Süddeutsche Zeitung

Homophobie auf dem Oktoberfest:"Ich finde solche Verhaltensregeln extrem schwierig"

Müssen Schwule und Lesben auf der Wiesn besonders vorsichtig sein? Der Queer-Netzwerker Jörg Garstka sieht dafür keinen Grund.

Interview von Philipp von Nathusius

In der ersten Wiesnwoche sind zwei junge Männer, die Hand in Hand über das Oktoberfest liefen, aus einer größeren Gruppe heraus erst schwulenfeindlich beschimpft und dann zusammengeschlagen worden. Als Reaktion darauf hisste die Stadt München in dieser Woche nun zwei Regenbogenfahnen am Eingang zur Theresienwiese. Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) sagte: "Gewalt gegen Menschen, die sich nicht am Mainstream orientieren, darf auf unserer Wiesn keinen Platz haben." Zwei sich küssende Männer oder händchenhaltende Frauen seien "völlige Normalität". Jörg Garstka war als Vertreter der Münchner Queer-Community bei der Aktion dabei.

SZ: Herr Garstka, Sie selbst sind seit sieben Jahren regelmäßig auf der Wiesn unterwegs, privat und beruflich. Wie homophob ist das Oktoberfest?

Jörg Garstka: Nicht mehr und nicht weniger als andere Feste auch. Die Wiesn ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und natürlich fallen mit Alkohol manche Hürden. Da fühlt sich manch einer freier in seinen Äußerungen und seinen Taten. Aber der Übergriff war ein Einzelfall - und ich gehe davon aus, dass er ein Einzelfall bleibt. Denn eigentlich ist die Wiesn ein friedlicher und toleranter Ort, wo jeder und jede feiern und ihren Spaß haben kann und auch haben soll.

Auf das Oktoberfest kommen Besucher von überall her, auch aus Regionen, in denen offen gelebte Homosexualität gesellschaftlich geächtet ist. Führt das nicht unweigerlich zu Konfrontationen, erst recht, wenn Alkohol im Spiel ist?

Nein. Bei der Wiesn geht es ums Zusammenkommen, ums Zusammensein und darum, zusammen zu feiern, alle miteinander, ob homo oder hetero oder sonst wie. Und das funktioniert hier absolut. Und bei dem einen oder anderen führt so ein Gemeinschaftserlebnis auch dazu, dass Vorurteile abgebaut werden.

Es gibt in einigen Zelten diverse, explizite LGBTQI-Veranstaltungen. Dient dort die Gruppe als Schutz vor Übergriffen?

Der MLC [Münchner Löwenclub, ein schwuler Leder- und Fetischverein, d. Red.] hat seit drei Jahrzehnten seinen Sonntagsbalkon in der Bräurosl. Das hat mal mit drei Tischen angefangen. In der Fischer-Vroni war es genauso. Irgendwann standen dann plötzlich Münchner Travestie-Stars auf der Bühne. Und jetzt ist das ganze Zelt bunt. Da feiert der Hetero mit dem Schwulen und die Heterodame mit ihrem schwulen Freund und es ist ein großes Miteinander. Aber diese Sachen waren nie explizite Veranstaltungen nur für Nicht-Heteros. Aufs ganze Zelt gesehen sowieso nicht. Und in meinen Augen hat das auch nichts mit Selbstschutz zu tun, sondern nur damit, zusammen Spaß zu haben.

Auf der Seite Oktoberfestportal.de gibt es Verhaltenstipps für schwule und lesbische Besucher. Etwa, dass Paare "ein bisschen zurückhaltend sein" sollten. Mit der Begründung: "Nicht alle Wiesngänger haben Verständnis für eine offene schwule oder lesbische Lebensweise". Wie sehen Sie das?

Ich glaube, in der heutigen Zeit ist es wichtig, Flagge zu zeigen und dass man dazu steht, schwul oder lesbisch oder sonst wie zu sein. Schwule dürfen alles, was Heteros auch dürfen. Man muss die Gesellschaft mit dem Thema konfrontieren. Ich persönlich finde solche Verhaltensregeln extrem schwierig, weil sie genau das Gegenteil von dem bewirken, wozu sie eigentlich gedacht sind. So bekommen die Leute Angst, auf die Wiesn zu gehen oder fühlen sich dort nicht wohl, weil sie sich vermeintlich einschränken müssen, was de facto aber nicht der Fall ist. In der Fischer-Vroni oder in der Bräurosl liegen sich die Männer in den Armen und die Frauen auch und küssen sich. Und daneben sitzen die Heteros und feiern mit.

Einer, dessen Songs in so gut wie allen Zelten rauf und runter gespielt werden, ist Andreas Gabalier. In einem Interview mit dem Münchner Merkur sagte er über Schwule: "Ich finde nur, dass man diese Sexualität nicht ganz so breit in der Öffentlichkeit austreten muss. Aus Respekt unseren kleinen Kindern gegenüber." Singen Sie mit bei "Hulapalu"?

Das ist von dem? Aha, wusste ich nicht. Der Herr Gabalier ist vielleicht etwas konservativ in seiner Weltsicht. Wir vom Münchner Schwulenzentrum Sub haben die Faschingsgesellschaft Narhalla auch von unserem Rosenmontagsball ausgeladen, weil sie Gabalier den Karl-Valentin-Orden verliehen hat. Aber zu Ihrer Frage: Natürlich singe ich mit.

Warum?

Das Lied ist das Lied, und der Künstler der Künstler.

Lässt sich das trennen?

Ich finde schon. Und ganz im Ernst, am Ende des Abends kriegt doch eh keiner mehr so ganz genau mit, was die Kapelle da überhaupt zum Besten gibt.

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