Gute Wiesn-Gschichten bleiben gut. Wir haben die schönsten Texte der vergangenen Jahre aus dem Archiv gekramt. Der folgende Artikel erschien erstmals 2014.
Moritz ist durch. Sein Gerippe baumelt zwar noch im Grill, doch der Spieß dreht sich nicht mehr, von den Fleischfetzen, die an seinem Rücken kleben, wird niemand mehr kosten. Um kurz vor 20 Uhr hängen Küchenkräfte die Reste des zehn Zentner schweren Ochsen ab und reinigen den Ofen in der Ochsenbraterei. Sie machen Platz für Moritz' Nachfolger.
Gegrillte Ochsen haben eine lange Tradition auf dem Oktoberfest. Der Metzger Johann Rössler war 1881 der Erste, der sie in seiner "Mechanischen Ochsenbraterei" drehte. In dem heutigen Festzelt, das seit 1980 der Spaten-Brauerei gehört und von der Wirtefamilie Haberl betrieben wird, wurden im vergangenen Jahr 114 Tiere verspeist, 16 davon landeten wie Moritz als Schauochsen auf dem Spieß, einer pro Tag.
Show-Time im Festzelt
Der neue Moritz heißt Xaver und liegt in dem gerade mal sechs Quadratmeter großen Kühlraum, den Richard Lindermeier die "Ochsengarage" nennt. Der Küchendirektor der Ochsenbraterei hat für 21 Uhr geladen, Show-Time im Festzelt. Gäste zücken ihre Handys, vier kräftige Männer rollen einen Edelstahltisch in die Küche. Darauf: ein 300 Kilogramm schwerer Fleischkörper. "Hauruck! Hauruck!" - die Männer ächzen, als sie den auf zwei Grad gekühlten Ochsen per Kettenzug in den Grill wuchten. Sie kontrollieren, ob der Brustspreizer festsitzt, befestigen Schulter- und Schenkelträger, feuchten das Fleisch an und würzen es mit einer Mischung aus Salz, schwarzem Pfeffer, getrocknetem Wurzelgemüse und Kräutern wie Rosmarin, Thymian oder Petersilie.
Dann stoßen sie mit einer Mass Bier an, die Arbeit ist getan für heute. Um fünf Uhr früh geht es weiter, dann muss jemand den Grill mit Xaver anwerfen, damit das Fleisch gar ist, wenn die ersten Portionen gegen Mittag geordert werden. Gut 350 liefert jedes Tier.
Die Haberl Gastronomie bezieht ihre Tiere seit Anfang der Neunzigerjahre vom Gut Karlshof in Ismaning. Beide Seiten haben eine Art Exklusivvertrag, der die mittelfristige Planung sichert. Auf dem städtischen Gut stehen in der Regel 550 Ochsen, sie werden hier gemästet, aber nicht gezüchtet. Der Betrieb kauft sie, wenn sie fünf, sechs Monate alt und etwa 230 Kilogramm schwer sind.
Sie sollen auf Menschen reagieren
Josef Kroha, der stellvertretende Betriebsleiter, fährt dann zu einer sogenannten Fresserauktion der Mangfalltaler Jungbullen e. G. nach Kirchheim bei München und ersteigert Bayerisches Fleckvieh, manchmal 80 Tiere an einem Tag. Er schaut dabei, "dass sie gesund sind, einen breiten Rahmen und einen ebenmäßigen Rücken haben, dass sie die Ohren nicht hängen lassen und auf Menschen reagieren. Wichtig ist vor allem aber ein breiter, voller Hintern."
Ein breiter Hintern garantiert, dass die Ochsen nach einem Jahr genug Fleisch liefern. In den ersten Tagen gewöhnen sich die Rinder an ihre neue Heimat, dann werden sie von einem Tierarzt kastriert - und damit zu Ochsen. Weil in ihrem Körper nun die Östrogene herrschen, sehen die Tiere am Ende wie große Kalbinnen aus, nicht wie Bullen mit Stiernacken.
Nach zehn Wochen beginnt die eigentliche Mästung. Dann bekommen die Ochsen eine Futtermischung aus Mais-Gras-Silage, Ackerbohnen, Getreide, Rapsextraktionsschrot und Mineralfutter, in weiten Teilen aus eigener Produktion. Im Schnitt legen die Tiere so 1150 Gramm pro Tag zu. Nach einem Jahr auf dem Hof haben sie ein Lebendgewicht von 650 bis 670 Kilogramm. Rechnet man Kopf, Hufe, Haut, Innereien und einen Großteil vom Schwanz ab, bleibt ein Schlachtgewicht von 360 bis 400 Kilogramm - optimal.
Die Ochsen leben in Ställen, frisches Gras fressen sie auf Gut Karlshof nicht. "Eine Weidemast ist aufwendiger, nicht nur, weil man mehr Fläche benötigt", sagt Alfons Bauschmid, Werkleiter der Münchner Stadtgüter. Die Ochsen müssten länger gemästet werden, das würde deutlich teurer. "Und das Fett wird durch das im Gras enthaltene Carotin gelblich, was Menschen als ranzig empfinden." Dass das Fleisch nicht im Bio-Supermarkt ausliegt, hat aber nichts mit der Optik zu tun: "Wir erfüllen die Standards im Stallbereich", sagt Bauschmid, "aber nicht beim Futter."
Der Marktpreis für ein Kilogramm Schlachtgewicht liegt derzeit bei 3,55 Euro, die Ochsenbraterei zahlt ein wenig mehr. Dafür sei die Ochsenmast "ganz auf das Oktoberfest" ausgerichtet, sagt Kroha. Ein Großteil der Tiere wird drei Wochen vor der Wiesn in Waldkraiburg geschlachtet und darf bis zum Fest in einer Münchner Metzgerei reifen.
Der letzte Ochse soll Raimund heißen
Nur die Schauochsen wie Moritz und Xaver leben bis kurz vor dem Oktoberfest, sie werden dann "ganz speziell für die Ochsenbraterei ausgesucht", sagt Kroha. Dabei handelt es sich um besonders schöne, aber relativ leichte Tiere, die "ihren Geburtstag nicht erleben", sagt Küchendirektor Lindermeier. Nur dann dürfen sie als Ganzes auf den Spieß. Denn älteres Vieh ist anfälliger für BSE, und so muss das Rückenmark entfernt werden, was auf dem Grill halt nicht so gut aussieht.
Lindermeier nimmt einen Schluck Bier, dann muss er noch eine Frage beantworten, die vielleicht nur Großstädter oder Touristen stellen: Wie eigentlich kommen die Ochsen zu ihren Namen? Draußen, auf Gut Karlshof, steht nur eine fünfstellige Nummer auf dem Etikett im Ohr - warum also steht nun Moritz, Mati oder Otto auf dem Schild über der Küche der Ochsenbraterei?
Lindermeier lacht. "Über die Namen entscheidet der Küchenchef", sagt er, doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Es gibt Stammgäste, die sich Namen wünschen dürfen (und explizit ein Stück vom Schauochsen einfordern). Und der letzte Ochse, der heißt immer so wie der Küchenchef, Raimund also, wie Raimund Klapka. Davor hieß der Letzte lange Zeit Richard, wie Richard Lindermeier.