Süddeutsche Zeitung

Dauer-Wiesn-Tisch:"Wir saufen für den guten Zweck"

Der Freundeskreis "die Schaumigen" um Dominic Graf von Matuschka trifft sich an jedem Oktoberfesttag im Zelt "Zur Bratwurst". Es könnte einfach einer dieser Dauer-Wiesn-Tische sein, doch mit diesem hat es noch eine andere Bewandtnis.

Von Stephan Handel

Die Schaumigen haben sich eingerichtet an ihrem Tisch. Sind am Freitag vor dem Anstich schon angerückt im Bratwurst-Zelt gleich am Esperantoplatz, haben Bilder an die Wand gehängt und eine Kuckucksuhr; unter der Bank ist in Plastikboxen die Ausrüstung für nie ganz auszuschließende Notfälle verstaut - frische Hemden, Schokolade gegen den Unterzucker, Reserve-Zigaretten, Verbandszeug und eine Flasche Eierlikör - wofür auch immer. Schließlich, und das ist nicht das Unwichtigste, haben sie zwei Holzblöcke auf dem Tisch platziert, der eine als ihr Hoheitszeichen sozusagen. Der andere für die Spenden.

"Die Schaumigen", das ist - was eigentlich? Ein Burschenverein nicht, weil zu den 16 Mitgliedern auch sechs Frauen gehören. Ein Stammtisch auch nicht, denn dazu würde ja gehören, dass sie sich regelmäßig treffen, was sie nicht tun, jedenfalls nicht im Sinne eines festen wöchentlichen Termins. Am ehesten passt die informellste aller Bezeichnungen: "Wir sind ein Freundeskreis", sagt Dominic Graf von Matuschka.

Matuschka ist so etwas wie das - ungewählte - Oberhaupt der Gemeinschaft, was für ihn die Pflicht mit sich bringt, vom ersten Wiesn-Samstag bis zum letzten Sonntag, von Mittag bis zur Sperrstunde an ihrem Tisch nach dem Rechten zu sehen. Als Belastung empfindet er die Aufgabe nicht: "Wenn ich morgens herlauf' und die Bavaria seh', bekomm' ich jedes Mal Gänsehaut", sagt er.

Das könnte nun einfach einer dieser Dauer-Wiesn-Tische sein, den sich Leute leisten, die nicht genug bekommen können vom Oktoberfest. Mit den "Schaumigen" hat es aber noch eine andere Bewandtnis - diese steht, sehr verkürzt und grobianisiert, auf einem der Holzblöcke am Tisch: "Wir saufen für den guten Zweck".

Nach einigen anderen Stationen haben die Freunde seit fünf Jahren ihr Domizil in der Bratwurst gefunden. Werner Hochreiter, der Wirt, hält sie offensichtlich für besonders vertrauenswürdig, deshalb haben sie ein Arrangement mit ihm: Zwar boniert die jeweilige Bedienung alles, was bestellt wird, das muss ja sein, wegen der Abrechnung und der Steuer und der Umsatzpacht. Aber abkassieren dürfen sie selbst an Tisch 441, gleich der erste rechts im Biergarten. Am Abend geht Matuschka zum Wirt und bezahlt alles.

Matuschka, 44 Jahre alt, sagt, er habe in seinem Leben schon alles Mögliche gemacht, beruflich, derzeit betreibt er eine Beraterfirma für Leute, die eine Autowaschanlage bauen möchten. Kunden und Geschäftspartner lädt er auf die Wiesn ein, sowieso ist eigentlich jeder willkommen, der sich an die Tischregeln zu halten bereit ist. Und eine dieser Regeln lautet: Wer ausgetrunken hat und gehen möchte, der möge doch bitte den Geldbeutel aufmachen.

Vor vier Jahren begann das, da brauchte der Kindergarten von Matuschkas Tochter eine neue Schaukel. Die Freunde baten ihre Gäste zur Kasse, nach zwei Wochen Wiesn war die nötige Summe erreicht, und natürlich fuhren die Schaumigen selbst zum Kindergarten und bauten das Gerät auf. Seitdem sammeln sie jedes Jahr, eingetrieben und verwaltet werden die Spenden von Edi, quasi die rechte Hand des Grafen. Ein paar tausend Euro kommen jeweils zusammen, und dann schauen sie nach der Wiesn, wer's gebrauchen könnte. Grundvoraussetzung: Für Kinder soll's sein, und weil Bargeldspenden für viele Organisationen schwierig zu handhaben sind, ist es ihnen am liebsten, wenn sie selber etwas kaufen und das dann schenken können.

Gerade ist Guppi gekommen, Reinhold Guppenberger, der in München eine kleine Institution ist, weil er die Tagesbar beim Hirmer leitet. Blaues Sakko, Strohhut - Guppenberger legt auch auf der Wiesn Wert auf Eleganz. Darüber könnte er sich mit Maximilian Oberbigler unterhalten, dem Chef der "Münchner Manufaktur", also ein Trachtenprofi - der hat aber gerade keine Zeit, weil er momentan für die Verteilung der Schaumigen sorgt, das bezeichnet in Bayern ja eine Halbe oder eine Mass Bier mit absichtlich viel Schaum.

Weil das die bevorzugte Darreichungsform der Freunde aus der Bratwurst ist, haben sie sich danach benannt. In Ermangelung also eines kleidungsmäßig ebenbürtigen Gesprächspartners ratscht Guppenberger jetzt halt mit Herbert und Severin Komander, die in der Augustenstraße ein Blumengeschäft betreiben. Später kommt Ralf Bernhard hinzu, ein Sportler und Fitness-Trainer. Er fragt Matuschka, ob er vielleicht am Sonntag seine Mama mitbringen dürfte, und der antwortet mit aller gräflichen Noblesse: "Es wäre mir eine Ehre."

Seine Familie bezeichnet Matuschka selbst als "verarmten Landandel", von den Besitzungen in Schlesien ist ihr nach dem Krieg nichts geblieben. Eines aber, so sagt er, habe er mitbekommen von seinem Vater und seinem Großvater; es könnte vielleicht auch als das Motto der "Schaumigen" durchgehen: "Ehre, Respekt und Anstand".

Den 16 Mitgliedern, zwischen 30 und 50 Jahre alt, geht's finanziell fast allen gut, nur einen haben sie, bei dem passen Kinderzahl und Gehalt nicht so recht zusammen. Ja mei, dann tanken sie ihm halt mal das Auto voll oder helfen sonst, wenn's was braucht. Und als die Frau eines Freundes erkrankte und er mit Kindern, Beruf, Haushalt alleine war, da sind sie einfach hingefahren, haben den Rasen gemäht und was noch zu tun war. "Wofür hat man denn sonst Freunde?", fragt Matuschka. Ehre, Respekt, Anstand: Dazu gehört auch, dass sie ihren Tisch kurzzeitig räumen, wenn's regnet und sie sehen, dass eine Familie mit Kindern im Nassen steht.

Am nächsten Tag regnet's zwar nicht, aber trotzdem müssen ein paar der Freunde aufstehen, weil Manfred Nerlinger kommt, der Gewichtheber, und der braucht auf der Bank leicht mal den Platz von zwei bis drei Schaumigen. Es geht um einen "Gaudi-Stammtisch", den die Freunde zusammen mit dem Münchner Künstler Wolfgang Prinz in der zweiten Wiesn-Woche veranstalten wollen, da soll dann bitte auch eine gewisse Prominenz anwesend sein. Denn auch solche Leute werden am Ende um ihre Spende gebeten werden, und sie können Bratwurst und Schaumigen-Tisch dann mit einem befriedigenden Gefühl verlassen: Getrunken und gegessen und damit noch etwas Gutes getan zu haben.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019/mmo/cat
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