Bettwanzen:Die Feinde in meinem Bett

Oktoberfest 2019

Vielleicht nicht gemütlicher, aber sicherer als in manchen Hostel-Bett: Ein Wiesn-Besucher schläft auf dem Hügel hinter den Bierzelten. Mutmaßlich bettwanzenfrei.

(Foto: dpa)

Für alle möglichen Risiken auf der Wiesn gibt es Verhaltenstipps. Doch eine Gefahr wird unterschätzt: Sie lauert, wenn der Wiesnbesucher längst wieder schläft.

Von Oliver Klasen

In einer der sichersten Großstädte der Welt, als die sich München zurecht bezeichnet, ist die Theresienwiese ein Hort der Gefahr. Im Zelt droht die Bierdusche von rechts oder der aufdringliche Nachbar von links, es gibt Masskrugschlägereien, Trickdiebe, betrügerische Taxifahrer, den Kotzhügel und ein Fahrgeschäft namens XXL-Racer, das einen Dutzende Male 55 Meter in die Höhe katapultiert und mit vierfacher Erdbeschleunigung kopfüber wieder nach unten bringt, auch kein Spaß.

Aber selbst, wenn man all dem entronnen ist, droht Ungemach, nämlich dann, wenn man längst wieder in der Pension, im Hostel oder im Hotel angekommen ist und friedlich schnarchend im Bett liegt. Denn dann kommt womöglich die Bettwanze. Sie krabbelt aus ihrem Versteck hervor, sucht sich eine geeignete Einstichstelle, fährt ihren Stechrüssel aus und saugt das Blut aus ihrem Opfer, dem Wiesngänger.

Gegen die üblichen Gefahren auf dem Oktoberfest gibt es Vorsichtsmaßnahmen und Verhaltenstipps. Doch diesem Gegner sollte man nicht zu unbedarft entgegentreten. Höchste Zeit, sich mit Erkenntnis zu munitionieren, der Größe der Aufgabe angemessen angelehnt an Immanuel Kant, den wichtigsten Philosophen der Neuzeit.

Was kann ich wissen?

Der Feind, von Fachleuten als cimex lectuarius bezeichnet, ist ein oval geformtes, rotbraun gefärbtes Wesen, vier bis fünf Millimeter klein, mit Blut vollgesogen kann es annähernd doppelt so groß werden. Die Weibchen legen im Laufe ihres Lebens, das sind etwa sechs bis neun Monate, 150 Eier, aus denen kleine Larven schlüpfen, die sich im Laufe ihrer Entwicklung fünf Mal häuten, und davor jeweils eine "Blutmahlzeit" zu sich nehmen müssen, wie es in einer Broschüre des Umweltbundesamtes etwas martialisch heißt.

Angelockt von der Körperwärme und den Atemgasen des Menschen, ist das bevorzugte Verbreitungsgebiet das Bett, daher der Name. Die Bettwanze leitet den Angriff auf ihre Opfer äußerst geschickt ein. Tagsüber versteckt sie sich in den kleinsten Ritzen, in Matratzenspalten, Bettkästen und an Teppichrändern, ja sogar hinter Bilderrahmen, Fußleisten, in Steckdosen, Rauchmeldern und Klimaanlagen. Erst nachts kriecht sie hervor, oder sie lässt sich von der Decke auf ihr Opfer herunterfallen. "Nur gelegentlich, meist bei stärkerem Befall, sieht man auch mal tagsüber einzelne Tiere herumlaufen, auf dem Bettlaken zum Beispiel", erklärt Carola Kuhn, Expertin für Schädlingsbekämpfung beim Umweltbundesamt. Sie hat mit einer Kollegin die Ratgeber-Broschüre herausgegeben. Titel: Bettwanzen - Erkennen, Vorbeugen, Bekämpfen.

Eigentlich war die Bettwanze in Europa kaum mehr ein Problem. Durch den Einsatz von Pestiziden gelang es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, die Schädlinge stark zurückzudrängen, doch dann wurde DDT, ein besonders wirksames, aber sehr giftiges Pestizid, verboten - und es kam die Globalisierung. Die Menschen reisten häufiger und an weiter entfernte Ziele und trugen die Wanzen mit ihrem Gepäck um die Welt.

Zunächst war nach der Jahrtausendwende New York ein Bettwanzen-Hot-Spot, seit einigen Jahren verbreiten sie sich vermehrt auch in deutschen Städten. Jeder Hotelier kennt das Problem, aber fast keiner redet darüber, weil er negative Bewertungen in den vielen verschiedenen Portalen fürchtet. Fanden sich Bettwanzen früher eher in Backpacker-Hostels und preiswerten Absteigen, sind inzwischen auch Luxushäuser betroffen. Bettwanzen traten in Alpenhütten auf, sie wurden in der Business Class der Air India gesichtet und vor einigen Wochen gab es Meldungen, dass ein Donald Trump gehörendes Golfhotel in Florida, in dem der US-Präsident gerne den nächsten G7-Gipfel ausrichten will, ebenfalls mit Bettwanzen-Befall zu tun hatte.

Auch in Münchner Unterkünften sind die Bettwanzen das ganze Jahr über ein Ärgernis, im August gab es zum Beispiel Berichte über einen Befall in einer großen Hostelkette. Während des Oktoberfestes ist die Auslastung noch höher, der Bettenwechsel erfolgt in kürzeren Abständen und es sind viele Gäste aus Nordamerika in der Stadt, wo Bettwanzen stärker verbreitet sind als hierzulande. Das Problem verschärft sich also.

Was soll ich tun?

In der Broschüre des Umweltbundesamtes ist ein Symbolbild von einem Mann zu sehen, der sein Hotelbett inspiziert. Der Wiesnbesucher achtet also besser nicht nur darauf, ob die Mini-Bar mit Wiesnbier gefüllt ist und ob er von seinem Zimmer aus das Riesenrad auf der Theresienwiese sehen kann, sondern auch, ob er auf dem Bettlaken, der Matratze, dem Nachttisch oder an den Rändern von Wandverkleidungen, Steckdosen und Lichtschaltern verräterische kleine schwarze Punkte sieht, den Kot der Bettwanzen. Außerdem wichtig: Den Koffer immer möglichst weit weg vom Bett platzieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Wanze hineinkriecht und nach Hause in die eigene Wohnung mittransportiert wird.

Ist die Bettwanze dort erst heimisch geworden, wird es richtig kompliziert. Starke Hitze, eisige Kälte und Chemie, das sind im Prinzip die drei Möglichkeiten, um der Wanze den Garaus zu machen. Befallene Gegenstände, zum Beispiel Rucksäcke oder Kissen, können für drei Tage in eine Kältekammer oder für mindestens eine Stunde in die Waschmaschine, die Sauna, oder den Backofen gesteckt werden, dann sterben Wanzen und Eier ab. Denkbar ist auch, den gesamten Raum mit speziellen Elektroöfen auf 55 Grad aufzuheizen.

Die Behandlung mit Pestiziden ist die häufigste Methode. Sie besteht aus drei Schritten: Verstecke aufspüren, dort entdeckte Tiere mit dem Gift besprühen und schließlich sogenannte Barrieren aufbringen, damit Tiere, die später noch aus den Verstecken herauskommen, "über behandelte Oberflächen laufen müssen und mit dem Insektizid in Berührung kommen", wie Bettwanzen-Expertin Kuhn erklärt.

Leider jedoch beseitigten die eingesetzten Insektizide nicht die Eier der Wanzen, so dass die Behandlung mehrere Male im Abstand von ein bis zwei Wochen wiederholt werden muss, so lange bis alle Larven geschlüpft und vom Gift erwischt wurden. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, haben die Bettwanzen auch noch Resistenzen gegen die Wirkstoffe in den gängigen Insektiziden entwickelt. "Daher ist die Bekämpfung der Bettwanzen in den vergangenen Jahren noch schwieriger geworden als sie ohnehin schon ist", sagt Kuhn.

Was darf ich hoffen?

"Der Kampf gegen die Bettwanze kann eine Never-Ending-Story sein", sagt Kathleen Flade. Fachleute wie sie sind die einzig sinnvolle Möglichkeit, um einem größeren Befall Herr zu werden. Flade ist Hundetrainerin und schult ihre Tiere seit drei Jahren darauf, im Raum München Bettwanzen in Wohnungen und Hotels zu erschnüffeln, eine unter Fachleuten anerkannte Methode. Das hat ihr eine Zertifizierung von der deutschen Bed Bug Foundation eingebracht und eine interessante E-Mail-Adresse, deren Domain nicht mit .de, sondern mit .dog endet. Inzwischen hat sie sich daran gewöhnt, dass in ihrem Kühlschrank Behälter mit Bettwanzen lagern, denn die Hunde müssen an lebenden Wanzen trainieren.

120 Euro plus Anfahrt kostet das Aufspüren der Wanzen pro Raum, Beratung inklusive. Die Kosten für die Kammerjäger, der die Schädlinge beseitigt, kommen dann noch hinzu. Inzwischen, so Flade, haben viele Hotels die Brisanz des Themas erkannt. Einige arbeiten mit festen Schädlingsbekämpfern zusammen, einige lassen ihre Räume auch präventiv testen. "Wanzen-Monitoring nennt sich das. Ich wundere mich, warum das nicht noch mehr Hotels machen, denn sie könnten ja dann bei ihren Gästen damit werben, dass ihr Haus wanzenfrei ist", sagt Flade.

Was ist der Mensch?

Gäbe es eine Rangliste von Tieren mit besonders schlechtem Image, die Bettwanze stünde darauf ziemlich weit oben, kurz hinter der Kakerlake, kurz vor der Schmeißfliege, so in etwa. Da bringt auch das nette Kinderlied "Auf der Mauer, auf der Lauer" nichts, in dem eine Wanze im Mittelpunkt steht. Und das seltsame Paarungsverhalten der Bettwanzen ist ebenfalls nicht dazu geeignet, Sympathien zu wecken, denn im Grunde sind die Bettwanzen-Männchen nichts anderes als Vergewaltiger, die die Körperhülle der Weibchen rücksichtslos durchbohren, um dort ihren Samen in einer Kammer abzulegen. Biologen nennen das "traumatische Insemination".

Traumatisch ist auch die Begegnung zwischen Mensch und Wanze. Obwohl deren Stiche kaum gravierender ist als ein Mückenstich, ist der Ekel vor der Bettwanze viel ausgeprägter. Carola Kuhn vom Umweltbundesamt glaubt, dass die Abscheu daher kommt, weil die Bettwanze "in unseren persönlichen Rückzugsbereich eindringt und sich für längere Zeit dort ansiedelt. Eine Stechmücke saugt zwar auch Blut, aber sie fliegt dann wieder weg", sagt Kuhn. Deshalb, so Hundetrainerin Flade, sei die Wanzenbehandlung zum Teil "fast eine psychologische Beratung". Denn obwohl Wanzen nichts mit Hygiene zu tun haben, seien ihre Kunden oft "fix und fertig", sagt Flade. "Das Gefühl, Parasiten in der Wohnung zu haben, ist mit einem großen Schamgefühl verbunden".

Nach dem Wiesnbesuch Bekanntschaft mit einer Bettwanze zu machen, ist offensichtlich derart unangenehm, dass sich dagegen sogar der Kotzhügel harmlos ausnimmt.

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