Oktoberfest:Die vielen Gesichter der Wiesn

Oktoberfest: Der Blick vom Riesenrad: Die Festwiese des diesjährigen Oktoberfests

Der Blick vom Riesenrad: Die Festwiese des diesjährigen Oktoberfests

(Foto: Robert Haas)

Das Oktoberfest ist nicht nur Rausch und Exzess, es hat auch seine stillen und nüchternen Momente: Ein Besuch von fünf Orten zu drei Tageszeiten.

Von Kassian Stroh (Texte) und Robert Haas (Fotos)

Wer sich ein Bild von der Wiesn machen möchte, ist oft fasziniert, oft auch abgestoßen von ihrer Gigantomanie. Diese Größe, diese Massen, diese Lautstärke! Dass das Oktoberfest auch seine leisen, leeren Orte hat, dass es nicht nur berauschend ist, sondern manchmal ganz nüchtern daherkommt, dass es Arbeit ist und nicht nur Party, das übersieht man leicht.

Robert Haas, Fotograf des Lokalteils der Süddeutschen Zeitung, war in den vergangenen Tagen viel unterwegs auf dem Oktoberfest, um eben auch dessen andere Seiten abzubilden. Im Folgenden zeigt er fünf Orte, fotografiert jeweils zu drei verschiedenen Zeitpunkten: in der Ruhe des Morgens, inmitten des Trubels und abends, wenn das Fest zu Ende geht. Gefunden hat er die vielen Gesichter der Wiesn auf einem Rundgang, der im Schützen-Festzelt beginnt.

Im Schützen-Festzelt

Für die meisten ist die Wiesn ein Fest, eine wilde Party, ein Exzess. Für wenige ist sie Arbeit, harte Arbeit. Und hier sitzen sie, die Bedienungen, morgens, bevor das Schützen-Festzelt öffnet: in Fleece-Jacken und mit Schals, dick eingepackt, um sich nicht zu erkälten. Wer die zwei Wochen Wahnsinn durchstehen will, muss sich pflegen; im warmen Dunst des Bierzeltes vergisst man ja leicht, wie kalt es während des Oktoberfests meist ist.

Nur ein paar Stunden später sitzt hier keiner mehr, abends um acht stehen alle auf den Bänken und tanzen (wenn auch in eingeschränktem Maße). Für die Bedienungen ist das Gedränge oft eine Qual.

Und spätabends nach Schankschluss, wenn das Publikum gegangen ist, ist die Arbeit noch nicht getan. Die Bedienungen sind dafür zuständig, die Tische zu wischen und die Bänke nach oben zu stellen. Den Dreck am Boden entsorgen später andere.

In der Schankbox

Ist es die Trauer über das nahende Ende? Oder das sehnsüchtige Warten darauf? In der Schankbox Nummer 5, einer von insgesamt sechs im Augustinerzelt, wird jeden Morgen mit Kreide an die Wand geschrieben, wie lange die Wiesn noch dauert. Und zwar über dem Rolltor, durch das der sogenannte Ganterbursche ein neues Fass aus der Kühlung hereinrollt, wenn das bisherige bald leer ist. Denn hier kommt das Bier nicht aus Stahlcontainern über sogenannte Ringleitungen ins Glas. Morgens ist die Box noch verlassen und leer, schäbig sieht das aus mit all dem abgewetzten Holz.

Doch untertags ist hier ständig was los: Die Bedienungen holen die vollen Krüge, die leeren werden direkt gespült. Bei Hochbetrieb dreht der Schankkellner manchmal den Hahn gar nicht mehr ab, wenn er einen neuen Hirschen (so heißen die Holzfässer) angestochen hat - dann läuft das Bier ununterbrochen, bis das Fass leer ist und der Ganterbursche oben auf dem kleinen Podium ein neues aufstellt.

Und am Abend sind die Bedienungen dann kaputt, aber auch fröhlich, vermutlich nicht nur wegen ihrer vollen Geldbeutel: Wieder ein Tag geschafft, wieder ein Tag näher am Ende.

Am Entengrill

Wobei das mit dem Ende natürlich noch einmal eine ganz andere, existenzielle Dimension hat für all die Tiere, die ihr Leben für die Wiesn lassen müssen. Bis zu einer halben Million Hendl werden im Schnitt pro Fest gegessen, üblicherweise hälftig portioniert. (Der Mythos, dass ein Wiesnwirt des besseren Geschäfts wegen problemlos aus einem ganzen Giggerl drei halbe schneiden könne, ist ein falsches Gerücht: Er basiert auf einer entsprechenden, aber satirischen Pressevorführung des früheren Wiesnwirts Richard Süßmeier - er hatte in das präsentierte Tier zuvor eine dritte Hälfte einnähen lassen.) Vor dem Festbeginn sind die Öfen in der Hühner- und Entenbraterei Ammer noch jungfräulich rein.

Dann aber drehen sich hier jeden Tag bis zu 1000 Hendl und mehr als 200 Enten (wie hier auf dem Bild), das Fett trieft und spritzt. Und heiß wird es hier, bis zu 100 Grad direkt vor dem Ofen.

Wegen der Hitze trinken die Hendl-Brater jeden Tag übrigens viele Liter Wasser und müssen trotzdem kaum zur Toilette. Sie sind es auch, die abends putzen müssen. Spezielle Putztrupps gibt es nicht.

Im Hofbräuzelt

Wesenskern der Wiesn ist der Rausch, sei er nun alkoholisch bedingt oder durch die Fahrt im "Predator", das Verschwinden der Grenzen - derer des Anstandes manchmal ebenso wie derer zwischen Generationen oder Milieus. Und wahrscheinlich lässt sich das im Hofbräuzelt am besten beobachten. Das "Epizentrum der Eskalation" hat es die SZ vor Jahren mal getauft. Doch bei Tageslicht betrachtet ist es eine nüchterne Armada eng gestellter Bierbänke. Etwas Flair bringen allenfalls die riesigen Hopfen-Bündel und der über allem schwebende Engel Aloisius hinein.

Am Nachmittag und Abend wird das Hofbräuzelt zu einer gigantischen Großraumdisco (in der dummerweise hölzerne Tische und Sitzbänke sowohl das Fassungsvermögen deutlich reduzieren wie auch die Wahrscheinlichkeit, beim Tanzen unverletzt zu bleiben). 7000 Menschen passen hier hinein.

Wenn aber um 22.30 Uhr die Zapfhähne abgedreht werden, leert sich der Biertempel rasch. Das ist ohnehin immer wieder erstaunlich, wie schnell und weitgehend problemlos Zehntausende eingeschränkt Handlungsfähige die Zelte und das Festgelände verlassen.

Auf der Festwiese

Wie es überhaupt eines der größten Mysterien des Oktoberfests ist, wie wenig hier passiert. Hunderttausende Menschen jeden Tag, viele von ihnen betrunken, zumindest enthemmt, beisammen auf engstem Raum - und doch wird die omnipräsente Polizei nur vergleichsweise weniger Straftaten gewahr.

31 Hektar groß ist die Festwiese (die im Nicht-Fest-Zustand nicht viel von einer Wiese hat), 3,3 Millionen Menschen waren hier allein in der vergangenen Woche. Wie eng dieser Raum faktisch ist, zeigt ein Blick von oben. Auf das fast menschenleere, verregnete Areal - und dasselbe untertags bei Sonnenschein. Denn zwischen den Fahrgeschäften und den riesigen Festzelten bleibt so viel Platz nicht.

Und wer dann noch eine der letzten Runden im Riesenrad dreht, der erlebt den Zauber der nächtlichen Wiesn, ihre bunten, blinkenden, laufenden Lichter, die Ruhe, die allmählich einkehrt. Zeit, heimzugehen, noch nicht Zeit, sauber zu machen, ein paar Stunden nur ohne Geschäft und Geschäftigkeit. Auch das ist ein Gesicht der Wiesn.

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