Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Wiesnanstich: Halbzeit is!

Einmal im Jahr ist nicht genug, deshalb heißt es schon jetzt bei der "Midwiesn" im Neuhauser Großwirt: "Ozapft is!" Ein Fest, das die Vorfreude steigert - oder eine Schnapsidee?

Von Franz Kotteder

Viele arbeiten ein Leben lang darauf hin, bewerben sich Dutzende Male, und dann wird doch nichts draus, aus dem Traumberuf Wiesnwirt. Alon Gleibs vom Neuhauser Großwirt an der Volkartstraße hingegen ist so mir nichts, dir nichts vor ein paar Jahren plötzlich Midwiesnwirt geworden. Einfach so. Weil sein Wirtshaus groß genug war, und weil einer der Initiatoren, Gert Jäger, ein gebürtiger Neuhauser, auf der Suche nach einem neuen Ort für sein Traditionsereignis war.

Einmal im Jahr dürfen Gleibs und Jäger nun in ihre Rollen als Midwiesnwirt und Festtagspräsident schlüpfen, so auch am vergangenen Samstagmittag. Punkt zwölf soll das Holzfass mit Augustiner Hellem (ein eigenes Midwiesnbier gibt es leider nicht) angezapft werden. Es wird diesmal drei Minuten später, weil Mitinitiator Julian Rautenberg noch schnell eine Begrüßungsrede hält und Jäger immerhin acht Schläge braucht, bis der Wechsel im Fass sitzt. Aber dann heißt's doch: "Ozapft is!", das Bier fließt, die Musi spielt auf, und rund 60 Männer und Frauen in Lederhosen und Dirndl stoßen an auf eine Tradition, die doch eigentlich erst in sechs Monaten wieder aufleben soll, nämlich am 16. September.

Nun muss man zugeben: "Traditionsereignis" ist im Zusammenhang mit der Midwiesn vielleicht ein bisschen viel gesagt. Die Veranstaltung gibt es ja erst "so seit 2010 umanand", wie Jäger erzählt, so ganz sicher ist er sich da auch nicht. Der Begriff Midwiesn entstand jedenfalls zu einer Zeit, als ein großes skandinavisches Möbelhaus mit dem schwedischen Midsommar, dem Fest zur Sommersonnenwende, zu werben begann. Jäger: "Da haben wir uns gesagt: Nennen wir unser Fest zur Mitte zwischen zwei Oktoberfesten halt einfach Midwiesn."

Den Begriff ließen sie sich dann auch gleich schützen, sehr zum Missvergnügen einiger Wiesnwirte, die fanden, das Oktoberfest sei generell ihre Angelegenheit. Wahrscheinlich waren sie aber auch nur sauer, dass ihnen die Sache nicht selber eingefallen war.

"Wir fanden, dass es eigentlich schade ist, sich nur einmal im Jahr zu treffen"

Wenn das Ganze nicht letztlich um Bier ginge, könnte man die Midwiesn natürlich auch als Schnapsidee bezeichnen. Heinz Winzinger, 54, sagt, er und Jäger hätten sich die Midwiesn einfallen lassen als Bergfest "am ersten Samstag, der näher am ersten Wiesnsamstag ist als von der letzten Wiesn entfernt". Gert Jäger möchte nicht drauf schwören, erzählt aber, dass alles von einem Wiesnstammtisch im Garten vor dem Augustinerzelt ausging. "Wir fanden, dass es eigentlich schade ist, sich nur einmal im Jahr zu treffen", erzählt er, "dann gründeten wir einen monatlichen Stammtisch im Mariannenhof im Lehel. Der ist aber nach dem zweiten Mal schon wieder eingeschlafen." So kam man auf die Idee mit dem Bergfest Ende März.

Und die Midwiesn funktioniert prächtig. Der Mariannenhof wurde bald zu klein dafür, vor sechs Jahren zog man um in den Großwirt, weil bis zu 100 Leute zur Midwiesn kamen. In den beiden Corona-Jahren fiel sie aus, dafür feierte man am eigentlichen Wiesnsamstag, und zwar einen "Nicht-Wiesnanstich", ebenfalls im Großwirt. Ziel ist es, das Wiesngefühl für einen Samstag in den Alltag zu übertragen, sagt Jäger: "Die Wiesn ist ja sehr basisdemokratisch, da sitzt der CEO neben dem Arbeiter am Tisch. Also die normalen Leute und die, die meinen, sie seien was Besseres." Letztere, so scheint es, fehlen an diesem Samstag, immerhin ist ein ehemaliger Vorstandschef da.

Die Stimmung ist vergnügt, aber nicht partymäßig wie in einem Bierzelt. "Es geht uns um Förderung der Wirtshauskultur", hatte Julian Rautenberg in seiner Eröffnungsrede gesagt. Dazu zählt auch die Wirtshausmusik, die live von der Harfenistin Dorothea Hutterer, dem Gitarristen Thomas Suppmayr von der inzwischen aufgelösten Wirthausband Gerner Zipfeklatscher und von einigen Mitgliedern der Regentagmusik aus Moosach kommt. Sie haben die Aufgabe, "die Veranstaltung musikalisch zu unterwandern", wie Rautenberg sagt. Das geschieht mit Hilfe von bayerischer Folklore, man bedient sich aber auch bei Hits der Alternative-Hip-Hop-Band Bloodhound Gang.

Und wie fühlt sich Alon Gleibs als Midwiesnwirt? "Hervorragend", sagt er und grinst, "Wiesnwirt ist doch der Traum eines jeden Münchner Gastronomen." Er selbst war immerhin schon mal Wirt in Wiesnnähe. Er hatte damals die Cocktailbar Padres in der Blumenstraße. "Da ging's nach dem Schankschluss auf der Wiesn natürlich immer ganz ordentlich zu."

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