Wiesn-Stadträtin Anja Berger:Jeden Tag auf dem Oktoberfest

Wiesn-Stadträtin Anja Berger: Doppelte Premiere: Mit Anja Berger ist erstmals eine Frau und eine Grüne Münchner Wiesn-Stadträtin.

Doppelte Premiere: Mit Anja Berger ist erstmals eine Frau und eine Grüne Münchner Wiesn-Stadträtin.

(Foto: Stephan Rumpf)

Anja Berger ist Münchens neue Wiesn-Stadträtin. Sie sagt: "Das ist der wunderbarste Job, den man haben kann." Doch was macht eine Wiesn-Stadträtin eigentlich?

Von Heiner Effern

Fast wäre alles schief gegangen für die neue Wiesn-Stadträtin. In der Woche vor dem Anstich hat Anja Berger eine heftige Erkältung heimgesucht, was auch den Oktoberfest-Wirten in einer Versammlung nicht verborgen blieb. Krank die erste Wiesn seit drei Jahren verpassen? Kam nicht in Frage, im Handumdrehen war der Wiesn-Doktor alarmiert. Noch im Museumszelt wurde eine stärkende Zauber-Infusion gelegt, vor der noch jeder Infekt das Weite gesucht haben soll. Wenn Anja Berger knapp zwei Wochen später davon erzählt, merkt man ihr an, wie sehr sie diese Geste gefreut hat.

Man sieht aber auch, dass die Medizin gewirkt hat. Fit marschiert sie durch eine unscheinbare Tür an einem Seiteneingang des Paulaner-Zelts, dann einen engen Gang hinab und schließlich rechts hinein in die kleine Stube, aus der heraus das große Festzelt organisiert wird. Sie nimmt auf einer Eckbank Platz, trinkt Wasser am frühen Nachmittag. Dazu stehen Brezen auf dem Tisch, regional produziert. Bio-Brezen, denen nur noch die Zertifizierung fehlt. Genau darum soll es gehen im Gespräch mit Wirtin Arabella Schörghuber. Wie ökologisch kann das Oktoberfest sein?

Ein Wohlfühltermin für die Wiesn-Stadträtin, mit am Tisch sitzt auch Parteifreundin und Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne). Drei Frauen, eine Richtung, schließlich hat Wirtin Schörghuber ihr Zelt als klimaneutral zertifizieren lassen. "Wenn ein großes Festzelt komplett auf Bioware umstellt, hätte das eine enorme Signalwirkung", sagt Berger. Nicht nur für das Oktoberfest, sondern weit in die Gesellschaft hinein.

Doch die beiden Grünen-Politikerinnen müssen lernen, dass auch dem guten Willen im Moment Grenzen gesetzt sind. Bei Kartoffeln sehe es gut aus, sagt Schörghuber, die vegane Currywurst laufe auch gut. Beim Rest sind die großen Mengen in Bioqualität oft nicht zu bekommen und für die Gäste auch nicht mehr zu bezahlen. Nur "Schritt für Schritt" könne eine solche Umstellung erfolgen.

Für die 51 Jahre alte Anja Berger selbst geht es gerade nicht Schritt für Schritt, sie erlebt mit voller Wucht, was es bedeutet, 17 Tage lang am Stück auf dem größten Volksfest der Welt unterwegs zu sein. Nicht zum Feiern, sondern dienstlich. Seit dem Sommer 2020 ist sie offiziell gewählte Wiesn-Stadträtin, also das Scharnier zwischen den Wirten, Fahrgeschäft- und Standlbetreibern und der Stadtpolitik. Die beiden folgenden Jahre mit zwei Absagen wegen Corona dürften sich auch für sie angefühlt haben wie eine dreifache Adventszeit vor der Bescherung. Doch nun steckt sie mittendrin. Endlich.

Sie wolle "niemandem vors Schienbein treten, aber trotzdem einen Standpunkt vertreten"

Wiesn-Stadträtin sei ihr Traumjob, das hat Anja Berger vor dem Oktoberfest gesagt, nach zwölf Tagen ist es immer noch "der wunderbarste Job, den man haben kann". Sie hat darum ringen müssen in ihrer eigenen Fraktion und sich in einer Kampfabstimmung gegen den Kollegen Beppo Brem durchgesetzt. Schließlich waren die Grünen zum ersten Mal stärkste Fraktion und hatten dadurch Zugriff auf den attraktiven Posten. Auch von außen gab es viel Aufmerksamkeit, weil eine Doppelpremiere anstand: Zum ersten Mal wurde eine Frau zur Wiesn-Stadträtin gewählt, zum ersten Mal eine Grüne.

Wie würde sie ihr Amt interpretieren? Schon vor dem Start des Oktoberfests machte sie klar, dass sie mehr will, als am Eröffnungstag in der ersten Kutsche zu sitzen und am Standkonzert vor der Bavaria eine Blaskapelle zu dirigieren. Bei der Präsentation des offiziellen Bierkrugs im Vorfeld setzte sie ein erstes Zeichen: Das Motiv zeige tatsächlich die Lebensfreude auf der Wiesn, sagte sie am Rande, sie würde sich nur wünschen, dass nicht immer ein tiefes Dekolleté so prominent als Motiv herhalten müsste.

In dieser männerdominierten Wirte-Runde gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, zeigt, was ihr als Wiesn-Stadträtin wichtig ist. Sie will niemanden "vors Schienbein treten, aber trotzdem einen Standpunkt vertreten." Sie weiß, dass es für die Wirte an diesen kalten Tagen gerade bitter ist, dass sie vor Beginn des Oktoberfests freiwillig auf die Heizstrahler im Außenbereich verzichtet haben. Dennoch sei es ökologisch und auch angesichts der Energiekrise richtig. "Wegweisend" nennt sie im Nachhinein, dass die Wirte das selbst in die Hand nahmen.

Draußen ist es auch an diesem Nachmittag in der zweiten Woche windig und kalt, Berger trinkt bei einer Pause einen heißen Tee in Bodos Cafézelt. Sie spricht mit dieser typisch angekratzten Wiesn-Stimme, die durch das Rein und Raus vom Warmen ins Kalte und das Anbrüllen gegen den Dauergeräuschpegel entsteht. Sie ist keine von den nur bierernsten Politikerinnen, sie lacht gerne und feiert auch gerne. Wie es nun läuft mit den Beschickern und Wirten? "Wir kommen sehr gut miteinander aus", sagt sie.

Das ist auch auf der anderen Seite zu hören. "Sympathisch" sei sie in ihrer Art, sagt Zeltchefin Schörghuber. Und Norbert Lange senior, der Wiesn-Herzen verkauft, findet den Umgang "sehr herzlich". Er hat Berger zuvor bei einem Rundgang über das Gelände vor seiner Auslage angesprochen. Das schlechte Wetter ist Thema bei dem Ratsch, und die Hoffnung, dass es besser wird. Als zweiter Vorsitzender der Münchner Schausteller im Bayerischen Landesverband der Marktkaufleute und der Schausteller kennt Lange Anja Berger dienstlich. "Total offen" sei die neue Wiesn-Stadträtin. Als es zum Beispiel in der wirtschaftlich schwierigen Oktoberfestpause beim Magdalenenfest im Hirschgarten Probleme mit der Naturschutzbehörde gab, habe sie sich "sehr eingesetzt".

Mit ihren Schwerpunkten eckt Berger manchmal auch an

Damit ist die zweite wichtige Seite des Jobs des Wiesn-Stadtrats beschrieben, wie ihn Anja Berger interpretieren will. Sie will auch als Anwältin der Wirte und Schausteller in der Politik tätig sein. Anliegen einbringen, Probleme lösen. "Wir wollen doch alle, dass es den Beschickern gut geht."

Natürlich weiß sie, dass manch konservativer Kopf nicht unbedingt begeistert ist, dass nun eine grüne Frau andere Schwerpunkte setzt als so manche Vorgänger, die so dick mit dem Oktoberfest und den Wirten und Standlbetreibern verbandelt waren, dass der Titel Wiesn-Stadtrat quasi den Vornamen ersetzt hat. Sie kommt zur Zwischenbilanz der "Sicheren Wiesn für Frauen", sie macht mit ihrer Fraktion einen Termin zur Inklusion, damit künftig behinderte Menschen die Wiesn noch besser genießen können. Sie wolle ihre Anliegen nicht im Anklagemodus vorbringen, sondern durch positive Beispiele zur Nachahmung motivieren, sagt sie. Deshalb trifft man sich am Riesenrad, in dem Rollstuhlfahrer in einer dafür ausgestatteten Gondel mitfahren können.

Mit ihren Schwerpunkten eckt sie auch an. Manchmal spüre sie, dass "ich mir ein noch dickeres Fell wachsen lassen muss", sagt Berger. Dabei verfügt sie schon über längere politische Erfahrung. In zwei Amtsperioden rückte sie in den Stadtrat nach, 2020 wurde sie direkt gewählt. Sie setzte sich im Bildungsausschuss für ein gutes Angebot für alle Kinder ein und engagiert sich für die Rechte von Frauen, sei es bei der Machtverteilung in der Wirtschaft oder beim Schwangerschaftsabbruch.

Mit der grünen Bürgermeisterin Katrin Habenschaden, mit der sie an diesem Tag im Paulaner-Zelt sitzt, teilt Berger nicht nur ihre politische Haltung, sondern auch ihre Herkunft. Beide sind in Nürnberg aufgewachsen und sogar aufs gleiche Gymnasium gegangen. Berger studierte dann in Würzburg Lehramt für Förderschulen und kam Ende der Neunzigerjahre nach München. Sie hat zwei Söhne und arbeitet in einem Sonderpädagogischen Förderzentrum in Ramersdorf. Von 2002 bis 2003 war sie Stadtvorsitzende der Grünen.

Berger kann also nicht auf einen klassischen Münchner Lebenslauf verweisen, in dem man als Wiesn-Stadträtin am besten in Steinwurfweite zur Theresienwiese aufgewachsen ist. Doch die Stadt und auch das Oktoberfest verändern sich, mal schneller und mal weniger schnell. Berger will erreichen, dass beide für die Zukunft gerüstet sind. Dafür muss nicht alles bleiben, wie es immer war. Doch eines schon: "Die Menschen sollen mit glänzenden Augen über das Oktoberfest gehen."

Zur SZ-Startseite
Zu Storytelling Übergriffe Wiesn Oktoberfest Protokolle

SZ PlusSexismus im Bierzelt
:"Wenn es abends voll wird, dann ist es nur noch eklig"

Zeltbesucher nötigen Küsse auf, Hände landen dort, wo sie nicht hingehören: Bedienungen berichten, wie übergriffig es auf dem Oktoberfest zugeht.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: