht das Armbrustschützenzelt bei Nacht aus. Trotz der späten Stunde traf Hassel viele Menschen während seiner Arbeit. An einem Samstagmorgen um vier standen schon Schlangen von Besuchern vor den Zelten. Im strömenden Regen warteten sie auf die Öffnung. Die war erst um neun. Sie wollten unbedingt einen Platz bekommen.

Das Hofbräuzelt ist das einzige Zelt mit Stehplätzen. Tagsüber gehen im Schnitt bis zu 16 000 Menschen hier durch und trinken drei Mass Bier. Nachts, nachdem die Putzkräfte da waren, ist von diesem Trubel nichts mehr zu sehen.

Die Aufnahme im Löwenbräuzelt dauerte am längsten. Der Grund: Die Bierbänke waren schon hochgestellt. Das gefiel Hassel nicht. Er stellte sie alle wieder herunter - das Zelt hat 5800 Plätze. Wieder hochstellen musste er sie aber nicht. "Die Putzkräfte waren ja schon fertig."

Neu auf der Wiesn 2014: Das Foto vom Marstall-Zelt ist das einzige, das erst nachträglich entstand. Das Zelt wurde als Ersatz für das Hippodrom errichtet. Dessen Wirt Sepp Krätz war wegen Steuerhinterziehung vom Oktoberfest geflogen.

Leere Flaschen, leere Krüge, keine Promis: Nachts wirkt das Käferzelt wie eine gigantische Berghütte. Wenn Hassel selbst auf die Wiesn geht, bevorzugt er die kleinen Zelte. "Ich trinke auch eher nicht so viel Alkohol."

Wiesn-Treffpunkt von Menschen, die Bier nicht ganz so gern trinken: das Weinzelt. Es sind viele Frauen, die hier ihren Wein, Sekt oder Champagner genießen. Neben dem Käferzelt darf hier am längsten gefeiert werden: bis 0.30 Uhr. Vom 11. September bis zum 10. Oktober 2015 ist Michael von Hassels Fotoserie "Oktoberfest Cathedrals" in der Rathausgalerie am Marienplatz zu sehen. Einlass ist von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 19 Uhr. Mehr Infos auf www.muenchen.de.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2640823
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.