Wiesn-Hits:Die Sieben-Bier-Bisexualität

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Der Räuber und der Prinz - ein NDW-Liebeslied wird zum Bierzelt-Hit. (Foto: SZ-Grafik, oh)

Ein homoerotisches NDW-Liebeslied bringt es auf dem Oktoberfest zum Bierzelt-Hit. Ein anderer Klassiker besteht nur aus acht Worten. Und was passiert eigentlich, wenn man in München wirklich Rosis Nummer wählt?

Ein Prosit der Gemütlichkeit - der Klassiker mit nur acht Worten Liedtext

Hier handelt es sich um einen Wiesn-Hit reinsten Wassers, könnte man sagen, wenn er nicht von Bier handeln würde. Er wurde auf dem Oktoberfest zum Schlager schlechthin, und er erfüllt zahlreiche Kriterien, die für einen Wiesn-Hit gelten: Er ist eingängig, Musik und Text sind von überschaubarer Raffinesse, und der Refrain - falls man davon bei insgesamt acht Worten Liedtext überhaupt reden kann - lässt sich auch noch im fortgeschrittenen Zustand der Trunkenheit mitsingen.

Und nach Sinn und Logik fragen in einem Bierzelt ja sowieso die wenigsten. Lieber prosten sie voller Enthusiasmus einer Gemütlichkeit zu, wie sie in einem vollbesetzten, tobenden Festzelt ja eher weniger zu finden ist.

"Ein Prosit der Gemütlichkeit" besteht aus ebendieser Textzeile, die in aufsteigender Tonfolge einmal wiederholt und dann durch ein im Chor skandiertes: "Oans, zwoa, drei! Gsuffa!" beantwortet wird.

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Ein sehr klassisches Liedschema also, das der ausgerechnet in Chemnitz beheimatete Komponist und Chorleiter Bernhard Traugott Dietrich um 1898 herum für seinen Saufgesang verwendet hat. Der Wirt Georg Lang aus Nürnberg hat ihn damals auf der Wiesn eingeführt, in seiner Augustiner-Bierburg für 6000 Gäste, für die er erstmals auch eine Musikkapelle engagierte.

Seither ist das "Prosit" alle Jahre wieder das meistgespielte Musikstück auf dem Oktoberfest, wie auch die alljährliche Hitliste der Verwertungsgesellschaft Gema ergibt. Verschwörungstheoretiker behaupten auch, in den Verträgen für die Musikkapellen auf der Wiesn sei festgeschrieben, wie oft das Lied anzustimmen sei. Denn angeblich fließen bei jedem "Gsuffa!" 50 Liter Bier pro 1000 Trinker im Zelt die Kehlen hinunter.

Wiesn-Hits
:Tanzen, Bier und Ehebruch

Der aktuelle Lieblingssong ist ein junger Klassiker. Warum er so gut funktioniert? Weil er alles hat, was es im Bierzelt so braucht. Ein anderer Titel benötigte 40 Jahre, um auf dem Oktoberfest anzukommen - und DJ Ötzi.

Von Stephan Handel, Franz Kotteder und Andreas Schubert

Hulapalu - geradezu schamlos auf Erfolg im Bierzelt hingeschrieben

In jedem Jahr wieder versuchen unterschiedlich bekannte - und begabte - Musiker, heuer aber ganz sicher den Wiesnhit des Jahren zu komponieren, zu produzieren, zu lancieren. Das klappt so gut wie nie; das Lieblings-Oktoberfest-Lied scheint nach dem Zufallsprinzip gekürt zu werden. Nur ein Versuch war bislang erfolgreich - "Hulapalu" von Andreas Gabalier ist auf geradezu schamlose Weise auf Erfolg im Bierzelt hingeschrieben. Die Methoden sind nicht so schwer zu erkennen:

1. Keine lange Introduktion, sofort rein, in diesem Fall mit der Gröl-Zeile "Hodi odi ohh di ho di eh".

2. Die Struktur so einfach wie möglich: drei Teile, bei denen die übliche Unterscheidung in Strophe, Bridge, Refrain schwerfällt, zumal sie alle der gleichen Harmoniefolge unterliegen: a-moll, F-Dur, C-Dur, G-Dur.

3. Was den Text betrifft, schadet eine kleine Prise Anzüglichkeit nicht, zu explizit soll's aber bitte nicht sein - dass das Nonsense-Wort "Hulapalu" irgendwas mit Sex zu tun hat, ist klar. Wie viel aber und vor allem was, das kann sich jeder Hörer selbst zurechtfantasieren.

4. Dialekt schadet nicht, wegen Lokalkolorit. So hat der Steirer Bua, dessen Œuvre gemeinhin der zu Unrecht sogenannten volkstümlichen Musik zugeschlagen wird, prototypisch gezeigt, wovon diese Richtung lebt: knallhart am Massengeschmack kalkuliert, musikalisch absolut belanglos, aber kompatibel mit jedem Promille-Wert über 0,5.

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Hat das Publikum diesen Zustand der Verzückung erreicht, ist es auch wurscht, dass Gabalier nichts dabei findet, mit rechtsextremen Symbolen wenigstens zu spielen, dass ihm Frauenfeindlichkeit und Homophobie vorgeworfen werden - Wiesnhit ist, wenn er im Bierzelt funktioniert.

Skandal im Sperrbezirk - das Lied sollte einst gesellschaftskritisch sein

Wie lange die weltweite Liste von unverstandenen Songs ist, sei dahingestellt. Fest steht: "Skandal im Sperrbezirk" von der Spider Murphy Gang steht definitiv drauf. Denn wer weiß denn heute noch, wenn er im Bierzelt "und draußen vor der großen Stadt, stehn die Nutten sich die Füße platt" grölt, dass die Band einen gesellschaftskritischen Song aufgenommen hat?

1981 war das, die Stadt ging streng gegen die Prostitution vor, fast die ganze Stadt war ein "Sperrbezirk", in dem käuflicher Sex illegal war. Und die Spider Murphy Gang kritisierte mit ihrem Lied die Doppelmoral des ach so sauberen Millionendorfs München. In diversen Interviews hat Sänger Günther Sigl augenzwinkernd erzählt, "Rosis" Telefonnummer 32 16 8 habe es zwar nie in München gegeben, was die Band auch überprüft habe. Doch in anderen Städten gab es die Nummer durchaus - was zu allerlei Unfug verleitete.

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Die Spider Murphy Gang hat den von Telefonstreichen Geplagten dann den Rufnummernwechsel gezahlt und Blumen zur Wiedergutmachung geschickt - lang ist's her.

Nicht zuletzt wegen des Wortes "Nutten" lief der Song Anfang der Achtzigerjahre weder im Radio noch im Fernsehen, entwickelte sich dennoch zum Partyhit - und gehört 38 Jahre später immer noch zum festen Wiesn-Repertoire. Richtig geadelt haben ihn letztlich die Musiker der Metal-Band Metallica, als sie ihn 2018 bei ihrem Konzert in der Olympiahalle spielten. Das Publikum sang den Text auswendig mit - dass Bassist Robert Trujillo, der den Gesang übernahm, daran scheiterte, störte niemanden.

"Hofbräuhaus" und "Skandal" brachte er noch einigermaßen heraus - und hörte sich halt so an wie Tausende andere Besucher von weit her, neben denen man Jahr für Jahr auf der Wiesn feiert und sich mit einem lauten "Skandaaaaaaal" zuprostet.

Der Räuber und der Prinz - das homoerotische NDW-Liebeslied in neuem Gewand

Sieben-Bier-Bisexualität nennt es der Autor Max Goldt, wenn bekennende Heterosexuelle infolge zunehmender Alkoholisierung sämtliche Ressentiments gegen gleichgeschlechtliche Berührungen vernachlässigen. Dann liegen sich ganze Rockerbanden und Fankurven beinahe schon knutschend in den Armen oder vervollkommnen den Bruderkuss, wie ihn einst die Generalsekretäre Breschnew und Honecker so vorbildlich zu inszenieren wussten.

Ob der Stärke des Wiesnbiers und einer größeren Maßeinheit als der, die Goldts Wortschöpfung im Sinn hatte, reichen freilich weniger Gläser, um in den hiesigen Festzelten entsprechende Berührungsängste abzubauen. Alles andere würde wahrscheinlich auch zu einer Sieben-Bier-Asexualität führen.

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Bis dahin aber grölen im Herzkasperlzelt seit Jahren schon auffallend viele Menschen plötzlich begeistert das homoerotische Liebeslied "Der Räuber und der Prinz" der Neuen-Deutschen-Welle-Band Deutsch-Amerikanische-Freundschaft mit: "Doch einer von den Räubern liebte diesen Prinzen. Ich liebe diesen Prinzen! Ich liebe dich, mein Räuber."

Lange, bevor die italienischen Rockmusiker Angela Baraldi und Massimo Zamboni diesen DAF-Hit aus dem Jahr 1981 für ihre 2018 erschienene NDW-Hommage "Sonata A Kreuzberg" entstaubten, hatten die Landlergschwister ihn nämlich schon für ihre Wiederbelebung einer traditionellen Musik in ein bairisches Gewand gekleidet. In diesem Gewand gerät er im Herzkasperlzelt zu einem Wiesn-Hit, zu dem sogar nüchterne Bedienungen tanzen. Was auch hübsch ist, zumal Trunkenheit als Aphrodisiakum maßlos überschätzt wird.

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Wiesn-Hits
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Das behauptet der auf Krawall gebürstete Fast-Wiesn-Hit Augustiner 40 Ounce. Ein echter Bierzelt-Klassiker beeinflusst bis heute die Speisekarte im Bierzelt, ein anderer wird als inoffizielle Nationalhymne Bayerns gehandelt.

Von Oliver Hochkeppel, Hermann Unterstöger, Franz Kotteder und Dirk Wagner

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