Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Und nach der Wiesn noch ins Bordell

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Der Alkohol lässt die Hemmschwelle sinken: Bei manchem Oktoberfest-Besucher steigt die Lust auf Sex enorm.

Von Katharina Blum

Der Mann von der Security schließt den Fahrstuhl auf. Mitfahren darf nur das Personal, Freier müssen die Treppe nehmen. "Heißt hier ja nicht ohne Grund Laufhaus." Hoch geht es in den dritten Stock. Im Gang reiht sich Tür an Tür, davor starren Männer auf kleine Monitore, die ihnen zeigen, wer sich in den Zimmern eingemietet hat. In 308 bückt sich Bianca übers Bett und macht die Beine breit.

Wenn auf der Theresienwiese in den Zelten die Lichter ausgehen, geht es in den Rotlicht-Läden der Stadt erst richtig los, 17 Tage lang. Und nicht nur hier, in Caesars World, nach Betreiberangaben Münchens größtem Laufhaus. Normalerweise arbeiten 800 bis 1000 Prostituierte in den 193 legalen Bordellen, zu jeder Tag- und Nachtzeit. Zum Oktoberfest sind es laut Polizei etwa doppelt so viele. Diese Steigerung schafft in München sonst nur die Baumaschinenfachmesse Bauma.

Das Oktoberfest, es lässt sich auf viele Weisen erzählen und erleben. München präsentiert seine Wiesn gerne als das größte Volksfest der Welt, ein Fest für die ganze Familie. Für viele Besucher ist sie vor allem eines: kollektiver Exzess, Suff und Sex inklusive. Ein paar Mass intus, den ganzen Tag aufreizende Dekolletés vor Augen - bei so manchem Mann steigert das die Lust auf Sex enorm und lässt gleichzeitig die Hemmschwelle sinken.

Nun könnte man leicht dem Versuch erliegen, das Ganze auf den Alkohol und seine enthemmende Wirkung zu schieben. 7,3 Millionen Mass Bier tranken die Besucher im vergangenen Jahr, 628 Gäste mussten wegen Alkoholvergiftung behandelt werden. Und es stimmt ja irgendwie auch: "Wenn man für die Mass 10,60 Euro bezahlt, dann sind 50 Euro für Sex gar nicht mehr so extrem teuer", sagt Thorsten Benkel. Aber es ist vor allem der Charakter dieses Festes, wie der Soziologe von der Universität Passau erklärt: "Wenn ich nicht gerade jemanden zusammenschlage oder eine Frau vergewaltige, was leider vorkommt, darf ich dort plötzlich Dinge tun, die ich sonst nie tun darf. Ich darf mich betrinken, das ist völlig akzeptiert gesellschaftlich. Ich darf auf den Bänken tanzen, ich soll sogar aus mir rausgehen. Die soziale Kontrolle ist viel schwächer."

Genau das reize die Menschen auf die Wiesn zu gehen, vor allem die Männer. Sie seien in dieser Gesellschaft diejenigen, die sich am meisten zusammenreißen müssen, von ihnen werde ein bestimmtes Niveau erwartet. Erfüllen sie dieses nicht, werden sie sozial sanktioniert - nur auf der Wiesn nicht. "Und jetzt erleben Männer genau diese Erfahrung, jetzt haben sie Lust auf Sex. Und was machen sie?"

Die einen feiern in einem der vielen Clubs der Stadt weiter, die sich während des Oktoberfests in "After-Wiesn-Clubs" verwandeln und versuchen dort, den Wiesn-Wahnsinn noch zu steigern.

Die anderen stolpern in Richtung U-Bahn und fahren raus in die tristen Gewerbegebiete der Stadt, wo die Puffs, FKK-Clubs und Domina-Verliese stehen, um dem Wiesnbesuch ein garantiertes Happy End zu verleihen. Kein bisweilen mühsames Gebaggere, kein Risiko, eine Abfuhr zu kassieren. "Das Laufhaus ist genau das Gegenteil, das Laufhaus sagt: Du musst dich überhaupt nicht anstrengen, du musst nur eine Leistung bringen - und die ist Geld", erklärte Benkel. "Das ist ein ganz einfacher Deal, den jeder kapiert."

Im Caesars World geht der Deal so: Wer in der Gentelmans-Bar Bock auf ein Bier hat, zahlt fünf Euro, Longdrinks gibt es für einen Zehner. Wer dann noch mehr Lust hat, geht hoch, in die erste, zweite oder dritte Etage. "In der Disco musst du erst mal ein Mädchen kennenlernen, gibst ihr noch ein paar Drinks aus. Und selbst dann hast du keine Garantie, dass noch was läuft. Bei uns geht alles schneller und stressfreier", sagt der Mann, der die Zimmer an die Frauen vermietet. Was die Frauen dort im Angebot haben, ist ihre Sache. "Und auf die Preise haben wir auch keinen Einfluss - wollen wir auch gar nicht haben." Ab 30 Euro lässt sich der Druck in der Lederhose abbauen. Die ersten Gäste kommen schon auf dem Weg zum Oktoberfest.

36 Frauen arbeiten zurzeit im Caesars World, ein paar von ihnen tanzen jetzt auf der Bühne an der Pole-Dance-Stange. Alle sind selbständig und bezahlen täglich Miete für die Zimmer. Und die steigt auch zur Wiesn nicht. "Wir machen uns jetzt nicht die Taschen voll, viele der Mädchen sind schließlich das ganze Jahr hier." Für die Wirte war es eine gute Wiesn, wenn nach den zwei Wochen eine Doppelhaushälfte übrig bleibt - pro Wirt und Jahr, wie es einer von ihnen formuliert hat. Der Vermieter im Caesars winkt ab. "Ich mache das schon seit 30 Jahren - dann müsste ich ja 30 Häuser haben", sagt er und schiebt hinterher: "Am Hungertuch nagen wir auch nicht."

Die Branche braucht die Wiesn, sie hat nämlich ein großes Problem. In den Puffs fernab des Messegeländes herrscht oft tote Hose, Zimmer stehen leer, auf den Barhockern warten die Damen vergebens. "Prostitution an sich ist wirtschaftlich gesehen seit Jahren rückläufig", hat Benkel in vielen Interviews mit Prostituierten, Betreibern und Kunden festgestellt. "Männer, die früher ins Bordell gegangen sind, weil sie keine Alternative hatten, sind heute bei Tinder und ähnlichen Anbietern. Nicht, weil sie dort erfolgreicher sind, sondern weil es der gesellschaftlich wesentlich anerkanntere Weg ist. Der Glaube, es ist heutzutage einfacher zu Sex zu kommen, reicht schon dafür aus, dass Menschen ihr Verhalten ändern."

Das Oktoberfest, der After-Wiesn-Sex, aber bleibt offenbar ein Selbstläufer. Die Villa Roma etwa erbittet von den Oktoberfestbesuchern eine "rechtzeitige Reservierung", auf den "Schürzenband-Code" brauche der Gast dafür dann nicht mehr achten - "denn die hier beschäftigten Damen sind sich bewusst, was die Einkehr in unser Bordell für Ansprüche mit sich bringt". So steht es auf der Website. Andere Betriebe stellen zusätzliche Container hinters Haus oder räumen noch die Besenkammer leer.

"Es hat sich europaweit im Rotlicht-Milieu herumgesprochen, dass man zum Oktoberfest in München ein gutes Geschäft machen kann", sagt Kriminalhauptkommissar Bernhard Feiner. Prostituierte aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland reisen an, vorwiegend aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Tschechien. Für Feiner und seine Kollegen heißt das: mehr Arbeit mit den Kontrollen - und Urlaubssperre.

Dort treffen sie dann auch auf die, für die Sex beim Wiesnbesuch zum All-Inklusive-Urlaubs-Paket gehört. "Ich kann mir vorstellen, dass es Männergruppen gibt, die nach München fahren, dort in einem billigen Hotel übernachten und das Ritual haben, dass sie nach der Wiesn gemeinsam ins Bordell gehen", sagt Benkel. "Das hat etwas männerbündisches, die Frauen dürfen nichts erfahren, man hält dicht. Und das erlaubt man sich womöglich nur während der Wiesn."

Die Wiesn-Welle schwappt aber nicht überall hin, der bierselige Besucher mag keine weiten Wege mehr. In Dachau, im Salon Patrice, ist "jetzt nicht der große Run ausgebrochen", wie Uwe Ittner sagt. "Das hängt aber auch immer davon ab, ob man grundsätzlich auf Lauf- oder auf Stammkundschaft setzt. Er und seine Mädchen können aber auch gerne auf die angetrunken Besucher verzichten. Gibt oft nur Diskussionen, wenn sie keinen mehr hochbekommen." Viele, gerade die älteren und erfahrenen Frauen würden deshalb während der Wiesn sogar aus der Stadt flüchten.

Nadja ist geblieben. Ob die Kunden nun Lederhosen tragen und Seppelhüte auf dem Kopf haben oder nicht, ist ihr egal. Umdekoriert hat sie ihr Zimmer im Caesars World für die zwei Wochen nicht. Weiß-blaue Girlanden passen nicht zu Lack und Leder. Die Domina mag die Arbeit während der Wiesn. Sie sagt: Probleme mit Betrunken gibt es nicht. Im Gegenteil. "Wir haben hier alle viel Spaß." Die Gäste seien jetzt besonders locker drauf, besser als die gestressten Manager, die zu Messezeiten in Scharen kommen. Vor allem die Italiener. "In Italien bekommt Berlusconi alle schönen Frauen ab, deshalb müssen die anderen Männer zu uns nach Deutschland kommen."

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