Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest in Zahlen:Wie die Stimmung auf dem Bierfest kippt

Mehr Besucher, mehr Bier, mehr Gewalt: Viele kritisieren, das Oktoberfest sei kein gemütliches Volksfest mehr - sondern nur noch Exzess. Statistiken belegen: Das stimmt.

Sophie Kaiser, Lisa Sonnabend und Beate Wild

Mehr Bier, mehr Besucher, mehr Gewalt: Viele kritisieren, das Oktoberfest sei kein gemütliches Volksfest mehr, sondern das Treiben auf der Theresienwiese sei in den vergangenen Jahren immer exzessiver geworden. Statistiken belegen: Das stimmt. Die Wiesn-Besucher wussten 1951 nichts von ihrem Glück: Sie mussten nur umgerechnet 87 Cent für eine Maß Bier bezahlen. Auch zehn Jahre später, im Jahr 1961, war die Maß noch richtig günstig: 97 Cent verlangten die Wiesnwirte durchschnittlich für den Liter Bier. Lächerlich wenig, wenn man die Preise mit denen für eine Maß im Jahr 2011 vergleicht: 8,95 Euro musste man löhnen, um in den Genuss von einem Liter Wiesnbier zu kommen. Und in diesem Jahr sind durchschnittlich 9,35 Euro weg, sobald man zur Bedienung sagt: "Ich nehm' noch eine Maß!" 

Rangeleien, Taschendiebstähle oder gar Maßkrugschlägereien: Auf dem Oktoberfest wird nicht immer nur friedlich geschunkelt, die Polizei hat hier viel zu tun. Die Einsätze der Polizei haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Statistiken der Polizei reichen nur bis ins Jahr 1999 zurück, die Zahlen für 2012 werden erst am letzten Wiesntag bekanntgegeben. Ein Grund für die Zunahme der Einsätze liegt auch darin, dass immer mehr Besucher auf das größte Volksfest der Welt kommen und dass die Wiesnwache immer mehr einsatzbereite Beamte vor Ort stationiert hat. Allein dadurch lässt sich der Anstieg nicht erklären, die Zahlen bleiben erschreckend: In den vergangenen zwölf Jahren hat sich die Arbeit der Beamten fast verdoppelt. Kamen sie im Jahr 1999 nur auf 1363 Einsätze, mussten sie 2011 2175 Mal eingreifen. Im Jahr 2004 wurde eingeführt, dass bis 18 Uhr im Bierzelt nur leisere Musik zu spielen ist. Damit wollte man verhindern, dass die Stimmung schon mittags so angeheizt wird und die Situation zu eskalieren droht. Doch auch derartige Maßnahmen haben nicht dazu geführt, das Gewaltproblem in den Griff zu bekommen.

Viele beklagen, dass das Treiben auf der Wiesn von Jahr zu Jahr exzessiver werde. Immer mehr Betrunkene würden über die Theresienwiese torkeln, immer mehr Bierleichen den Weg säumen. Das stimmt - wie diese Grafik zeigt, bei der die Anzahl der Besucher und der Alkoholkonsum verglichen wird. Denn tatsächlich trinken die Oktoberfestbesucher mehr Bier als früher. Während der Bierverbrauch in den vergangenen 40 Jahren um fast 100 Prozent gestiegen ist und sich damit verdoppelt hat, ist die Zahl der Besucher nur um 38 Prozent gestiegen.  Früher trank jeder Besucher durchschnittlich eine Maß Bier, heute trinkt er 1,15 Liter - also mehr als eine Maß. Wenn man bedenkt, dass viele nur über die Theresienwiese schlendern, ohne in einem Bierzelt einzukehren, kann man sich leicht ausrechnen, woher die vielen Betrunkenen kommen. Der Einbruch nach unten im Jahr 2001 erklärt sich mit den Terroranschlägen von 9/11. In diesem Jahr kamen aus Angst vor Folgeanschlägen weniger Besucher. Die Bierlaune ließen sie sich trotzdem nicht verderben.

In dieser Grafik wird nun geprüft, ob der Anstieg der Polizeieinsätze mit dem steigenden Bierkonsum in Verbindung gebracht werden kann. Der Bierverbrauch auf der Wiesn nimmt von Jahr zu Jahr zu - ebenso wie die Anzahl der Polizeieinsätze. Diese steigen sogar proportional stärker als das getrunkene Wiesnbier. Die Grafik zeigt: Ein Streit eskaliert offenbar schneller, wenn viel Alkohol im Spiel ist.  2010 kritisierte die damalige Tourismus-Chefin: Regelrecht "übergeschwappt" sei die Wiesn. "Das ist keine Volksfeststimmung mehr." Da auch die sexuelle Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen ständig zugenommen hat, wurde vor zehn Jahren die Aktion Sichere Wiesn gegründet. Hier bekommen Frauen Tipps, wie sie sich vor Belästigungen schützen können.

Der Bierpreis ist regelrecht explodiert in den vergangenen Jahren - ähnlich wie der Benzinpreis. Doch während sich der Preis für eine Maß Bier in den vergangenen 60 Jahren verzehnfacht hat, ist die getrunkene Menge nur um ein Vierfaches gestiegen, wie die Zahlen belegen. Zum Glück möchte man sagen, denn eine noch größere Menge an Betrunkenen wäre selbst auf dem Oktoberfest nicht vorstellbar. Ob es der Preis war, der die Biertrinker gebremst hat? Oder die Tatsache, dass ein Mensch doch nur eine begrenzte Menge Bier zu sich nehmen kann?

Nie mussten so viele Hendl dran glauben wie 1991: Damals aßen die Wiesnbesucher 807.710 Hendl. Doch bis heute ist der Verbrauch der gegessenen Broiler zurückgegangen - fast dramatisch. Aus Hendlsicht natürlich erfreulich. "Nur" noch 522.821 - also 1.045.642 Portionen - wurden im vergangenen Jahr bestellt. Aus dieser Grafik kann man offenbar schlussfolgern: Den Besuchern des Oktoberfests geht es inzwischen mehr ums Trinken als ums Essen. Denn, wie beschrieben, der Bierabsatz ging keineswegs zurück. Im Gegenteil. Allerdings wird auch das kulinarische Angebot auf der Wiesn von Jahr zu Jahr breiter, auch deswegen werden wohl weniger Hendl verzehrt. 

Die Zahlen der vergangenen Jahre zeigen: Wiesnbesucher lasssen immer mehr Geld im Bierzelt. 1971 gab ein Gast durchschnittlich nur umgerechnet 1,12 Euro für Bier aus. Die Wiesnwirte haben Glück, dass bei den Menschen im Bierzelt das Geld mittlerweile ein wenig lockerer sitzt. Denn 40 Jahre später investiert ein durchschnittlicher Oktoberfest-Gast mehr als das Zehnfache in Bier: ganze 10,28 Euro. Ausgaben für Brezen, Hendl, Zuckerwatte und Fahrgeschäfte sind da noch nicht mit eingerechnet.

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