Süddeutsche Zeitung

Regeln:Oktoberfest-ABC: Eine Anleitung für die Wiesn

Austreten, Obandln, Wiesn-Zauber: Die Wiesn ist nicht viel mehr als ein Spielplatz für Erwachsene. Und wie dort gibt es auch hier Regeln und Gebote - auch wenn diese nicht plakativ kommuniziert werden.

Von Laura Kaufmann

A wie Austreten

Wer mal muss, zögert das beim ersten Mal so gut es geht hinaus. Blasentraining nennt man das, und eine gut trainierte Blase ist in einem vollen Bierzelt viel wert. Dann aber nicht zu lange warten und sich rechtzeitig in die Schlange einreihen - es kann eine Weile dauern. Ungerechterweise gilt das natürlich vor allem für die Damen. Sind die Zelte noch offen, lohnt es sich zu schauen, ob die Biergartentoiletten nicht weniger frequentiert sind. Hat man eine Kabine erwischt, gilt: Hände weg vom Handy! Das ist nicht der Ort, um endlich dem drunk texting zu frönen, für welches einem die Freunde am Tisch sofort das Telefon abnehmen würden. Vor der Tür warten andere, die ebenso dringend mal müssen.

B wie Bummel

Ein Wiesnbummel ist eine schöne Sache, die Durchführung eines solchen eine knifflige. Er ist bei blauem Himmel zu empfehlen, und vor allem mit Kindern unter der Woche und tagsüber. Am Wochenende ist die Bummelstimmung trotz des blauen Himmels wenig entspannt, da drängt und quetscht es sich oftmals eher mühsam durch die Mengen. Regnet es hingegen, werfen sich nur Hartgesottene einen Plastikponcho über. Die haben die Wiesn dann für sich.

C wie Chef

Mit der Firma auf die Wiesn birgt ähnliche Gefahren wie die jährliche Weihnachtsfeier. Zu allem Überfluss gibt es meist noch ein, zwei Mass gratis. Je nach Firma kann ein gemeinsames Besäufnis selbstverständlich bindend wirken, im Zweifel ist aber unter allen Umständen zu vermeiden, sich als Bierleiche unter dem Tisch oder an den Lippen der angeschmachteten Kollegin wiederzufinden.

D wie Dirndlschürze

Es ist ein ewiges Rätsel mit der Schleife und doch so einfach: Rechts: Vergeben, links: Single. Jungfrauen verzichten meist darauf, sich die Schleife vorne zu binden, und auch hinten geschnürte Witwen sieht man selten, weswegen sich getrost auf die ersten beiden konzentrieren lässt. Eine links gebundene Schleife ist noch längst keine Einladung zur sabbernden Dauerbelagerung, Bei einer rechts gebundenen kann man sich sämtliche Liebesmühe sparen.

E wie Empfang

Der ist auf der Wiesn oftmals schlecht. Einen großen Bogen sollte man um Leute machen, die gerade ihr Smartphone anbrüllen ("Waaaas?" "Wooo seid ihr?"), um einen Hörschaden zu vermeiden. Mitten im Gedrängel ist es ratsam, ankommende Anrufe gleich wegzudrücken, um die Stimme zu schonen. Die wird beim Gröhlen auf der Bierbank schon genug beansprucht. Stattdessen lässt sich, sobald es das Netz zulässt, die gleiche Konversation auch in einen Chat verlegen: "Was" - "Wo" - "Na bei den Italienern mit den Masskrughüten, Box 2, bist du blind?" - "Ich komm nicht rein!"

F wie Fanatiker

Der Wiesnfanatiker zählt seine Fehltage statt die der Anwesenheit. Schon Wochen vor dem Fest wird die Tracht auf den neuesten Stand der Mode gebracht. Geht es los, helfen ihm Vitaminpräparate beim Durchstehen der Bier- und Hendldiät. Bei dem letzten Song am letzten Tag hat er Wunderkerzen in der Hand und Tränen in den Augen.

G wie Geisterbahn

Vielen Menschen ist das nicht bewusst, aber: Auf der Wiesn gibt es nicht nur Bierzelte, sondern auch Fahrgeschäfte. Große und wilde, traditionelle und solche, die vor allem Kindern Spaß machen. Geisterbahnen zum Beispiel. Würde man meinen. Ihr Vorteil ist aber, dass sie sich auch mit einem gewissen Pegel fahren lassen, ohne zu K wie Kasig zu werden. Und sie nicht so wild sind, dass sich dabei nicht auch zarte O wie Obandlversuche tätigen lassen. Manch einer gruselt sich aber lieber gratis, beim Bierleichen betrachten am so genannten Kotzhügel.

H wie Hater

Gibt es zahlreiche, die Wiesn polarisiert. Für die Hasser ist die Wiesn ein prolliges Massenbesäufnis in Faschingstracht, bei dem grausige Schlager gegrölt werden. Was soll man sagen? Ganz falsch liegen sie damit nicht.

I wie Igitt

Ekelhafte Szenen lassen sich auf der Wiesn zuhauf beobachten, wie die H wie Hater gern betonen. Besoffene, die sich in ihre Masskrüge übergeben oder unter den Tisch pinkeln zum Beispiel. Auch die menschlichen Ausdünstungen am späten Abend in einem gut gefüllten Zelt geben gelegentlich Anlass zu einem empörten "Igitt"-Ausruf. Und dann ist da natürlich der Kotzhügel, ein kleiner Hang hinter den Zelten, auf dem die Elenden ihre letzte Würde verlieren.

J wie Jodeln

Muss man nicht beherrschen, um sich auf der Wiesn zu behaupten.

K wie Kasig

ist bairisch für "blass um die Nase", und wenn ein sich nähender Wiesngänger blass um die Nase ist, droht Gefahr. Vermutlich ist er nach dem Bierzeltbesuch noch in ein sich überschlagendes Fahrgeschäft eingestiegen, was in den seltensten Fällen als eine gute Idee zu bewerten ist (besser: G wie Geisterbahn). Indizien für diese schlechte Idee sind zudem großzügige Ausfallschritte, die nach keinem genauen Muster erfolgen, und ein Verlust der Muttersprache. Es gilt, einen großen Bogen um den kasigen Wiesngänger zu machen, möchte man nicht ein I wie Igitt ausrufen.

L wie Looping

Fahrgeschäfte, die sich überschlagen, sind vor dem Festzeltbesuch eine gute Idee, wenn man auf Achterbahnen steht. Nach dem Besuch eine eher weniger gute, siehe K wie Kasig.

M wie Mass

Ja, es ist wirklich ein ganzer Liter, der in dieses Glasgefäß passt. Aber nein, keine Sorge, meistens ist gar kein ganzer Liter drin. Achtung, das Wiesnbier ist stärker als normales Bier! Deswegen empfiehlt es sich keinesfalls, den Krug auf der Bierbank stehend in einem Zuge zu leeren. Wer dies tut, wird hernach nicht mehr besonders viel Freude am Fest haben und eventuell K wie Kasig sein. Vielmehr ist die Mass in einem gelassenen Tempo zu trinken. Auch nicht zu langsam, weil auch Oktoberfestbier früher oder später lack schmeckt. Gute Freunde teilen sich bei ersten Überforderungserscheinungen gelegentlich eine Mass.

N wie Noagerl

Die Reste in den Masskrügen firmieren auch unter Noagerl. Und wer diese zusammenschüttet, um sich so ein neues, volleres Bier zu verschaffen, verdient einen spitzen I wie Igitt-Aufschrei. Es schmeckt halt nicht mehr. Wirklich nicht.

O wie Obandln

Nirgends ist es so einfach wie hier, heißt es, das Flirten, auf bairisch auch Obandln genannt. Wie überall gilt: Erlaubt ist, was gefällt, und Nein heißt Nein (bairisch: Naaaa!). Eine erste Orientierung bietet Männern der Schleifencode an der D wie Dirndlschürze, die so gut wie jede Wiesngängerin trägt.

P wie Pärchen

Einige Pärchen sind aus einem erfolgreichen O wie Obandln auf der Theresienwiese entstanden. Wer schon verpartnert ist, hat es schwerer. Besonders zwischen einem H wie Hater und einem F wie Fanatiker kann es in den 16 oder auch 17 Wiesntagen zu jeder Menge Unverständnis kommen. Aber auch bei zwei Fans droht Ärger. Etwa bei anderen Zeltvorlieben oder unterschiedlicher Ausdauer. Fast nichts macht so emotional wie Wiesnbier, ein kleines Missverständnis wird da schnell zum tränenreichen Streit. Aber auf den folgt oft genug eine leidenschaftliche Versöhnung.

Q wie Quadratlatschen

Das richtige Schuhwerk für den Gang auf die Festwiese will weise gewählt sein. Robust sollte es sein und nicht zu schade, um damit durch eine Mischung aus Bier und Schlamm zu waten. Und vor allem bequem. Hohe Schuhe sind prinzipiell eher etwas für die Einladung ins Käferzelt, zu der die Dame sich mit einem Taxi hin- und zurückkutschieren lässt.

R wie Reinkommen

Ist der Haupteingang schon dicht, sind die Seiteneingänge eines Zeltes manchmal noch offen. Wenn nicht: Sich beharrlich vor die Tür stellen, ohne den Ordner zu behindern. Gelegentlich Blickkontakt aufnehmen. Signalisieren, dass man alleine da ist, ohne zu nerven. Früher oder später gelingt es so meist immer. Hat man die ganze Fußballmannschaft im Schlepptau, wird es allerdings schwierig.

S wie Schankschluss

Jeder Spaß hat einmal ein Ende - und das kommt auf dem Oktoberfest für manchen früher als vermutet: Um 22:30 Uhr hört in den meisten großen Festzelten die Kapelle auf zu spielen, der Nachschub an Bier versiegt und die Feiermeute wird langsam Richtung Ausgang getrieben. Regelmäßig lässt sich dann ein weiteres Wiesn-Ritual beobachten: der Versuch noch ins Weinzelt oder die Käfer Wiesn-Schänke zu gelangen, in denen der Ausschank bis halb eins noch weitergeht. Meist scheitert das jäh am R wie Reinkommen.

T wie Tisch

An einen Tisch zu kommen ist nicht ganz einfach. Aber es braucht eigentlich auch keinen eigenen Tisch. Irgendwo dazu setzen, eine größere Gruppe verteilt sich notfalls erst an mehrere Tische. Mit Glück sitzen die neuen Bekannten schon länger, verlieren die Lust und gehen bald heim. Dann die verstreute Truppe wieder zusammentrommeln. Was nicht erlaubt ist: Auf den Tischen tanzen. Ordner sehen das gar nicht gern - und können ungemütlich werden.

U wie Urlaub

Es soll F wie Fanatiker geben, die nehmen sich extra Urlaub, um jede Minute des Festes voll auskosten zu können. Wer das nicht tut und trotzdem kaum Fehltage hat, ist spätestens nach der Wiesn urlaubsbedürftig.

V wie Volksfestcharakter

Die Wiesn ist dem Volksfestcharakter schon längst entwachsen, was die H wie Hater gern und oft kritisieren. Am ehesten ist der Volksfestcharakter auf der Oidn Wiesn zu finden. Gemächlicher als in anderen Zelten geht es etwa im Armbrustschützenzelt oder in der Ochsenbraterei zu.

W wie Wein

Wer kein Bier mag, muss trotzdem nicht verzweifeln: Viele Zelte bieten auch Weinschorle an. Nicht nur das Weinzelt, sondern etwa auch die Fischer Vroni oder das Schützenzelt.

X wie X-Beine

Lassen sich unter einem langen Dirndlrock hervorragend verstecken. Eine Lederhose kaschiert da eher weniger. Sorgen muss sich deswegen keiner. Es gibt auf der Wiesn wahrlich faszinierenderes zu sehen als X-Beine.

Y wie Yoga

Wer viel auf die Wiesn geht, braucht einen guten Ausgleich. Das können entspannende Schaumbäder sein, ein gemütlicher Serienabend zwischendrin. Besonders gut tut Sport, um den Schweinsbraten wieder abzuschütteln und das Bier auszuschwitzen. Yoga mit seiner ausgleichenden Wirkung ist als Wiesnausgleich hervorragend geeignet.

Z wie Zauber Die Wiesn übt einen besonderen Zauber aus auf die, die für ihn empfänglich sind. Rausch und kollektive Euphorie machen Fremde zu Freunden, Einsame zu Liebhabern, Raver zu Schunklern, bringen Augen zum Leuchten und Füße zum Stolpern. Dieser Zauber lässt sich allerdings nicht näher erläutern. Nur erleben.

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