Oktoberfest 2012 in München:Volksmusik! Auf dem Volksfest!

Musik, die ohne einen Stern, der deinen Namen trägt, auskommt und ohne falsche Träume von der Sierra Madre: Abseits der Druckbeschallung in den Wiesn-Zelten spielt in der "Bratwurst" eine Kapelle Polka und Märsche - ohne Noten, nur nach Gehör. Doch ganz kann sich das kleine Zelt den Oktoberfest-Regeln nicht entziehen.

Stephan Handel

Hädidadiwari

Michael Graf (mit Gitarre) lacht, wenn er "Generalmusikdirektor in der Bratwurst" genannt wird - er sorgt für feine Volksmusik im Zelt.

(Foto: Jakob Berr)

Titel? Der Graf Michi kennt doch keine Titel. Ihm reicht es, wenn ihm seine Mitmusiker die Tonart sagen, B-Dur, Es-Dur, As-Dur, und schon kann es losgehen mit dem Marsch, dem Landler oder der Polka. Ein paar hundert Stückl kann Michael Graf so, ohne Noten, was etwas anderes ist als auswendig: Ein richtiger Musikant hält darauf, sein Repertoire nicht stur auswendig zu lernen wie früher in der Schule ein Gedicht.

Ein richtiger Musikant spielt "nach Gehör", und von daher ist es eigentlich wurscht, ob der Michi ein Lied schon mal gehört hat - seine Ohren melden ihm rechtzeitig, welchen Akkord er als nächsten auf der Gitarre zu greifen hat. "Wann spuitsn?", fragt ein Gast im Vorbeigehen. "Jetzt nachad", sagt der Michi.

Es gibt auf der Wiesn, dieser großen Lärmmaschine, diesem Hochfest der Druckbeschallung, einen kleinen Ort der, na ja, nicht gerade Ruhe. Aber der feinen, leisen Musik, einer Musik, die es nicht darauf anlegt, die Gäste auf die Bänke zu treiben, die nicht aus ist auf den größtmöglichen Effekt und die höchstschießende Ekstase.

Eine Musik, die - fast - ohne elektronische Verstärkung auskommt, ohne einen Stern, der deinen Namen trägt, und ohne die falschen Träume von der Sierra Madre. In der "Bratwurst", hinten am Esperantoplatz gleich neben dem Toboggan, lässt Werner Hochreiter jeden Nachmittag bayerische Volksmusik spielen. Vor vier Jahren, sagt er, als das Zelt vergrößert wurde und von der Wirtsbuden- in die Matthias-Pschorr-Straße zog, "da hab' ich mir das überlegt und dann einen gesucht, der's machen kann".

Gefunden hat er ihn in Michi Graf, gebürtiger Münchner, jetzt in Oberaudorf ansässig, Jahrgang 1965. Wenn er als "Generalmusikdirektor der Bratwurst" angesprochen wird, dann lacht er, aber so ganz daneben ist das nicht.

Denn unter Musikanten - eine Szene ist das, auch wenn es die meisten wohl schütteln würde, wenn sie zu einer Szene gehören müssten - unter Musikanten ist es üblich, in wechselnden Besetzungen zu spielen, wer halt gerade da ist und Zeit hat.

Und so liegt Grafs Hauptarbeit darin, seine Kollegen so zu organisieren, dass jeden Mittag um zwölf eine ausreichende Anzahl von ihnen in die "Bratwurst" einläuft. Die Besetzungen nennen sich zwar dann Mitteralm-Musi oder Stammtisch-Musikanten oder - so heißt Michael Grafs eigene Truppe - "Hädidadiwari".

Aber dass da immer die gleichen Musiker auf dem kleinen Podest sitzen, die auf eventuell vorhandenen Werbe-Postkarten abgebildet wären, ist nicht sicher: Mal hat einer keine Zeit, dann kommt halt ein anderer, mal ist der Trompeter-Spezl aus Südtirol auf Besuch, dann spielt der auch noch mit. Vier bis sieben Mann, ein paar Mikrofone haben sie doch auf der Bühne stehen, "weil sonst nur die vorderen Tische was von der Musi haben", sagt Graf.

Und derart unverkabelt ist es auch kein Problem, zwischendurch mal in den Biergarten hinauszugehen und von Tisch zu Tisch zu spielen. Wenn es dafür dann eine Runde Schnaps zur Belohnung gibt, ist das gerade recht. Fast alle sind Amateure - auch das ein Unterschied zu den Profis in den großen Zelten, die ihren Lebensunterhalt auf der Bühne verdienen, und, so könnte man boshaft sagen, spielen, weil sie spielen müssen, nicht weil sie Spaß daran haben.

Dabei will Michael Graf die Leistung der Kollegen gar nicht schlechtreden, "das ist hammerhart, was die da bieten". Aber sie in der Bratwurst nehmen sich das Recht zu spielen, was sie wollen. Das kann dann zum Beispiel auch ein Wienerlied sein, oder eines vom Wolfgang Ambros, zurechtgespielt für die Blasmusik. Und wenn dann doch mal ein Gast kommt und den Ententanz hören möchte oder einen DJ Ötzi - "dann ist des meistens schnell erklärt, warum wir so was nicht haben".

Werner Hochreiter, der Wirt, sagt, er sei sehr zufrieden mit seiner Idee, die entstanden ist aus einer Mischung aus Marketing-Überlegung und eigener Neigung: "Mir gefällt die Musik ja auch besser." Gegen 18 Uhr allerdings ist Schluss: "Am Abend zieht Blasmusik nicht", sagt Hochreiter.

Dann reiht sich auch die "Bratwurst" ein in den Halligalli-Kobel Oktoberfest, mit Band, Elektronik und Wiesn-Hits - bis zum nächsten Mittag, wenn Generalmusikdirektor Michael Graf wieder dafür gesorgt hat, dass gleich neben dem Toboggan die feine, leise Blasmusik ihren Platz hat auf dem ansonsten wahrscheinlich lautesten Volksfest der Welt.

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